Hitzfeld: Schuldgefühle wegen Deisler

Zweieinhalb Jahre nach seinem Karriere-Ende traut sich der Ex-Bayernstar erstmals wieder in die Öffentlichkeit. Er nennt sein Buch „Teil einer Therapie“. Sein ehemaliger Trainer Ottmar Hitzfeld macht sich Vorwürfe: "Wir hätten helfen können, dass er dem Fußball nicht verloren gegangen wäre."
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Die Abschieds-Pressekonferenz: Sebsatian Deisler (r.), mit Uli Hoeneß, verkündet am 16. Januar 2007 sein Karriere-Ende.
firo/Augenklick Die Abschieds-Pressekonferenz: Sebsatian Deisler (r.), mit Uli Hoeneß, verkündet am 16. Januar 2007 sein Karriere-Ende.

BERLIN - Zweieinhalb Jahre nach seinem Karriere-Ende traut sich der Ex-Bayernstar erstmals wieder in die Öffentlichkeit. Er nennt sein Buch „Teil einer Therapie“. Sein ehemaliger Trainer Ottmar Hitzfeld macht sich Vorwürfe: "Wir hätten helfen können, dass er dem Fußball nicht verloren gegangen wäre."

Robbie Williams, klar, drunter macht es Günther Jauch nicht, wenn er schon mal Sebastian Deisler zu Gast hat. Das gescheiterte Jahrhundert-Talent, gebrochen an (zu) vielen Verletzungen und dem Druck von außen (20-Millionen-Scheck) wie von innen (Depressionen). Jauch vergleicht ihn mit dem britischen Sänger, der sich einer großen Comeback-Tour nicht mehr gewachsen sieht. Nun ja.

Von einem Popstar ist Deisler heute weiter entfernt denn je. Fast drei Jahre raus aus dem Geschäft, das nie seines war, ist er fülliger geworden. Sein Comeback, der erste öffentliche Auftritt nach dem Rücktritt vom Profi-Fußball im Januar 2007, dauert kaum länger als die Halbzeitpause eines Fußballspiels; der Auftritt bei „Stern.tv“, Promotion für seine Biographie, wird der einzige bleiben.

"Ich hab' noch keinen richtigen Plan"

Jauch, der Grimme-Preisträger, stellt Fragen, die man als Journalisten eigentlich nicht stellt. „Wie geht es Ihnen heute?“. Und: „Was machen Sie den ganzen Tag?“ Jauch behandelt Deisler wie einen Patienten. Der antwortet, es gehe ihm „besser als vor zweieinhalb Jahren“, und über die Zukunft sagt Deisler: „Ich hab’ noch keinen richtigen Plan. Aber es geht weiter.“

Für diesen Auftritt und ein „Zeit“-Interview hat Deisler sich mit einem Coach zwei Tage lang vorbereitet. Er redet mit den Händen und sagt Sätze wie: „Ich war der Retter des deutschen Fußballs, ich sollte als erster Krieger aufgebaut werden..“ Pause. „Ich habe versucht, etwas zu sein, was ich nicht war.“ Stille.

Deisler, der traurig wirkt und immer noch gebrochen, war mal „Basti Fantasti“, das größte Talent seit Kaiser Franz, doch statt auf dem WM-Thron landete er im Max-Planck-Institut für Psychiatrie. Es ist die bedauerlichste Geschichte des deutschen Fußballs; Deisler selbst sagte der „Zeit“: „Nennen Sie es ruhig Teil einer Therapie. Es ist mein Abschlussbericht.“

An dem hat auch Ottmar Hitzfeld mitgearbeitet: „Auch die talentiertesten und optimal geförderten Spieler können nicht automatisch Siegermaschinen sein“, schreibt Deislers früherer Trainer im Vorwort der Biographie. Der Ex-Bayerncoach macht sich sogar Vorwürfe: „Wir haben es nicht früh genug gemerkt. Das grämt mich. Manchmal denke ich, dass wir, wenn wir Sebastians Situation früher erkannt hätten, ihm hätten helfen können, dass er dem Fußball nicht verloren gegangen wäre.“

"Es sind ein paar üble Sachen passiert damals, unterste Schublade"

Nun bleibt nur das Buch. Wer Deisler bei Jauch gesehen hat, fragt sich: Warum tut der sich das noch mal an? Es ist nicht das Geld, von dem er mehr als genug verdient hat; es sind auch keine Entzugserscheinungen, Popularität war nie Deislers Droge. Es will wohl seine Wahrheit erzählen. „Es sind ein paar üble Sachen passiert damals“, sagt er, „unterste Schublade, da hatte ich lange dran zu knabbern.“

Acht Jahre ist das her, dass er sich vom damaligen Hertha-Manager Dieter Hoeneß verraten und verkauft fühlte, weil er bei seinem Wechsel zu Bayern als Söldner dastand. Acht Jahre hat er gebraucht, um seine Wut rauszuschrei(b)en. Fast flehend sagt Deisler jetzt: „Ich hoffe, dass die Leute das Buch lesen, damit sie verstehen, wie es wirklich war.“

"Ich bin wieder in meiner Heimat, das gibt mir Boden unter den Füßen"

„Zurück ins Leben“ heißt das Buch. Ob er da angekommen sei, will Jauch wissen. Die Frage, so erwartbar sie ist, verunsichert Deisler, so ehrlich ist er: „Zurück ins Leben, das ist wirklich... also soweit ...da bin ich noch nicht ganz. Ich bin auf dem Weg dahin.“

Deisler ist 29 und zurück in Lörrach, von wo er als 15-Jähriger aufgebrochen war, die Fußballwelt zu erobern. „Ich bin wieder in meiner Heimat, das gibt mir Boden unter den Füßen“, sagt er. Er schaut auf die Schwarzwälder Hausberge und erklärt der „Zeit“, er werde nun das „Oberbadische Volksblatt“ abonnieren – denn: „Ich will wissen, ob in der Nachbarstraße Bäume gepflanzt werden sollen.“

Robbie Williams übrigens veröffentlicht heute eine neue Maxi-CD und gibt bald in London ein Konzert, das weltweit in 200 Kinos übertragen wird.

Sebastian Deisler wird nicht auf Lesereise gehen.

Gunnar Jans

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