Interview

Hitzfeld im AZ-Interview: "Musiala hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Scholl"

Im großen AZ-Interview spricht Trainer-Legende Ottmar Hitzfeld über das heiße Duell seiner beiden Ex-Klubs, Ausstiegsklauseln, Bayerns Erfolgsduo Flick und Salihamidzic sowie Müllers DFB-Comeback.
von  Patrick Strasser
Die 72-jährige Trainer-Legende Ottmar Hitzfeld gewann als BVB- und Bayern-Coach insgesamt sieben deutsche Meisterschaften und zweimal die Champions League.
Die 72-jährige Trainer-Legende Ottmar Hitzfeld gewann als BVB- und Bayern-Coach insgesamt sieben deutsche Meisterschaften und zweimal die Champions League. © Laurent Gillieron/KEYSTONE/Archivbild

AZ: Herr Hitzfeld, wie wichtig war das 1:0 der Dortmunder Borussia im DFB-Pokal-Viertelfinale in Mönchengladbach mit Blick auf den deutschen Clásico am Samstag, das Duell zwischen dem FC Bayern München und dem BVB? Wie viel Auftrieb gibt das den Dortmundern?
OTTMAR HITZFELD: Dieser Sieg in Gladbach gegen eine Spitzenmannschaft ist ein Motivationsschub, setzt Kräfte frei. Dortmund hat Substanz in der Mannschaft, aber viele relativ junge Spieler. Da ist es wichtig, Erfolgserlebnisse zu haben. Denn in der Regel können junge Spieler Rückschläge nicht so gut wegstecken wie die Erfahrenen. Und das Duell mit den Bayern hat einen enormen Wert, es geht ums Prestige. Ganz Deutschland, ganz Europa schaut auf dieses Spiel.

Hitzfeld: "Dortmund könnte in München Boden gutmachen und die Fans etwas versöhnen"

Die Dortmunder wollen zeigen, dass wieder mit ihnen zu rechnen ist. Dabei ist RB Leipzig doch momentan die zweite Kraft im deutschen Fußball, oder?
Zurzeit hat Leipzig den besseren Lauf, sie haben sehr gut eingekauft. Trainer Julian Nagelsmann macht einen guten Job, er kann die Mannschaft pushen. Außerdem haben sie weniger zu verlieren als Dortmund. Wenn Leipzig nicht oben mitspielt, dann kümmert das die Fans dort - aber interessiert nicht ganz Deutschland. Der BVB hat wie Bayern eine riesige Fangemeinde.

Könnten die Schwarz-Gelben mit einem Erfolg in München sogar noch in den Titelkampf eingreifen?
Nein, das glaube ich nicht, aber Dortmund könnte in München Boden gutmachen und die Fans etwas versöhnen, weil die Saison doch enttäuschend verlaufen ist. Für den BVB steht viel auf dem Spiel. Mit einem Schlag könnte man wieder Kraft schöpfen für die restliche Saison und doch noch einen Champions-League-Platz erreichen. Das ist ja finanziell enorm wichtig. Ich glaube aber nicht, dass Dortmund gewinnen wird. Dafür hat Bayern zu viel Substanz.

Abreibung für den BVB durch den FC Bayern

In den letzten Jahren gab es für den BVB in der Allianz Arena immer eine kräftige Abreibung - 4:0, 5:0, 6:0 hießen die letzten Ergebnisse.
Weil es auch für die Bayern-Profis spezielle Spiele sind. Jeder ist fokussiert, die Aufmerksamkeit gewaltig. Und dann ist Bayern eben einfach Bayern.

Dortmunds letzte Klatsche in der Allianz Arena war zugleich Hansi Flicks erstes Bundesliga-Spiel als Bayern-Trainer.
Dortmunds letzte Klatsche in der Allianz Arena war zugleich Hansi Flicks erstes Bundesliga-Spiel als Bayern-Trainer. © GES/Werner Eifried

Was denken Sie über den Wechsel von Gladbachs Trainer Marco Rose zum BVB?
Die Verantwortlichen haben beschlossen, dass sie einen Trainer brauchen, der schon eine gewisse Erfahrung hat, und Rose war auf dem Markt. Den Transfer an sich verstehe ich aus Dortmunder Sicht. Rose ist eine Trainerpersönlichkeit, ein guter Typ. Ich halte ihn wegen seiner Fachkompetenz, seines Auftretens und seiner Spielphilosophie für eine gute Lösung. Ich denke auch, dass er die Saison in Gladbach im Guten beenden kann, das Umfeld ist ruhig. Sportdirektor Max Eberl und Vizepräsident Rainer Bonhof haben viel Erfahrung, schützen ihn.

"Wenn man einen Vertrag unterschreibt, dann sollte man dazu stehen"

Der Wechsel kam nur zustande dank der Ausstiegsklausel in Roses Vertrag.
Ich finde diese Klauseln nicht gut. Ich selbst hatte nie welche. Meine Philosophie war immer: Wenn man einen Vertrag unterschreibt, dann sollte man dazu stehen. Ein Trainer ist ja auch ein Vorbild. Falls man ein Jahr vor Ende gehen möchte, kann man das ja besprechen. Bei Spielern möchte man das ja auch nicht. Wenn schon, dann verbunden mit einer sehr hohen Ablösesumme.

