„Immer voller Energie“ - Das AZ-Interview mit Jürgen Klinsmann

DUBAI - Seit gut einem halben Jahr ist er im Amt. Jürgen Klinsmann ist „keine Arbeit zu viel“. Im Interview mit der AZ erklärt der Bayern-Trainer, wie ihm die Familie beim Abschalten hilft und warum er sich mit Berti Vogts berät.
AZ: Herr Klinsmann, es könnte keinen größeren Kontrast geben. Dort Ihre Heimat Kalifornien, das entspannte, lässige Leben – hier die Baumetropole Dubai mit Hochhäusern wie Dominosteine. Gefällt es Ihnen hier?
JÜRGEN KLINSMANN: Sehr gut, ja. Es ist sehr spannend, zu sehen, was hier entsteht, was hier möglich ist. Das ist irre. Aber wichtig für uns sind die Trainingsbedingungen - und da passt alles: Klima, Hotel, Essen, Trainingsplatz.
Über die Weihnachtspause waren Sie mit Ihrer Familie in Kalifornien - wie gut hat es Ihnen getan, einmal 19 Tage weg von der Säbener Straße zu sein, weg vom Alltag FC Bayern, der Ihr Leben seit Anfang Juli bestimmt hat?
Es war für jeden, ob Spieler oder aus dem Trainerstab, schön, mal Luft zu schnappen, sich ein bisschen zurückzuziehen. Die Zeit mit meiner Familie war schön, wir haben Ausflüge gemacht - aber dennoch hatte ich immer den FC Bayern und die Vorbereitung auf die Rückrunde, alle anstehenden Planungen im Hinterkopf.
Gab es keinen Tag, an dem Sie richtig abschalten konnten?
Doch, doch. Es war eine schöne, relaxte Zeit. Diese fast drei Wochen Urlaub waren ja zum Glück ungewöhnlich lange für eine Winterpause. Für uns als Familie ist Kalifornien als Standort sehr wichtig, wir haben unser Haus dort ja behalten - es war schließlich für zehn Jahre unser Lebensmittelpunkt. Aber für meine Frau und mich war es auch spannend zu sehen, wie kommen die Kinder (Jonathan und Leila, d.Red.) nun in München zurecht, auch wenn wir die Stadt ja schon kannten durch meine Zeit als Spieler von 1995 bis ’97. Aber sie machen das toll.
Anfang Oktober hatte Ihnen Bayern-Manager Uli Hoeneß geraten, nach dem Motto ,Weniger ist mehr' zu leben. Mal sonntags etwas auszuschlafen, nicht derart viele Stunden auf dem Vereinsgelände an der Säbener zu verbringen. Wie hatten Sie das aufgenommen – und mittlerweile schon umgesetzt?
Das war auch ein Stückchen Wertschätzung seitens des Managers für meine Arbeit, denke ich. Er hat in den ersten Wochen und Monaten gesehen, wie ich die Dinge mit Vehemenz angehe. Er hat gemerkt: Das hat alles Hand und Fuß, ich überlasse nichts dem Zufall, da ist mir keine Arbeit zu viel. Zu meiner Zeit als Nationaltrainer habe ich in Kalifornien auch 12, 14 Stunden am Tag gearbeitet - vor allem musste ich wegen der Zeitverschiebung zu Deutschland ja frühmorgens mit den DFB-Verantwortlichen kommunizieren. Wenn ich da nur am Strand gesessen wäre, wäre anschließend bei der WM 2006 sicher nicht das Sommermärchen herausgekommen.
Dennoch: Sind Sie - auch mit den Erfolgen ab Mitte Oktober – entspannter geworden?
Wenn die von mir, vom Trainerstab angestoßenen Mechanismen greifen, wenn alles passt, kann ich mich auch am Abend mal zurückziehen und mit der Familie schön gemütlich zum Essen gehen. Aber es war auch so, dass ich viel Verantwortung trage. Ich habe einige Trainer mitgebracht, die mit ihren Familien nach München gezogen sind - da konnte ich eben nicht mal locker beginnen und sagen ,Das wird schon irgendwie'.
