Kahns seltsamer Traum-Abschied
ST. PETERSBURG - Bitterer hätte die internationale Karriere kaum enden können: Eine 0:4-Niederlage im klapprigen Petrowsky-Stadion von St. Petersburg. Und dennoch sagte Oliver Kahn nach seinem letzten Europapokal-Spiel: „Etwas Schöneres kann es nicht geben“.
In der ersten Halbzeit hatte sich Oliver Kahn die Seele aus dem Leib gebrüllt: „Raus! Raus! Raus!“ So dröhnte es von hinten in Richtung Abwehr. Da stand es erst 0:1, dann 0:2. In Halbzeit zwei wurde der Bayern-Keeper immer ruhiger, seine Abwehr wollte nicht auf ihn hören – 0:3, 0:4. Bitterer hätte die internationale Karriere des 38-Jährigen kaumenden können: Nicht im Estadio Santiago Bernabeu oder in San Siro, sondern im klapprigen Petrowsky-Stadion.
Nicht in einem Champions-League- Finale, sondern im Uefa- Cup-Halbfinale. Nicht gegen Milan oder ManU, sondern gegen einen Verein namens Zenit. Frustriert schlich er vom Platz, sogar vom Petersburger Trainer Dick Advocaat wurde er getröstet („Ich habe ihm gesagt, wie viel er für Bayern geleistet hat“) – und erstauntewenig später alle.
Kahn, einst der personifizierte Ehrgeiz, erklärte allen Ernstes: „Ich habe keinen Grund, bitter zu sein.“ Wie bitte? Mal ganz entspannt rausgeflogen in St. Petersburg, Herr Kahn? „Es ist eine fantastische Stadt, kann ich jedem empfehlen. Hier die internationale Karriere zu beenden, ist fast schon ein Highlight.“ Er zwinkerte dabei sogar.
Anstatt nur die gestrige Demontage zu beurteilen, blickte Kahn auf seine gesamte – seine letzte – Saison zurück. „Es war auch so eine schöne Zeit“, sagte er. Doch was danach folgte, klang etwas seltsam angesichts der höchsten Bayern-Niederlage seit fast 17 Jahren. „So ein Abschied ist ein Traum“, meinte Kahn, „ich hätte mich auch über einen Titel Freude, aber jetzt werden es zwei. Etwas Schöneres kann es nicht geben.“ Drei Titel vielleicht? „Irgendwann ist man einfach nur noch froh, wenn es vorbei ist“, sagte er. Kahns neue Bescheidenheit. Nochmals nachgefragt, ob er nicht traurig sei, das Finale verpasst zu haben, antwortete er gelassen: „Die Enttäuschung ist groß, aber nicht zerschmetternd.“
Stattdessen ging er – das ZDF weiß, weshalb der Mann ab Herbst an der Seite von Johannes B. Kerner die DFB-Spiele kommentieren soll – nüchtern in die Spielanalyse. „Zenit hätte ich nicht so stark erwartet“, erklärte Kahn, „ich habe selten eine Mannschaft gesehen, die ihre Chancen so eiskalt verwertet.“ Es klang, als hätte er das Spiel von außen verfolgt. Was in gewisser Weise ja der Fall war: Bei den Gegentoren hatten ihn die Mitspieler im Stich gelassen, er war machtlos. Bis zum Ende. ps,jos