Interview

Jürgen Kohler: "Ginter ist keiner, der den Unterschied macht"

Weltmeister und Verteidiger des FC Bayern, Jürgen Kohler, spricht in der AZ über den potenziellen Zugang Matthias Ginter, weint Niklas Süle keine Träne nach - und beklagt die mangelhafte Ausbildung der Jugend.
von  Thomas Becker
Passt nach Ansicht des ehemaligen Bayern-Verteidigers Jürgen Kohler nicht zum FC Bayern: Nationalspieler Matthias Ginter, der Borussia Mönchengladbach nach dieser Saison verlassen will.
Passt nach Ansicht des ehemaligen Bayern-Verteidigers Jürgen Kohler nicht zum FC Bayern: Nationalspieler Matthias Ginter, der Borussia Mönchengladbach nach dieser Saison verlassen will. © imago images/Sven Simon

AZ-Interview mit Jürgen Kohler: Der 56-jährige ehemalige Bayern-Star (1989-91) und Weltmeister von 1990 gilt als einer der besten Innenverteidiger seiner Zeit.

Ex-Nationalspieler Jürgen Kohler stand für den FC Bayern und Borussia Dortmund auf dem Platz.
Ex-Nationalspieler Jürgen Kohler stand für den FC Bayern und Borussia Dortmund auf dem Platz. © firo/Augenklick

AZ: Herr Kohler, der FC Bayern, Ihr ehemaliger Klub, scheint an dem Noch-Gladbacher Matthias Ginter interessiert zu sein. Dessen Transfer zu Inter Mailand hat sich nun offenbar zerschlagen. Wäre Ginter denn in Ihren Augen einer für den FC Bayern?
JÜRGEN KOHLER: Als Nationalspieler ist er natürlich schon interessant für den FC Bayern. Aber ob er wirklich die Verstärkung sein kann? Ich kenne ihn ja noch aus der Dortmunder Zeit: Er ist sicherlich ein guter Verteidiger, auch ein sehr vernünftiger Mensch, macht einen guten Eindruck, aber als Spieler würde er weniger zu Bayern passen. Er ist keiner, der den Unterschied macht, kein Lewandowski oder Neuer. Er hat bei Gladbach das ein oder andere gute Spiel gemacht, aber auch immer wieder Leistungsschwankungen drin, und das kannst du dir bei Bayern nicht erlauben. Da musst du konstant auf einem guten bis sehr guten Level spielen, wie Alaba - und das hat Ginter bislang nicht gemacht.

Wie sehen Sie die Abwehr des Rekordmeisters nach den Abgängen von David Alaba und Jerome Boateng?
Alaba war sicher der schwerwiegendste Verlust, weil er den FC Bayern gelebt hat. Er hat sich wirklich zu einem sehr guten Spieler entwickelt und war für mich gerade in der Triple-Saison der beste Abwehrspieler - und hat durch Standardsituationen auch noch entscheidende Tore gemacht.

Nachfolger Dayot Upamecano und auch Lucas Hernández sind bislang noch nicht wirklich eingeschlagen, korrekt?
Nö, beide haben keine Konstanz reinbekommen und im Moment auch keine beständige Form, so dass man sagen könnte: ‚Das ist eine Hausnummer für Bayern München'. Gerade international müssen die Bayern-Spieler noch zulegen.

Warum wackeln die Bayern hinten so krass? Wechselt Coach Julian Nagelsmann zu oft zwischen Dreier- und Viererkette?
Es ist wichtig für eine Abwehr, erst mal Sicherheit zu finden. Was schwierig ist, wenn permanent gewechselt wird. Klar, das ist modern, das müssen die Spieler heute können. Aber es ist nicht genügend Stabilität im gesamten Defensivverhalten in der Mannschaft - und das kann man nicht immer wettmachen. Zwei, drei Tore kann man in der Bundesliga vielleicht aufholen, aber international ist die Luft schon dünner.

Hätten Sie als Trainer oder Sportvorstand Niklas Süle gehen lassen?
Der Trainer wollte ihn ja nicht gehen lassen. Aber für Süle gilt dasselbe wie für Ginter: Beständig auf hohem Niveau über viele Jahre? Habe ich bei ihm auch nicht gesehen. Gut, er hatte zwei schwere Verletzungen, immer wieder gebraucht, bis er an die Leistung noch mal herangekommen ist. Ein guter Spieler, aber keiner, den Bayern unbedingt behalten muss.

Laut Jürgen Kohler nicht unverzichtbar: Niklas Süle.
Laut Jürgen Kohler nicht unverzichtbar: Niklas Süle. © picture alliance/dpa

Was gibt der Markt denn derzeit her?
Richtig gute Verteidiger findet man kaum. Das Problem hat nicht nur Bayern, sondern fast jeder Bundesligaverein.

Wie kommt's? Fehlt die gute alte Waldhöfer Schule, durch die Sie gegangen sind?
Es ist schon so, dass in der Jugend im Individualbereich nicht optimal ausgebildet wird, auch beim DFB nicht. Da heißt es immer 'Wir können ja nur mit den Spielern arbeiten, die man bekommt.' Aber auch beim DFB könnte man besser ausbilden, auch wenn man die Spieler nur eine bestimmte Zeit hat. Wenn man sich die Trainer im Bundesliga-Juniorenbereich anschaut: Die sind kaum älter als die Spieler selbst. Wie können die trotz fehlender Erfahrungswerte etwas vermitteln? Klar, nicht jeder gute Spieler wird ein guter Trainer oder Manager. Aber die haben einen großen Vorteil: Sie haben gewisse Dinge selbst erlebt. Die wissen einfach, wie gewinnen geht. Das kann man nicht lernen, das ist ein Erfahrungsschatz. Es ist viel zu viel an Werten auf der Strecke geblieben.

Braucht es wieder mehr Spezialistentum? Und nicht Sowohl-als-auch-Defensivspieler, die Innen- und Außenverteidigung können, so wie Hernández, Pavard oder Ginter?
Man braucht die Individualität der Spieler in bestimmten Positionen. Wenn Sie herzkrank sind, gehen Sie auch nicht zum Orthopäden, sondern zum Spezialisten.

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