Humba-Tätärä mit Handbremse

Während sich die Fans auf der Leopoldstraße austobten, Freude sich die Bayern-Profis getrennt und verhalten - es warten schließlich noch große Aufgaben.
Eigentlich begann die Party schon um kurz nach halb fünf. Der Ball zirkulierte gerade ausnahmsweise unspektakulär durchs Bayern-Mittelfeld, als ein Aufschrei durch die Allianz Arena ging, als habe Arjen Robben gerade in der 119. Minute per Fallrückzieher das entscheidende 5:4 im Champions-League-Finale erzielt. Hat er aber nicht. Es stand 2:0. Gegen Bochum. Die Fans jubelten über einen Treffer, der viele Hundert Kilometer entfernt in der Schalker Arena gefallen war. Das 1:0 des Bremers Mesut Özil war für Bayern-Fans der schönste Treffer, den die Bayern nicht selbst erzielt hatten. Nicht nur für die Fans, auch für die Spieler. Philipp Lahm hatte Bremens 1:0 so erlebt: „Absolutes Gänsehautfeeling. Wir haben uns erst gewundert, aber dann konnten wir das Ergebnis auch auf der Anzeigentafel sehen.“
Eine halbe Stunde später war es amtlich: Schalke hatte zuhause verloren, Bayern 3:1 gewonnen und damit vor der letzten Partie bei Absteiger Hertha BSC Berlin drei Punkte und 17 Tore Vorsprung, war also quasi schon deutscher Meister. Doch die Bayern-Profis feierten vorsichtig. Das Bochum-Spiel war schon zwei Minuten Geschichte, doch erst als in Schalke abgepfiffen worden war, brach auf dem Münchner Rasen der rotweiße Jubeltanz aus.
Ausgerechnet den Oldenburger Party-Tiger Jörg Butt schickten die Meisterhüpfer vor die Südkurve, um sich von den Fans die fünf Buchstaben für das obligate Humba-Humba-Humba-Tätärä abzuholen. Das klappte so mittelmäßig, dass Dreifach-Torschütze Thomas Müller ihm beisprang und energisch wie immer den Zaun Richtung Fans enterte. „Der Jörg hat so seine Probleme mit den Fangesängen. Deswegen habe ich das übernommen.“
Auch gegenüber, vor der Nordkurve, hakte die Party. Diesmal sollte Franck Ribéry den Vorsänger geben, doch offenbar mussten ihm die Kollegen noch mal vorbuchstabieren. Miroslav Klose, noch so ein Party-Tier, wurde es dann zu bunt. Er zog den Widerstrebenden am Arm und schubste ihn vor die Kurve.
Eine Meisterfeier mit angezogener Handbremse. Martin Demichelis sagte: „Wir haben noch zwei Titel im Kopf, wir sind noch brav.“ Und so verlief der Meisterabend dann auch: brav. Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge zum Party-Plan: „Wir haben vor dem Spieltag festgelegt, dass wir auf eine Feier verzichten werden, selbst wenn Schalke verlieren sollte. Wir werden es nach dem letzten Spiel in Berlin richtig krachen lassen.“ Zumindest ein Korken ist dann doch explodiert in der Bayern-Kabine, nur wer der Feuerwerker war, wurde nicht völlig geklärt. Laut Rummenigge und Diego Contento hatte Bastian Schweinsteiger die Champagner-Jagd auf Trainer und Vorstand eröffnet, was dieser energisch abstritt: „Der van Bommel war’s!“ Wer auch immer es war, er war dem Augenzeugen Holger Badstuber zufolge sehr treffsicher: „Der Trainer hat am meisten abbekommen. Dann ist er weggerannt und hat sich versteckt." Van Gaal kommentierte die Attacke gewohnt sachlich: „Das Problem ist, dass ich schon Champagner getrunken habe. Und Champagner mit Rioja ist sehr schlecht. Dann habe ich morgen Kopfschmerzen. Aber ich werde mir doch ein Gläschen gönnen, denke ich."