Interimstrainer Edin Terzic, zuvor Assistent von Lucien Favre, bekommt von den Spielern um Mats Hummels viel Lob. Denken Sie, dass Terzic wirklich klaglos als Co-Trainer von Rose ins zweite Glied rücken wird?
Die Verantwortlichen werden ihm in Aussicht gestellt haben, dass er langfristig bleiben kann, weil er für den Verein wichtig ist. Terzic wird auch in der Gehaltshierarchie aufsteigen.

Hitzfeld findet Bayern-Trainer Flick hat "Sensationelles geleistet"

Und wenn Angebote anderer Vereine kommen, die ihn mit einem Cheftrainer-Posten locken?
Dann muss er überlegen: Wohin führt mein Weg? Er ist noch relativ jung, angenehm im Auftreten, hat ein gutes, enges Verhältnis mit der Mannschaft. Man darf aber nicht zu eng verbündet sein. Wenn man Co-Trainer ist, hat man einen anderen Bezug, ist auch Freund der Spieler, hat immer ein offenes Ohr für sie. Der Cheftrainer trifft die Entscheidungen, stößt die Spieler vor den Kopf, die nicht spielen. Der Assistent beruhigt sie dann wieder (lacht).

Die Architekten des Erfolgs: Hansi Flick (r.) hat laut Hitzfeld "Sensationelles" geleistet - und auch Hasan Salihamidzic bekommt ein Extra-Lob.
Die Architekten des Erfolgs: Hansi Flick (r.) hat laut Hitzfeld "Sensationelles" geleistet - und auch Hasan Salihamidzic bekommt ein Extra-Lob. © Frank Hörmann/Sven Simon / Poolfoto via sampics

Damit sind wir bei Hansi Flick und dessen Aufstieg vom Co-Trainer zum Chefcoach, der sechs Titel gewann. Steigen nun der Druck und die Erwartungen?
Hansi Flick hat Sensationelles geleistet, das Triple war unglaublich. Man hat ja nicht glücklich gewonnen, sondern überlegen. Das zu bestätigen und das Level hochzuhalten ist schwierig für einen Trainer, weil die Spieler so viel erreicht haben und nun etwas zufriedener sind. Also ist es normal, dass es Rückschläge gibt wie etwa das Aus im DFB-Pokal in Kiel. Solche Sensationen habe ich auch durchmachen müssen (schmunzelt).

Jamal Musiala ist "ein Gewinn für den DFB"

Haben Sie sich gefreut, dass sich der 18-jährige Jamal Musiala für die deutsche und gegen die englische Nationalmannschaft entschieden hat?
Ja, natürlich. Er ist ein Gewinn für den DFB, ein Versprechen für die Zukunft. Ich muss der sportlichen Leitung um Hasan Salihamidzic ein Riesenkompliment machen für die guten Transfers zuletzt - nicht nur Musiala, auch Alphonso Davies gehört dazu. Das sind mental und physisch starke, technisch sehr gute, schnelle Spieler. Man muss diese Talente erst einmal entdecken, Brazzo hat da ein gutes Auge. Flick ist dann der Architekt, der die Mannschaft zusammenstellt. Musiala hat in seiner Spielweise eine gewisse Ähnlichkeit mit Mehmet Scholl, der auch ein Filigrantechniker war.

Löw hat im Fall Thomas Müller vielleicht zu früh entschieden

Wie bewerten Sie die Aussagen von Bundestrainer Joachim Löw, der nun die Tür aufgemacht hat für eine Rückkehr von Thomas Müller, Mats Hummels und Jérôme Boateng, die er im Zuge des Umbruchs im März 2019 aussortiert hatte?
Müller ist wieder total über sich hinausgewachsen, hat Weltklasse gespielt, entscheidende Pässe gegeben und Tore geschossen - so wie man ihn kannte. Er hatte ja einmal ein Leistungstief. Löw hat diese Entscheidung vielleicht zu früh getroffen. Zu dem Zeitpunkt hatte Müller eben nicht so überragend gespielt, Hummels und Boateng auch nicht.

"Müller ist wieder total über sich hinausgewachsen": Hitzfeld empfiehlt Joachim Löw, den Ober-Bayern mit zur EM zu nehmen.
"Müller ist wieder total über sich hinausgewachsen": Hitzfeld empfiehlt Joachim Löw, den Ober-Bayern mit zur EM zu nehmen. © Stefan Matzke / sampics / Pool

Glauben Sie, dass Löw die Rolle rückwärts macht?
Es geht in meinen Augen auch darum, was Löw vorhat: Will er nur noch diese EM coachen oder will er danach weiterarbeiten? Dann müsste er zu seiner Entscheidung des angefangenen Umbruchs stehen. Wenn er sagt, ich will jetzt das Beste bei diesem Turnier herausholen und dann aufhören, dann fällt er womöglich eine andere Entscheidung.

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