Kahn: "Bei Bayern ist jetzt auch ein Psychologe gefragt"

Wer kann dem FC Bayern aus der Krise helfen? Im Interview mit dem TV-Sender Sport1äußert sich Ex-Bayern-Torhüter Oliver Kahn und spricht über Transfers, Systemwechsel und den Vereinspsychologen.
von  Abendzeitung
Im Interview bei Sport1: Oliver Kahn
Im Interview bei Sport1: Oliver Kahn © dpa

MÜNCHEN - Wer kann dem FC Bayern aus der Krise helfen? Im Interview mit dem TV-Sender Sport1äußert sich Ex-Bayern-Torhüter Oliver Kahn und spricht über Transfers, Systemwechsel und den Vereinspsychologen.

Oliver Kahn sagte auf die Frage, wann und unter welchen Voraussetzungen der FC Bayern wieder 100 Prozent zeigen könne:

„Ich glaube, dass die Spieler es versuchen, 100 Prozent zu bringen, es aber nach der letzten Saison nicht einfach ist – Mit 50, 60 Pflichtspielen, dem verlorenen Champions League-Finale und einer extrem anstrengenden Weltmeisterschaft in Südafrika. […] All das führt dazu, dass im Kopf nicht die optimale Frische da ist, dass man es einfach innerlich, auch wenn man es will, nicht schafft, an diese 100 Prozent zu kommen. Ich kann mich noch gut an meine Enttäuschung nach dem verlorenen WM-Finale 2002 erinnern und das müssen ein Van Bommel, ein Robben heute auch erstmal verarbeiten. Das sind alles Facetten, die Zeit brauchen und bei mir hat es damals fast eine gesamte Saison gedauert, bis ich wieder bereit war, alles abzurufen. […] Aber es ist klar, dass der Verein nicht so lange warten kann. Er verlangt sofort wieder Top-Leistungen. Da sind jetzt alle gefordert, damit die Jungs die Frische und den Spaß im Alltagsgeschäft wiederbekommen. In der Champions League sieht man ja, dass sie ihre Leistungen bringen – Und das ist auch typisch: Im Alltagsgeschäft hast Du Schwierigkeiten, aber wenn es dann um die großen Sachen geht, dann ist die Mannschaft voll da.“

... über den Vergleich zur Saison 2001/2002, als der FC Bayern im Jahr nach einer erfolgreichen Saison und dem Champions League-Sieg in der Liga nur mit Mühe Rang Drei behaupten konnte:

„Es ist nicht einfach, wenn man so einen Erfolg gehabt hat. Man ist Meister und Pokalsieger geworden sowie ins Champions League-Finale eingezogen. Das kostet alles Kraft und Substanz. Man kann nicht jede Saison auf so einem Level spielen. Man kann nur innerhalb der Mannschaft versuchen, zu arbeiten, so dass die Spieler schnell begreifen, dass sie sich nichts mehr kaufen können. […] Du musst immer wieder Leistung bestätigen, immer wieder ans Maximum gehen und das ist phasenweise sehr, sehr anstrengend.“

...auf die Frage, was dem FC Bayern in dieser Situation helfen könne:

„Alle sind jetzt gefragt – Ein Rummenigge, ein Hoeneß, ein Nerlinger, ein van Gaal. Bayern hat ja auch einen Psychologen und all diese Leute sind jetzt gefragt, die Spieler davon zu überzeugen, dass sie wieder motiviert sind und es sich lohnt, 100 Prozent abzurufen. Klar kann man sich immer fragen, wenn man im Vorfeld weiß, dass viele Spieler nach der erfolgreichen Saison und einer WM zurückkommen, ob man dann nicht den Konkurrenzdruck ein wenig erhöht, in dem man den ein oder anderen Transfer tätigt. Aber das sind alles Überlegungen, die jetzt natürlich zu spät sind und auch nichts mehr bringen.“

... auf die Frage, ob der ein oder andere Transfer dem FC Bayern nicht doch gut getan hätte:

„Ja, gerade mit dem Wissen einer vorangegangenen Weltmeisterschaft und dem Wissen, dass sich irgendwann diese Sattheit bei den Spielern einstellen kann. Auch wenn eine Mannschaft einen fantastischen Charakter hat, so wie diese Mannschaft ihn momentan hat, selbst dann gibt es Phasen, in denen es schwierig ist. Dann kannst Du als Verein natürlich mit dem ein oder anderen Transfer demonstrieren: ‚Der Verein weiß, dass das anstrengend ist, aber der Verein ist zum Erfolg verdammt.’ Natürlich verstehe ich auch die andere Seite, dass man sagt, dass diese Mannschaft Großes geleistet und einen fantastischen Fußball in der letzten Saison gespielt hat – Warum soll man da etwas ändern. Hinterher ist man im Fußball immer schlauer.“

... über Mario Gomez und die derzeit schwache Offensive der Münchner:

„Bei Mario liegt es natürlich sehr viel am Kopf, an der Psychologie. Er musste seit er in München ist, permanent mit Kritik fertig werden. […] Wenn er spielt, wird ja letztlich immer nur auf das Negative gewartet. Dann kommt dazu, dass Du im System von van Gaal immer nur einen Stürmer hast. Das ist auch nicht so einfach. Und wenn Du dann auf den Außenpositionen keinen Robben und keinen Ribéry hast, dann ist die Frage, ob dieser eine Stürmer letztlich auch ausreichend ist oder ob man dann nicht auch mal wieder so variabel ist und mit zwei Stürmern spielt. Vielleicht profitieren die dann auch wieder voneinander.“

... auf die Frage, ob er für einen Systemwechsel plädiere:

„Ich spreche immer von Variabilität. Das heißt ja, dass man nicht immer nur stur ein System spielt. Sondern, dass die Spieler, bspw. wenn es mal opportun ist, so wie jetzt, auch mal mit zwei Stürmern spielen können. Die Spieler sind heute dermaßen gut ausgebildet, geschult und auch intelligent, dass sie sofort auch ein anderes System spielen könnten. […] Aber van Gaal wird sicher ganz genau wissen, was er tut.“

... auf die Frage, ob er sich eine Zukunft als Manager oder Vorstandsmitglied beim FC Bayern vorstellen könne:

„Möglicherweise in der Zukunft. Das sind sicherlich alles Überlegungen, momentan spiele ich mit vielen Gedanken. […] Aber wenn es dann ins Jahr 2012 geht, dann kann ich mir schon wieder vorstellen, auch über den Fußball nachzudenken, […], und dann natürlich beim FC Bayern. Es kann aber auch genau so sein, dass ich in den nächsten eineinhalb Jahren feststelle: ‚Nee, warum nochmal in den Fußball?’ Es gibt keine klaren Überlegungen, die unbedingt für den Fußball sprechen. […] Irgendwann bist Du auch froh, dass Du da nicht mehr mittendrin bist, dass Du diese Distanz gewonnen hast und auch andere Blickwinkel bekommst. Dann fängst Du an, Dich auch für die Mannschaft zu Freude, wenn sie ins Champions League-Finale einzieht. Natürlich ist das Herz immer beim FC Bayern München, das ist ja gar keine Frage.“

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