Hitzfeld in München: "Der Job kostet viel Kraft"
Ottmar Hitzfeld auf Visite in München: Er erklärt, warum er einst in Dortmund so unglücklich war, später bei Bayern psychologische Hilfe brauchte und jetzt vom Tod eines Kollegen geschockt ist.
MÜNCHEN - Ein paar Schokoladenwaffeln? Nur, wenn Vanille drin ist. Da ist Ottmar Hitzfeld wählerisch. Und zu einem Gläschen Rotwein sagt der 62-Jährige gestern Abend doch nein. War ja auch kein Trainingslager vor einem Bayern-Spiel wie früher, sein Gesprächspartner nicht Uli Hoeneß. „Da haben wir immer zusammen gesessen und diskutiert”, sagte Hitzfeld. Erinnerungen. Die gute, aber auch stressige, alte Zeit.
Nun ist Hitzfeld Schweizer Nationalcoach – und hat viel mehr Zeit. Die verbringt er gestern Abend in Neuhausen, eingeladen als Gast beim „Audi Star Talk” (die Sendung wird am Dienstag, 23 Uhr bei „Sport1” gezeigt). Beim Rückblick auf sein Lebenswerk werden noch einmal die Bilder von seiner Verabschiedung nach der zweiten Bayern-Ära 2008 eingespielt – als Hitzfeld sich nicht mehr kontrollieren konnte. Er schluchzte, versuchte sich und seine Tränen vor 69000 Augenpaaren in der Arena hinter einem Blumenstrauß zu verstecken. Mehr als dreieinhalb Jahre später fasst ihn das immer noch an. Er sieht sich selbst beim Heulen zu. Bildschnitt, Kamera auf Hitzfeld. Er hat feuchte Augen, es fällt ihm schwer etwas zu sagen. „Nein, aber...” Er stockt, sagt leise: „Entschuldigung!” Er spürt die Macht der Gedanken. Gute Zeiten, schlimme Zeiten.
Ein Thema der Sendung. „Der Job kostet viel Kraft, man muss 25 Spieler zufrieden stellen und immer ans nächste Spiel denken”, erzählt Hitzfeld, der 2004 den Posten des Bundestrainers ablehnte, weil er Symptome eines Burn-Outs spürte. Selbst zu Florian Holsboer, dem Direktor des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie der Sebastian Deisler kümmerte, nahm er Kontakt auf: „Die Gespräche haben mir sehr geholfen.”
Schon 1991 als BVB-Trainer war er, aufgewachsen in Lörrach an der Grenze zur Schweiz, verletzlich. „Ich hatte die ersten sechs Wochen in Dortmund Heimweh, habe drei, vier Kilo abgenommen. Dortmund war ja für mich fast Ausland. Da konnte ich nicht mein Alemannisch oder Schwyzerdütsch sprechen, musste im Kopf richtig umschalten. Das konnte ich ja nicht vor der Mannschaft zugeben. Die Spieler hätten ja gedacht, was ist denn das für ein Weichei. Es hieß immer, ich sei streng oder ernst, dabei war ich nur unglücklich.”
Der Selbstmord des walisischen Nationaltrainers Gary Speed am Sonntag hat Hitzfeld sehr getroffen. „Das war für mich ein Schock, ein starker Schlag. Vor vier Wochen haben wir noch gegeneinander gespielt mit der Schweiz gegen Wales. Ich dachte, Speed wird Karriere machen, bald in England einen großen Verein trainieren. Es fällt einem ja nicht auf, wenn jemand psychische Probleme hat, darüber spricht man ja nicht in der Öffentlichkeit.”
Unter dem Eindruck des Suizidversuchs von Babak Rafati regte Hitzfeld an, Schiedsrichtern psychologische Unterstützung zur Seite zu stellen. „Trainer können Misserfolg mit der Mannschaft verarbeiten. Schiedsrichter haben niemanden. Außer vielleicht die eigene Frau, wenn sie nach Hause kommen.”
Es wurde aber auch gelacht gestern Abend. Hitzfeld bekam von Überraschungsgast Paul Breitner eine der 25 Kilo schweren Bayern-Chroniken geschenkt, das Exemplar Nummer acht. Dass diese bald mit dem Titelgewinn 2012 aktualisiert wird, daran glaubt Hitzfeld trotz der 2:3-Pleite in Mainz. „Es sah nach einem Alleingang der Bayern aus. Aber jetzt ist der Ausgang ungewiss.” Und Überraschungsteam Gladbach? „Der Titel geht nur über Bayern.” Seine alte Liebe.