Jerome Boateng über die schwierigste Phase seiner Karriere und Carlo Ancelotti
München - Beim Klassiker im Wembley-Stadion zwischen England und Deutschland am Freitagabend (21 Uhr live im ZDF) war Jérôme Boateng nicht als Spieler, sondern als Edelfan gefragt. Der Innenverteidiger des FC Bayern trat die Reise nach London mit an, um seine Nationalelf-Kollegen vor Ort zu unterstützen. Dabei gehörte er wegen muskulärer Probleme gar nicht zum Kader.
Safety first. Das ist Boatengs neues Motto nach mehr als anderthalb Jahren voller persönlicher Rückschläge. "Nicht, dass ich gleich wieder in die nächste Verletzung renne", erklärt er in der Süddeutschen Zeitung: "Davon habe ich zuletzt wirklich genug gehabt."
Kann man so sagen. Seit Anfang 2016 liest sich Boatengs Verletztenliste wie folgt: Zwei Muskelbündelrisse, eine komplizierte Sehnenverletzung in der Schulter, Probleme an den Oberschenkeln und Adduktoren. In dieser Zeit, die Boateng "finster" nennt, verpasste er für Bayern mehr als 60 Spiele.
Es ist nachvollziehbar, dass er jetzt, da ihm der Körper mal wieder Signale sendet, bis zur Winterpause kein Risiko eingehen will. Es sei "wichtig, mal das eine oder andere Spiel auszusetzen", so Boateng, "um in der Rückrunde stabil da zu stehen und wieder aufs alte Level zu kommen".
Dieses Top-Niveau erreichte Boateng seit der EM 2016 nur selten. Ein Grund aus Sicht des 28-Jährigen: die Überbelastung der Fußball-Stars, auf und neben dem Platz. "Wir spielen ja nicht nur, wir fliegen zwischendurch mal eben nach China." Eine kritische Anspielung auf die Asien-Reise des FC Bayern im Sommer. Boateng weiter: "Wir sind ständig auf Tour, und dann sagt der Körper halt mal: Ich bin auch noch da!"
Boateng: "In Paris waren die Spieler geschockt"
Boatengs kleine Brandrede. Aus Sicht des Weltmeisters hatte auch ein gewisser Ex-Trainer Anteil an seiner Formkrise: Carlo Ancelotti. Das Training unter dem Italiener sei "anders" gewesen, "als wir das vorher kannten", erklärt Boateng. "Und als Spieler spürt man schon, ob man bei 100 Prozent ist oder nicht."
Ancelotti wurde nach der 0:3-Klatsche Ende September bei Champions-League-Gegner Paris Saint-Germain entlassen, in der Partie hatte der Coach Boateng auf die Tribüne verbannt, zudem saßen etwa die Topstars Mats Hummels, Franck Ribéry und Arjen Robben auf der Bank.
Boateng erinnert sich in der SZ an die Zeit vor dem Spiel, sagt: "Das war schon sehr seltsam. Wir saßen im Besprechungsraum und fünf von uns wurde dann anderthalb Stunden vor dem Spiel gesagt, dass wir nicht spielen, plötzlich und ohne jede Erklärung."
Die betroffenen Spieler seien laut Boateng "geschockt" gewesen. Inzwischen fühlt sich der Weltmeister wieder „sehr wohl“ bei den Bayern – auch dank Jupp Heynckes, der für Boateng "mehr ist, als nur der Trainer, mit dem wir 2013 das Triple geholt haben".
Boateng über Heynckes: "Jeder fühlt sich wichtig"
Heynckes habe sich auch während seiner Verletzungspausen bei ihm gemeldet. Eine Unterstützung, die sich Boateng von der Vereinsspitze genauso gewünscht hätte: "Sagen wir so: Es war für mich interessant zu sehen, welche Leute nur da sind, wenn es einem gut geht und welche nicht."
Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge etwa hatte Ende 2016 Boatengs Aktivitäten abseits des Platzes kritisiert und gesagt, der Abwehrstar müsse wieder "back to earth" kommen. Nicht vergessen für Boateng, aber heute sagt er, man müsse "so was irgendwann verdrängen".
Die Zusammenarbeit mit Heynckes lobt Boateng ausdrücklich. Dessen "menschliche Art" sei ein "großer Faktor unseres gegenwärtigen Erfolgs", so Boateng. "Jeder fühlt sich wichtig, jeder wird ins Boot geholt. Das gibt uns Spielern das Gefühl, dass man diesem Mann was zurückgeben möchte."
Nach etlichen Verletzungen ist auch Boatengs persönliches Gefühl inzwischen wieder gut. Er traut sich zu, nach der WM 2018 noch die EM zwei Jahre später zu spielen. "Also 2020 sollte schon noch gehen. Hoffe ich jedenfalls."
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