„In meiner Heimat hat man mich dafür lächerlich gemacht“

Hier verrät Bayern-Coach Louis van Gaal, warum er Probleme mit der holländischen Mentalität hat, wie er Politik und Nachrichten wahrnimmt und wo er seine berufliche Zukunft sieht
AZ: Herr van Gaal, die AZ-Leser haben Sie zu Münchens Trainer des Jahres gewählt. Was sagen Sie jetzt?
LOUIS VAN GAAL: Vielen Dank. Das freut mich, das macht mich immer stolz. Ein Gruß an alle Leser.
Sie brauchen den Applaus, nur Punkte und Titel sind nicht die Erfüllung, oder?
Für mich ist Anerkennung das Wichtigste, das ist bei jedem Menschen so. Wenn man nur für Geld arbeitet, kann man das nicht lange beibehalten, kein Mensch kann das. Geld war für mich niemals an erster Stelle wichtig. Ich habe viel verdient, klar. Aber ich hätte viel mehr Geld verdienen können in Russland, in der Türkei oder in Italien, in Katar. Ich habe immer die sportliche Herausforderung gewählt, daher bin ich auch auf meine alten Tage der Trainerkarriere nach München gekommen.
Abgesehen vom Sport, vom Fußball: Für was steht das Jahr 2010 für Sie?
Ich denke an die Überflutungen. Es ist so schlimm, dass so viele Menschen keine Chance hatten. Das hat mich bedrückt. Das ist nicht nur einmal, sondern viele Male passiert – mit so vielen Toten. Wie dieser Tage in Australien. Es gibt so viel Leid in der Welt, wir sind privilegierte Menschen. Man merkt erst bei solchen Katastrophen wie klein der Mensch ist, gegen die Natur kann man nichts machen.
Was fällt Ihnen noch ein?
Nach dem Tsunami vor ein paar Jahren in Südostasien hat man in Holland viele Spenden gesammelt und jetzt sagt man, dass das Geld verschwunden ist. Man weiß nicht, wo es ist. Das finde ich unglaublich.
Konsumieren Sie regelmäßig Nachrichten?
Es ist für mich eine Verpflichtung, mich zu informieren. In der deutschen Gesellschaft bin ich ein Ausländer, aber ich versuche, alles aufzunehmen. Dennoch bin ich meistens mit der Politik und den Geschehnissen in Holland beschäftigt.
Mit Ihrer Frau Truus schauen Sie zu Hause holländisches Fernsehen?
Ja, aber nicht nur.
Sind Sie ein politischer Mensch?
Wir haben jetzt einen neuen Ministerpräsidenten, Mark Rutte. Er war für mich immer ein Mann mit guten Ansichten. Stark, good looking. Es ist schade, dass ich das nicht so direkt mitbekomme und verfolgen kann.
Sie wählen in München per Briefwahl?
Ja, das macht meine Tochter für mich.
Aber Sie entscheiden, wen Sie wählen:
Natürlich! Ich entscheide immer.
Neben dem Double ist den Fans hauptsächlich Ihr zweimaliger Auftritt als Feierbiest auf dem Rathausbalkon in Erinnerung geblieben.
In meiner Heimat hat man mich dafür lächerlich gemacht.
Ja? Dabei haben Sie doch die Wade des Jahres gezeigt.
Ja? Herrlich! Die Wade des Jahres, das ist gut (lacht). Meine Frau und ich fühlen uns deshalb in München so wohl. Da sind diese Werte und Normen der Menschen: der Respekt, die Höflichkeit, die Sicherheit, die Sauberkeit. Das bestätigt sich immer wieder – und auch dafür bin ich in Holland kritisiert worden. Dann sagen sie dort: Lass' den van Gaal in Deutschland!
Ein Trainer ist auch ein Entertainer, oder nicht?
Wenn wir Meister werden und so viele Leute wegen uns kommen, muss man auch ein wenig Spaß miteinander machen. Wenn man dann nichts sagt, wird das doch eine traurige Veranstaltung, oder? Dann muss man sich vorbereiten, was man sagen will, das habe ich gemacht. Aber selbst das wurde mir in Holland noch vorgeworfen: Er hat sich auch noch vorbereitet!
Erklären Sie uns den Unterschied in der Mentalität.
Wenn ein Mensch zu viel Höhe hat und ganz oben ist, dann wird er in Holland immer
Also wollen Sie nicht mehr in Holland arbeiten?
Doch. Vielleicht bei Ajax Amsterdam in einer anderen Rolle, als Generaldirektor. Aber dafür müssten die Verantwortlichen ausgetauscht werden, das wird nicht passieren. Ich könnte auch ein zweites Mal Coach der holländischen Nationalelf werden.
Wie bitte? Das war Ihre bitterste Enttäuschung, Sie haben damals die Qualifikation für die WM 2002 in den Sand gesetzt.
Diese Wunde bleibt. Dennoch: Ich bin immer für die große Herausforderung.
Und wenn eine andere große Fußballnation Sie als Trainer mit Blick auf eine WM engagieren möchte?
Ich würde immer Holland wählen, es ist mein Land. Damals habe ich das nicht gut gemacht, ich könnte einiges gutmachen. Aber die Chance ist nicht so hoch. Viel realistischer sind zwei andere Möglichkeiten: Erstens: Ich verlängere meinen Vertrag bei Bayern, was immer von den Ergebnissen abhängt. Und am wichtigsten ist mir die Meinung der Spieler: Spreche ich nicht mehr ihre Sprache oder bin ich zu alt geworden? Zweitens: Ich höre auf. Meine Frau macht Druck, ich hatte das schon einmal versprochen und konnte es nicht einhalten. Aber wenn man aufhört, wird man sehr schnell alt.
Interview: Patrick Strasser