Jutta Kleinschmidt: Ich muss keinem Verein lebenslange Treue halten

Jutta Kleinschmidt (56) gewann 2001 die legendäre Rallye Paris-Dakar. Von 2002 bis 2006 fuhr sie Langstrecken-Rallyes für Volkswagen. Im AZ-Interview spricht sie unter anderem über die Wichtigkeit des VfL für die Stadt Wolfsburg, die Gemeinsamkeiten zwischen Motorsport und Fußball und darüber, was Frauen für Gleichberechtigungen tun können.
AZ: Frau Kleinschmidt. Das Duell Bayern gegen Wolfsburg ist wie Ferrari gegen...
JUTTA KLEINSCHMIDT: (lacht) ... den Volkswagen natürlich.
Naheliegend.
Ja, beide zeichnet eine gewisse Volksnähe und eine eingeschworene Fan-Gemeinschaft aus. Und sowohl der VfL als auch der Volkswagen-Konzern sind Aushängeschilder für die Stadt Wolfsburg und die Region. Die Stadt ist ja überschaubar und lebt daher sehr von beidem und für beides.
Wie lassen sich Fußball und Motorsport sonst vergleichen?
In beiden Sportarten kommt es auf die Teamarbeit an, auch wenn es im Motorsport nicht ganz so offensichtlich ist. Als Fahrer ist man sowas wie der Kapitän des Teams und der muss alle hinter sich haben, alle müssen an einem Strang ziehen. Ein anderer Punkt ist, gerade wenn ich auf Wolfsburg blicke, die ja schon durch einige Krisen gegangen sind, die Tatsache, dass Sieg und Niederlage oft extrem nah beieinander liegen.
Kleinschmidt: "Frauen müssen sich mehr helfen"
Und in beiden Sportarten gibt es eine klare Dominanz der Männer.
Das stimmt. Wobei es im Fußball eine Frauen- und eine Männerliga gibt. Nur ist die Frauenliga weit weniger beachtet. Deshalb würde ich im Fußball nicht von einer Männerdominanz sprechen, sondern von einer Interessensdominanz. Im Motorsport sind wir gemischt, was ich auch richtig finde. Meine Karriere zeigt, dass Frauen durchaus mithalten können.
Sie gelten im Motorsport als Vorreiterin, die Formel-Pilotin Sophia Flörsch hat sie jüngst als Vorbild bezeichnet. Welchen Tipp können sie jungen Sportlerinnen und gerade Rennfahrerinnen geben?
Ich finde es gut, dass es immer mehr Frauen gibt, die diesen Weg einschlagen. Ich kann nur raten, am Selbstvertrauen zu arbeiten, denn wenn ich es mir selbst nicht zutraue, in diesem Sport zu bestehen, dann werde ich auch nichts erreichen. Natürlich muss man auch das Team hinter sich haben, was als Frau etwas schwieriger ist. Denn wenn es ums Siegen geht, glauben die Teams immer mehr an die Männer. Die Frau ist super für die PR, aber für Siege ist der Mann zuständig. Um dieses Vertrauen zu gewinnen, muss man hart arbeiten.
Sie haben sich schon immer mehr in Männer-Domänen gewagt. Ein Ingenieurstudium, ein Entwicklungs-Job bei einem Autokonzern, dann die erfolgreiche Rallye-Karriere. Wie steht es aus Ihrer Sicht um die Gleichberechtigung?
Wir sind immer noch nicht so weit, dass alle gleichberechtigt sind. Aber ich denke, wir kommen der Sache allmählich näher. Das ist ein Prozess, der einfach dauert. Was Frauen noch lernen müssen, ist, sich gegenseitig zu helfen. Männer helfen sich viel mehr gegenseitig, um in gewisse Positionen zu kommen. Sie sind besser vernetzt, das hilft eventuell, den ein oder anderen Posten zu bekommen. Frauen helfen sich untereinander noch zu wenig.
Kleinschmidt: "Manchen hilft der Druck, manche hemmt er"
Nach Ihrem Rallye-Dakar-Sieg sind Sie 2002 zum Team von Volkswagen gewechselt. Wie arbeitet es sich denn als Sportlerin in einem Großkonzern?
Wenn sich eine so große Firma für eine bestimmte Sportart entscheidet, dann denkt sie auch, dass es gut für ihr Image ist. Das muss man immer im Kopf behalten. Das bedeutet für dich als Sportler dann auch eine große Verantwortung. Man muss erst einmal lernen, damit umzugehen. Ich habe zum Beispiel nie Angst davor gehabt, mich zu verletzen. Viel größer war der Respekt davor, mein Team zu enttäuschen. Und wenn dann ein so großer Etat dahintersteckt, dann macht es das nicht einfacher.
Glauben Sie, dass dieser Druck der Fußballabteilung zum Verhängnis wird – und sie deshalb oft hinter den Erwartungen bleibt?
Das kann sehr gut sein. Ich merke das auch sehr deutlich, wenn ich mit Nachwuchsfahrerinnen trainiere: Ohne Druck fährt es sich viel leichter. Sobald man sagt: "Jetzt geht’s um was", trennt sich die Spreu vom Weizen. Manche dagegen können gut mit Druck umgehen und werden so erst richtig gut.
So wie die Profis des FC Bayern, die nun mit Borussia Dortmund in der Tabelle gleichgezogen sind.
Ob beim FC Bayern alle gleich gut mit Druck umgehen können, weiß ich nicht. Aber grundsätzlich müssen gute Fußballer auch gut mit Druck umgehen können – und vor allem auch die Trainer.
Bayern gegen Wolfsburg: Kleinschmidt hofft auf ein Unentschieden
Niko Kovac hat vor Weihnachten seine erste heikle Phase überstanden.
Das stimmt. Und in so einer Situation dann die richtigen Entscheidungen zu treffen, das ist die große Kunst, das hat er gut gemacht und das zeugt auch von großem Selbstvertrauen.
Wie groß ist denn Ihre Verbundenheit zum VfL Wolfsburg noch?
Als ich für VW gefahren bin, habe ich mehrere Spiele besucht, ich bin dort sogar Ehrenmitglied. Wobei ich auch die Bayern mag, schließlich bin ich dort ja aufgewachsen. Generell bin ich nicht so der Typ, der einem Verein ein Leben lang die Treue halten muss.
Wenn man Sie also nicht im Wolfsburger Stadion trifft, wo dann?
Ich habe jetzt einen spannenden neuen Job, seit letztem Jahr arbeite ich bei der FIA, dem Welt-Automobil-Verband, als Senior Advisor und bin dort dafür verantwortlich, die Sportart Cross-Country-Rallye wieder nach oben zu bringen, die leider in den letzten Jahren etwas an Interesse verloren hat. Seit Anfang des Jahres bin ich auch noch Präsidentin der Cross-Country-Commission. Man trifft mich also wieder ganz häufig bei den Rennen.
Apropos Rennen: Wie endet nun das Duell zwischen dem Bayern-Ferrari gegen den Wolfsburg-VW?
Ich denke schon, dass es die Bayern packen werden, aber schön wäre ein Unentschieden.
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