Das tat auch Rummenigge, vor laufenden TV-Kameras. „Diese Mannschaft imponiert mir“, gab er zu, „Sie hat großen Willen und große Leidenschaft. Wir hatten keinen guten Start und wurden zurecht kritisiert. Glücklicherweise hatten wir im Herbst den Turnaround: den Sieg in Turin und die Mitgliederversammlung, als Louis van Gaal von den Fans gefeiert wurde, obwohl es sportlich nicht so gut lief. Da hat er erkannt, wie Bayern München tickt.“ Mittlerweile haben auch die Münchner verstanden wie der Holländer tickt. Manche haben auch sein Selbstverständnis adaptiert: „Wir wissen, dass wir unsterblich werden können, und das wollen wir auch alle.“ Sagte Holger Badstuber, ein 21-Jähriger, der vor einem Jahr noch in Liga drei spielte. Während 500 Fans schon hupend und fahnenschwenkend die Leopoldstraße besetzt hatten, gab van Gaal noch seine Presse-Show. „Ich habe auch meine zwei Töchter und meine Enkel eingeladen, weil ich erwartet habe, dass wir es heute schaffen", so der Chef-Planer, „das habe ich ihnen geschenkt.“
Pressekonferenzen mit ihm sind ein vorfreudig erwarteter Bestandteil der großen FC-Bayern-Show, die nicht nur auf dem Rasen stattfindet. Auch am Samstag gab es wieder ein paar schöne Ego-Sätze: „Es gibt nicht viele Trainer in Europa, die das Glück haben, in drei Ländern Meister zu werden.“ Oder: „Mein großes Vorbild war Rinus Michels. Der ist mit Holland 1988 Europameister geworden. Er war in Köln und Leverkusen und hat das hier auch nicht geschafft. Und ich habe das geschafft.“ Auch schön: „Ich habe zum Vorstand gesagt, dass wir alle Titel feiern werden. Ich bin ein Feier-Biest.“
Das Biest feierte diesmal noch mit der Familie: Eine seiner Töchter hatte Geburtstag. In Schuhbecks „Südtiroler Stuben“ am Platzl trafen sich die van Gaals im kleinen Kreis. Ähnlich beschaulich feierte Rummenigge: mit der Schwiegermama in der „Grünwalder Einkehr“.
Die Spieler hatten sich, was das Feiern angeht, laut Thomas Müller „keine Grenzen gesetzt“, was geschickt war, denn so konnte man auch keine Grenzen überschreiten. Während Diego Contento seinen Geburtstag („Gestern war ich 19, heute bin ich 20“) bei „Hugo’s“ mit Mannschaftskollege David Alaba und einem gewissen Franck Ribéry feierte, traf sich der Großteil der übrigen Mannschaft (Lahm, Butt, Klose, Müller, Schweinsteiger, Gomez, Robben, van Bommel) im von Security-Kräften abgeschotteten Szene-Griechen „Cavos“.
Auch Ribéry hatte wenig Lust auf Öffentlichkeit: Als zahllose Gäste Contentos Geburtstagstorte fotografieren wollten, sprangen noch zahlreichere Kellnerheerscharen herbei, um womöglich inkriminierende Fotos von den Kameras zu löschen. Dabei hätten die Fotos nur Conento, die Torte und Ribéry Arm in Arm mit Gemahlin Wahiba gezeigt.
Am Sonntagmittag waren die Party-Truppen wieder vereint: lockeres Auslaufen. Die nächsten zwei Tage sind frei, dann geht’s zur Jubel-Sause nach Berlin, wo die Meisterschale wartet, die am Sonntag auf dem Rathausbalkon eine Hauptrolle hat. Zuvor wird im Berliner Olympiastadion noch die Frage aller Fragen beantwortet: Wer duscht Gott? Wer traut sich, van Gaal mit dem zünftig-bairischen Ritual der Weißbierdusche vertraut zu machen?
Thomas Becker