Sie waren anfangs frühmorgens oft der Erste, der an der Säbener in die Tiefgarage gefahren ist und haben das Gelände am frühen Abend als Letzter verlassen.
Ja, in der Anfangsphase war ich um 8 Uhr an der Säbener, heute auch noch. Ich mache das gerne, bin ohnehin ein Frühaufsteher, außerdem stehen die Kinder da schon zeitig auf der Matte und verlangen nach einem. Wir trainieren dann mit den anderen Trainern ein wenig für uns - der Morgensport ist mir sehr wichtig, ich muss mich immer voller Energie fühlen. Je früher am Tag, desto besser. Abends eher nicht. Am Abend will ich, wenn ich nach Hause komme, auch mal für die Kinder da sein, mich ihnen widmen.
Um mit Jonathan im Garten mal ein bisschen zu kicken?
Ja, klar. Er ist richtig fußballbegeistert. Aber auch er bekommt mit, wenn die Dinge nicht so laufen und wundert sich und fragt dann mal nach - oder was da los ist, wenn er den Papa im Fernsehen sieht.
Finden Sie Muße, am Abend auch mal ein Buch in die Hand zu nehmen oder auch nur ein wenig rumzuzappen?
Na klar, das kommt auch vor. Ich habe es immer geschafft, die richtige Balance zu finden. Am Anfang war eben die Konstellation, dass auch für mich alles neu war. Also habe ich mich reingehängt. Jetzt kann ich es auch mal ruhiger angehen lassen. Auch, weil ich einfach Vertrauen in mich, in meine Arbeit habe.
Und das nach sechs Monaten? Es war das erste halbe Jahr Ihrer Vereinstrainerzeit.
Es sprudelt ja nicht alles nur aus mir selbst heraus, wir haben ein großes Team, da bringt jeder seine Ideen ein, wir diskutieren. Aber auch wenn mal zwei Spiele verloren gehen wie im September und dann kommt noch so eine Partie wie gegen Bochum (Bayern verspielte in den letzten fünf Minuten eine 3:1-Führung, Endstand 3:3), ist das kein Problem für mich. Ich habe meinen Wissensschatz, ich habe meine Erfahrungen als Spieler gesammelt, ich habe mein Netzwerk an Leuten, mit denen ich dann kommuniziere.
Mit wem denn?
Mit Berti Vogts etwa. Oder mit Carlos Alberto Parreira, die rufe ich dann hin und wieder an und wir tauschen uns aus.
Nun haben Sie eine Hinrunde hinter sich, eine halbe Saison. Ottmar Hitzfeld hat in seiner ersten Bayern-Zeit sechs Jahre am Stück durchgehalten. Das wäre Ihre sechs Monate mal 12 - können Sie sich nun eher vorstellen, was er in alle den Jahren geleistet hat?
Es war für mich schon als Spieler immer interessant zu sehen, wie ein Trainer ständig unter Dauerspannung steht. Er ist derjenige, der die Gesamtverantwortung für die Mannschaft trägt, nicht der Stürmer, der in einem Spiel drei beste Chancen auslässt. Schon als Spieler habe ich zu meiner Zeit oft beobachtet, wie ein Trainer damit umgeht, da war ich neugierig. Wie reagiert er in schwierigen Zeiten? Was macht er? Was sagt er? Das war mir für meine Zeit als Nationaltrainer und Bayern-Coach jetzt sehr hilfreich.
Sie gelten in der Öffentlichkeit als Workaholic, sagen selbst, Sie finden immer die richtige Balance. Glauben Sie nicht, dass es Ihnen eines Tages alles zu viel sein könnte?
Nein, durch meine Familie und meinen Sport kann ich zwischendrin immer wieder auftanken, um nicht überfordert zu werden. Aber es ist doch auch immer spannend zu sehen, wie man mit so einer Situation umgeht - spannend für einen selbst.
Patrick Strasser