Interview

Jürgen Kohler im AZ-Interview: "Hummels und Boateng sind wieder in der Spur"

Am Samstag kommt es in Dortmund zum deutschen Clásico zwischen dem BVB und dem FC Bayern. Die AZ sprach mit 1990-Weltmeister Jürgen Kohler über das Duell - und die deutschen Innenverteidiger.
von  Patrick Strasser
Der ehemalige Fußballprofi Jürgen Kohler spielte in seiner Karriere für den FC Bayern München und Borussia Dortmund.
Der ehemalige Fußballprofi Jürgen Kohler spielte in seiner Karriere für den FC Bayern München und Borussia Dortmund. © Rolf Vennenbernd/dpa

AZ: Herr Kohler, Borussia Dortmund empfängt den FC Bayern. Im Scheinwerferlicht sind drei von Bundestrainer Joachim Löw 2019 aussortierte Weltmeister, die aktuell auf höchstem Niveau performen: Thomas Müller, Jérôme Boateng und Mats Hummels. Lassen Sie uns über ihr ehemaliges Metier, über die Abwehrspieler sprechen. Kann es sich Löw erlauben, auf Hummels in dieser Form zu verzichten?
JÜRGEN KOHLER: Ich glaube schon, dass er weiter auf ihn verzichten kann. Löw hat sich klar geäußert und positioniert. Diese Entscheidung eines Trainers sollte jeder respektieren und akzeptieren.

Kohler: "Löw plant eben mit Jüngeren"

Dennoch fordern viele Experten ein DFB-Comeback von Hummels.
Natürlich ist es für den Spieler selbst schade und enttäuschend. Er ist ja nicht von sich aus zurückgetreten. Löw plant eben nun mit den Jüngeren wie Niklas Süle, Matthias Ginter oder Antonio Rüdiger. Selbst wenn man Hummels oder auch Boateng zurückholt: Man hätte doch - Stand heute - auch keine Garantie, dass sie im Sommer 2021 eine gute EM spielen würden.

Wie beurteilen Sie Hummels Leistungen zuletzt?
Natürlich hat er in den letzten Wochen seinen Teil dazu beigetragen, dass der BVB in der Defensive stabil steht und in der Bundesliga erst zwei Gegentore in sechs Partien kassiert hat. Über seine Leistungen hat er sich wieder mehr Selbstvertrauen geholt. Auf der anderen Seite: Gegen welche wirklich großen Mannschaften hat Dortmund in dieser Saison denn bisher gespielt?

Hummels und Boateng galten als Auslaufmodelle

Keine - mal abgesehen vom nicht wirklich relevanten Supercup gegen den FC Bayern.
Genau. Und wo war die defensive Stabilität bei der 1:3-Niederlage bei Lazio Rom?

Wie sehen Sie Boateng?
Er hat sich ab der Rückrunde der vergangenen Saison stabilisiert. Hummels und Boateng galten beide als Auslaufmodelle, haben jedoch wieder zu ihrer alten Form gefunden. Sie sind wieder in der Spur. Aber reicht das auf dem höchsten Level, wenn es in der Champions League oder bei Turnierspielen der Nationalmannschaften zur Sache geht?

Talente würden zu schnell in den Himmel gelobt, so Kohler

Welcher Bundesliga-Profi hat Ihrer Meinung nach das höchste Level?
Wir haben in Deutschland aktuell keinen Weltklasse-Innenverteidiger, der über einen längeren Zeitraum auf höchstem Niveau spielt - so wie das früher Katsche Schwarzenbeck oder Karl-Heinz Förster waren.

Und Jürgen Kohler.
(lacht) Danke für die Blumen. Ich möchte auch betonen: Es geht mir heutzutage viel zu schnell wie manche Talente nach nur wenigen guten Spielen in den Himmel gelobt werden. Ich bin ein Fan von David Alaba und seiner Spielweise in der Innenverteidigung, er ist für mich ziemlich nahe dran an der Weltklasse, obwohl er es auch noch nicht so lange hat beweisen können, seitdem er von der linken Abwehrseite in die Mitte umgezogen ist. Diese Saison hatte aber auch Alaba ein paar Wackler drin. Man wird auch erst einmal sehen müssen, wie er mit seiner persönlichen Situation rund um die Vertragsverlängerung umgehen wird.

Einschätzung zu Bayern Innenverteidiger Süle

Wie beurteilen Sie Bayerns Innenverteidiger Niklas Süle?
Er hat zwei Kreuzbandrisse hinter sich. Es spricht sehr für ihn und seinen Ehrgeiz, dass er sich wieder zurückgekämpft hat, dass er das Comeback geschafft hat. Wenn er nun längere Zeit verletzungsfrei bleibt, hat er gute Chancen, eine sehr positive Entwicklung zu nehmen. Süle ist 25, er kommt also eigentlich erst ins beste Fußballer-Alter hinein - und das beginnt etwa ab dem 25. Lebensjahr bis kurz nach Überschreiten der 30er-Marke. In der Zeit ist man als Fußballer auf dem höchsten Level der Leistungsfähigkeit.

"Ginter hat nun wohl seine Rolle gefunden"

Und Matthias Ginter?
Er spielt in einer sehr gut funktionierenden Gladbacher Mannschaft und macht seine Sache als Innenverteidiger sehr gut. Früher beim BVB hat er als Rechtsverteidiger oder im defensiven Mittelfeld gespielt, nun aber wohl seine Rolle gefunden. Und die Teilnahme der Gladbacher an der diesjährigen Champions League ist ein sehr gutes Pflaster für ihn, international zu reifen.

Was ist mit Chelseas Antonio Rüdiger und Leverkusens Jonathan Tah?
Chelseas Trainer Frank Lampard hat eben eine andere Spielidee und ein anderes Anforderungsprofil an einen Innenverteidiger - das passiert eben. Für die beiden ist es auf ihrem Karriereweg natürlich nicht hilfreich, dass sie momentan kaum zum Einsatz kommen. Jedes Pflichtspiel, das man in diesem Alter verpasst, obwohl man fit ist, tut weh und minimiert die weiteren Chancen. Die beiden durchleben eine schwierige Phase, ich würde die beiden aber nicht abschreiben.

Clásico als wegweisendes Signal für BVB und FC Bayern

Und: Wer gewinnt den deutschen Clásico?
Im Mai gab es mit dem 1:0 durch Kimmichs Lupfer ein knappes Ergebnis. Mit Blick auf die Meisterschaft wird es kein vorentscheidendes Spiel, dafür ist es noch zu früh in der Saison. Aber es könnte für den Sieger wie für den Verlierer ein wegweisendes Signal werden. Und es wird einen Sieger geben, kein Remis. Ich würde es dem BVB gönnen, glaube aber, dass Bayern gewinnt.

Warum?
Obwohl sie die beste Abwehr der Liga stellen, muss diese junge Dortmunder Mannschaft noch lernen. Gegen die offensive Qualität werden sich aber auch diese Dortmunder schwertun. Bei den Bayern kann jeder mit einer Aktion ein Spiel entscheiden.

 

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