Hitzfeld im AZ-Interview: "Guardiola hat Bayern geprägt"
München - Der 67-Jährige gewann als Trainer mit Borussia Dortmund und dem FC Bayern die Champions League, holte mehrere Meistertitel und DFB-Pokal-Siege. Nach der WM 2014 als Schweizer Nationalcoach beendete er seine Karriere.
Herr Hitzfeld, die Darmstädter haben sich mit fünf Gelbsperren für das Spiel am Samstag beim FC Bayern selbst dezimiert. Ein cleverer Schachzug, weil sich der Aufsteiger beim Meister ohnehin nichts erwartet – oder dreiste Wettbewerbsverzerrung?
Ottmar Hitzfeld: Es ist ja nicht verboten, Gelbe Karten zu bekommen. Das Regelwerk des DFB gibt so eine Situation, wie sie am Samstag passiert, her. Trainer Dirk Schuster hat sich nicht dazu geäußert, es gibt also nur eine Vermutung, dass ein Plan dahintersteckte. Wenn man sich in die Darmstädter Situation versetzt: Was wollen sie in München holen? In 100 Spielen können sie vielleicht ein Mal gegen die Bayern punkten. Entscheidend aber ist: Für Darmstadt geht es gegen den Abstieg, das ist Existenzkampf.
Bayern kann sich drei Tage vor dem Duell mit Juventus Turin also auf einen freundlichen Sparringspartner freuen?
Na ja, für die Bayern ist die Aufgabe jetzt noch undankbarer, weil man weiß, dass Darmstadt personell stark geschwächt kommt. Aber Pep Guardiola zieht ohnehin sein Spielsystem durch, egal gegen wen.
Endlich Luxus: Was plant Pep mit Götze und Ribéry?
Auch wenn es kommende Woche richtig ernst wird gegen Juventus Turin, im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League? Ist Bayern wirklich Favorit?
Juventus hatte im Herbst eine leichte Krise, jetzt wieder Selbstvertrauen durch die Siegesserie. Die Italiener sind vor allem in der Defensive gefestigter. Trotzdem wird es aus meiner Sicht kein Duell auf Augenhöhe, da es die Bayern aufgrund ihrer individuellen Klasse richten werden, vor allem wegen ihrer überragenden Offensive um Lewandowski, Müller, Robben, Costa und Coman.
Wie kann Guardiola das Fehlen der Innenverteidiger Jérôme Boateng, Javi Martínez, Holger Badstuber und Medhi Benatia kompensieren?
Bayern will und wird das Spiel im Griff haben, es beherrschen, einen hohen Rhythmus gehen – das ist die Philosophie von Guardiola. Dominanz durch Ballbesitz ist das Ziel, dazu ein hohes Offensivpressing, so bekommt der Gegner kaum die Chance, die Bayern in der Abwehr unter Druck zu setzen.
Und personell?
David Alaba ist ein Geschenk des Himmels, er könnte auch auf der Nummer 10 spielen. Er hat eine hohe Spielintelligenz.
Das Gespann Alaba und Joshua Kimmich hat bisher gut funktioniert.
Das stimmt, sie waren in Augsburg souverän. Auch Kimmich hat ein gutes Spielverständnis, fordert Bälle, ist sehr passsicher. Daran sieht man, welch gutes Auge Guardiola hat, dass er Kimmich für diese Position entdeckt hat.
Fehlt es wegen der kleineren Spieler nicht an der Kopfballstärke gegen Juve?
Guardiola will vermutlich die Abwehr durch die spielstarken Verteidiger entlasten. So kann man die Gefahr vom eigenen Tor fernhalten.
Guardiola wird am Ende seines dritten Jahres auch am Abschneiden in der Champions League gemessen. Beeinflusst das die letzten Monate?
Jeder beim FC Bayern will Erfolg, will Titel. Die Meisterschaft ist das Alltagsgeschäft, das darf man nicht vergessen oder gar unterschätzen. Du musst als Trainer dein Team ein Jahr auf hohem Level halten. Auch mit dem Double hätte Pep einen sehr guten Abschluss, mit dem Gewinn der Champions League einen glorreichen. Für die Spieler ist es nicht so wichtig, wer der Trainer ist, sie wollen den bestmöglichen Erfolg. Aber für einen scheidenden Coach erhöht sich immer der Druck, nun wird Erfolg erwartet.
Was, abgesehen von Titeln oder Enttäuschungen, wird von Guardiola nach drei Jahren bleiben?
Er hat den FC Bayern geprägt, die Mannschaft und jeden einzelnen Spieler weiterentwickelt und hat mit seiner Spielidee auch dem deutschen Fußball viel gegeben.
War es richtig, dass Guardiola zugegeben hat, sich hin und wieder über den Kader von Manchester City, seinem Verein ab Juli, Gedanken zu machen?
Es ist immer besser, ehrlich zu sein und mit offenen Karten zu spielen. Es liegt auf der Hand, dass Transfers abgesprochen werden müssen. Man kann das nicht erst ab 1. Juli erledigen, das glaubt auch kein Fan. Ein Spitzentrainer muss das parallel handeln können.
Waren Sie selbst einmal in solch einer Situation?
Ja, als 1991 feststand, dass ich vom Grashopper Club Zürich zu Borussia Dortmund ging. Ich hatte im März beim BVB unterschrieben. Man kann das gut trennen, es erhöht aber den Druck für einen persönlich. Daher ist großer Einsatz gefordert, die Doppelbelastung ist enorm. Aber es gehört zum Trainerjob dazu.
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Was halten Sie von Guardiolas Nachfolger Carlo Ancelotti?
Bayern hat die bestmögliche Alternative gefunden. Ancelotti ist ein renommierter Trainer, der bei jedem großen Klub Titel geholt hat. Es ist ideal, dass die Entscheidung so früh gefallen ist. Er kann sich nun auf Bayern und die Bundesliga vorbereiten, dazu Deutsch lernen.
Ein anderes Thema: Haben Sie Kontakt zu Ihrem ehemaligen Spieler Bastian Schweinsteiger? Er fehlt seit Anfang Januar verletzt. Glauben Sie, dass er rechtzeitig zur EM in Frankreich wieder fit wird?
Die Europameisterschaft ist sein großes Ziel, er ist der Kapitän von Jogi Löw. Er wird alles daran setzen, 100 Prozent einsatzfähig zu sein. Er muss nun die körperlichen Voraussetzungen schaffen für sein Comeback. Aber ich kenne Bastian. Er hat eine Top-Einstellung, eine enorme Willenskraft. Für Löw und die Nationalelf ist er immer noch sehr wichtig.