Hoeneß: Zur Note 1 fehlt noch etwas
München - Uli Hoeneß lehnt sich auf seinem Korbsessel weit zurück, schließt kurz die Augen und träumt. „Der Champions-League-Sieg im eigenen Stadion, der wäre traumhaft“, sagt Bayern Münchens Präsident im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dapd und lächelt. Auch wenn der Schritt ins Achtelfinale schon lange geschafft ist – der Weg ist noch weit bis zu diesem 19. Mai 2012. Zumindest aber die Weichen sieht Hoeneß gestellt: „Wir haben die Vorrunde perfekt gemeistert. Insgesamt würde ich Mannschaft und Verein die Note 1,5 geben.“
Heißt übersetzt: Bayern München spielt noch nicht optimal, ist aber nah dran. Der Rekordmeister steht wieder an der Spitze der Bundesliga, dominierte die Gruppenphase der Königsklasse – zu einer glatten Note eins kann das bei den Ansprüchen der Bayern nicht reichen. „Wir haben es versäumt, in der Meisterschaft einen dicken Vorsprung herauszuspielen“, sagt Hoeneß, denn er weiß: „Dass Dortmund in der Champions League rausgeflogen ist, ist schwer für uns. Die können die sich jetzt ganz auf die Meisterschaft konzentrieren.“
DFB-Präsident? „Das hätte gerne jemand so gehabt“ Immer wieder schwenkt Hoeneß den Blick durch sein im Landhausstil eingerichtetes Büro im Obergeschoss der Bayern-Geschäftsstelle. Ihm gegenüber hängt das Bild, das heute noch für Gänsehaut-Momente sorgen kann. „Ich erinnere mich an 2001. Unser Champions-League-Sieg damals in Mailand war eine Genugtuung“, sagt er.
Der sonst so rational wirkende Ulmer lässt durchblicken, dass er noch einen großen Traum hat: Der Sieg im eigenen Stadion wäre die Bestätigung seiner inzwischen mehr als 30 Jahre dauernden Amtszeit. An eine neue Aufgabe, gar eine Flucht von seiner „zweiten Familie“ denkt Hoeneß daher keine Minute lang. Seit über 40 Jahren ist Hoeneß nun bei den Bayern, das vakante Amt als Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) kam für den Schwaben nie infrage.
„Jeder weiß, dass ich beim FC Bayern meine Heimat habe. Ich würde nicht nach Frankfurt ziehen, nur um DFB-Präsident zu werden. Das hätte vielleicht gerne jemand so gehabt“, sagt er. Dass Wolfgang Niersbach auf Theo Zwanziger folgen wird, hält Hoeneß für die richtige Lösung. Er selbst wird in München gebraucht.
Hoeneß' Mission ist noch nicht erfüllt, das merkt man ihm an. Zu sehen, „wie der Verein sich entwickelt hat“, macht den Weltmeister von 1974 stolz: Abtreten kann er aber nicht, bevor er weiß, dass der Erfolg auch ohne ihn anhält. In Christian Nerlinger sieht Hoeneß einen würdigen Nachfolger, zudem schwärmt er von seinem „alten Freund“ Jupp Heynckes. Jeder Gedanke an einen Nachfolger des 66-Jährigen sei daher „tödlich. Es gibt keinen Grund, darüber nachzudenken, überhaupt keinen“, sagt Hoeneß sehr bestimmt: „Der Jupp hat noch anderthalb Jahre Vertrag. Wenn er so weiterarbeitet wie bisher und gesund bleibt, dann wird er sicherlich hier bleiben.“
Spekulationen um den ehemaligen Bayern-Spieler Markus Babbel als Nachfolger erstickt Hoeneß im Keim. „Nur weil Herr Babbel in Berlin nicht verlängert, wird so ein Unsinn erfunden. Glauben Sie, wir würden sowas mit meinem Freund Jupp Heynckes machen? Nie und nimmer“, sagt er. Heynckes ist in seiner fast stoischen Art der Ruhepol, den ein pulsierender Verein wie Bayern München braucht: „Wir sind relaxt, er auch. Die Ruhe im Verein ist auch darauf zurückzuführen, dass er diese Ruhe hat.“
Unruhe ist Gift, das haben die vergangenen Wochen mit zwei Niederlagen und ersten Querelen gezeigt. Hoeneß betrachtet es daher als seine Aufgabe, von außen geschürte Turbulenzen gar nicht erst an die Mannschaft heranzulassen. Auch Superstar Arjen Robben, dessen angeblich zu egozentrische Art jüngst für viel Diskussionsstoff gesorgt hatte, nimmt Hoeneß in Schutz. „Da wir ein Thema aufgebaut“, das keines ist. Hoeneß stellt sein „breites Kreuz“ vor Robben: „Und ich halte einiges aus.“ Nur einmal wurde Hoeneß in dieser Saison richtig nervös. Beim knappen 1:0-Halbzeitstand im Playoff der Champions League gegen den FC Zürich. Hoeneß eilte zur Kabine, diskutierte im Vorraum laut mit Nerlinger. „Ich war so unruhig, schließlich ging es da um 50 Millionen.“ Und um seinen großen Traum.