„Ich bin der Weichste von allen“

Für die Bayern-Fans ist Hermann Gerland eine Kultfigur. Er selbst sagt: „Ich bin nur das letzte Glied – der Osterhase Gerland!“ Die jungen Spieler aber bekommen einiges zu hören vom „Tiger“.
HERMANN GERLAND: Also, worum geht's?
AZ: Um den FC Bayern, Herr Gerland, um Ihre Arbeit, um die Stars, die Sie immer wieder in die Profi-Mannschaft führen...
Sehen Sie, schon haben wir ein Problem. Dieses Interview läuft darauf hinaus, dass der Gerland sich mal wieder selbst loben soll. Aber ich bin doch nur das letzte Glied hier. Ich möchte nicht, dass die Jugend-Trainer hier sagen, dass der Osterhase Gerland wieder mal einen Kommentar abgegeben hat sich wieder mal feiern hat lassen. Bei uns gibt es zum Beispiel den Jan Pienta, den kennen Sie wahrscheinlich gar nicht, oder?
Ehrlich gesagt, nicht.
Sollte man aber. Der ist Scout in der Nachwuchsabteilung und hat Lahm, Schweinsteiger, Müller hierhergeschleppt. Aber das wird überhaupt nicht erwähnt! Und es passt mir nicht, dass alle sich nur auf mich stürzen und ich als der große Talente-Entdecker gelte.
Wie weit sind denn die Spieler, wenn sie bei Ihnen anfangen?
Bevor sie zu mir kommen, haben sie im Juniorenbereich immer nur gegen Gleichaltrige gespielt. Und plötzlich geht es gegen alte Kämpen, die schon in der Bundesliga gespielt haben - und sie spielen vor Zuschauern. Das ist schon was völlig anderes. Nicht alle packen das gleich im ersten Jahr.
Ihr derzeitiger Kapitän Maximilian Haas ist so ein Beispiel...
Stimmt, als er zu uns kam, waren da Mats Hummels, Georg Niedermayer, Holger Badstuber, die dort gespielt haben. Wenn ich für eine Position vier, fünf Spieler habe, versuche ich den spielen zu lassen, von dem ich glaube, dass er die größte Perspektive hat. Aber momentan kann ich mir das nicht leisten.
Warum nicht?
Haben Sie mal auf die Tabelle geschaut?
Die Bayern-Amateure, der FC Bayern II, ist mitten im Abstiegskampf. Letzte Woche in Dresden haben Sie sich ziemlich aufgeregt über Ihre Spieler.
Eben. Momentan kann ich mir gar nichts erlauben, wir müssen sehen, dass wir Punkte holen. Ein Spieler wie Christoph Knasmüllner, von dem ich sehr viel halte und von dem ich weiß, dass er einer der wenigen ist, der das Zeug für ganz oben hätte, wird jetzt auf der Bank sitzen müssen, wenn er nicht in jedem Training richtig Gas gibt. Wir müssen erst da unten rauskommen.
Ihre gesamte Mannschaft war mit den Profis zusammen im Trainingslager, was Ihrer Truppe wohl mehr geholfen haben dürfte als den Profis...
Ich weiß nicht, ob uns das wirklich mehr geholfen hat. Wir waren in einem tollen Hotel, hatten beste Trainingsbedingungen. Die Spieler haben die Annehmlichkeiten jetzt kennengelernt. Aber die sollen sich nicht zu früh an den Luxus gewöhnen. Hier auf dem Trainingsgelände dürfen meine Spieler zum Beispiel nicht in den tollen Kraftraum der Profis.
Sondern?
Die trainieren im Keller. Meine Spieler sollen sich die Annehmlichkeiten des FC Bayern verdienen. „Verdienen" kommt von „Dienen", und „Beruf“ kommt von „Berufung". Und manchmal überlege ich, ob die Spieler sich wirklich berufen fühlen, die Fans und den Verein zu entzücken durch Leistung. Ich erwarte viel von meinen Spielern.
Zu viel?
Ich erzähle Ihnen was: Ich kenne mich mit dem ganzen Computerkram nicht so aus, aber unser Doc stellt uns am Computer immer Spielszenen zur Vorbereitung auf ein Spiel zusammen. Die Spielvorbereitung von uns im Trainerteam dauert manchmal zweieinhalb Stunden. Danach sage ich jedem der Spieler in der Sitzung klipp und klar, wer sein Gegenspieler ist, wo er zu stehen hat und so weiter. Und dann könnte ich so einen Hals kriegen, wenn dann in einem Spiel alles nach 90 Sekunden vergessen ist und wir ein Gegentor kassieren, weil sich einer nicht konzentriert hat. Ich könnte Ihnen da noch hunderte Beispiele nennen!
Ein paar würden schon reichen!
Wenn die Profis in der Allianz Arena spielen, was glauben Sie, wie viele Jugendspieler da freiwillig ins Stadion gehen? Kaum jemand. Der Bastian Schweinsteiger, der Philipp Lahm, Thomas Müller oder Badstuber, die waren immer da. Das ist auch, neben dem Talent, der Unterschied: Die interessieren sich für ihren Beruf, die nehmen die Hilfe an, die wollen es wirklich schaffen.
Was können Sie tun, um das Interesse und die richtige Einstellung bei den anderen zu wecken?
Reden natürlich. Was soll ich denn sonst tun?
Hilft's was?
Was glauben Sie, wem die mehr glauben? Mir oder ihrem Berater oder euch Journalisten? Die erfinden immer die tollsten Ausreden. Von wegen, sie hätten keine Zeit und zu viel zu tun. Wenn ich das schon höre! Was müssen die armen Jungs denn machen? Zur Schule gehen und dann noch trainieren. Dann müssen sie halt warten, bis sie Zeit haben für eine Freundin, dann müssen die Mädels halt warten. Ich hab damals Bankkaufmann gelernt und saß jeden Tag um sieben Uhr im Büro und habe die Post gemacht, damit ich um drei Uhr beim Training sein konnte.
Also alles eine Frage der Einstellung?
Ich gehe ja immer früh schlafen, also stehe ich auch früh auf. Spätestens um acht bin dann am Trainingsgelände. Und wenn ich sehe, dass einer aus dem Jugendinternat zu spät frühstücken geht, dann schnapp' ich ihn mir. Den walze ich dann nieder.
Da ist er wieder, der harte Hund Gerland!
Ach, was! Ich bin hier der Weichste von allen. Wenn einer von meinen Jungs es schafft, bin ich der erste, der Tränen in den Augen hat. Und wenn sie bei mir Leistung bringen über ein ganzes Jahr bin ich es, der hochgeht zu Herrn Rummenigge und für sie um einen Vertrag bettelt. Glauben Sie, dass das einfach wäre? Und wer glauben Sie bekommt dann immer die Sprüche ab, wenn meine Jungs mal einen schlechten Tag haben?
Ihr Verhältnis zu den Jungs, die es bei den Profis geschafft haben, gilt als sehr innig. Sie haben selbst keine Söhne, hegen Sie für Schweinsteiger, Lahm, Müller, Badstuber und all die anderen auch in gewisser Weise Vatergefühle?
Ich habe drei Töchter und einen Enkel! Nein, nein. Aber natürlich sind das meine Jungs, natürlich bin ich stolz. Aber sie geben mir auch alle was zurück. Der Bastian wollte mir seine Champions-League-Medaille schenken, weil er dachte, ich hätte keine bekommen. Ich setze mich für meine Jungs ein. Und wenn es mir nicht gelingt, jemanden beim FC Bayern unterzubringen, dann versuche ich es woanders. Unentgeltlich, natürlich.
Sie hätten wahrscheinlich viel Geld verdienen können, wenn Sie irgendwann Berater geworden wären.
Ich bin doch nicht verrückt! Auf keinen Fall, nie! Ich bin Trainer. Wenn meine Frau, meine Töchter und Enkel nichts zu essen hätten, dann - wobei, nein. Selbst dann nicht.
Interview: Filippo Cataldo