Interview

Historiker über FC Bayern im Nationalsozialismus: "Der Ruch des Kaffeehaus-Clubs"

Der Historiker Gregor Hofmann hat die Geschichte des FC Bayern erforscht. Hier spricht er über den Mythos Judenclub, die Frage, welche Beziehung die Bayern in den 30ern zur Stadt pflegten – und Unterschiede zu 1860.
von  Felix Müller
Die Meistermannschaft des FC Bayern vor dem Endspiel in Nürnberg gegen Eintracht Frankfurt am 12. Juni 1932.
Die Meistermannschaft des FC Bayern vor dem Endspiel in Nürnberg gegen Eintracht Frankfurt am 12. Juni 1932. © FC Bayern Museum

München - AZ-Interview mit Gregor Hofmann. Der Historiker hat am Institut für Zeitgeschichte über den FC Bayern im Nationalsozialismus promoviert.

AZ: Herr Hofmann, Sie schreiben aus der Sicht des Historikers, dass die Geschichte des FC Bayern noch viele blinde Flecken hat. Ist das nicht überraschend, bei einem Weltclub, einem Weltunternehmen?
GREGOR HOFMANN: Der FC Bayern gehört zur Fußballwelt. Und dort ist man insgesamt relativ spät dran bei der Aufarbeitung der eigenen Geschichte. Viele andere Unternehmen haben damit, wenn auch oft widerwillig, etwas früher angefangen.

Fans als treibende Kraft bei Aufarbeitung der Vereins-Geschichte

Im Fußball waren es oft nicht die Funktionäre, sondern kritische Fangruppen, die das Thema entdeckt haben, oder?
Ja. So ist es auch bei den Bayern. Wo um das Jahr 2000 herum ein großes Interesse für Präsident Kurt Landauer und andere jüdische Funktionäre und Mitglieder entstanden ist. Mit deren Geschichte haben sich viele Fans, später auch das Bayern-Museum beschäftigt. Diese Vorarbeit war ein Schatz für meine Arbeit.

Die Ultra-Gruppen des FC Bayern haben Kurt Landauer immer wieder mit beeindruckenden Choreographien in der Südkurve der Arena geehrt - wie auf diesem Foto mit einem Landauer-Zitat in der Saison 2013/14.
Die Ultra-Gruppen des FC Bayern haben Kurt Landauer immer wieder mit beeindruckenden Choreographien in der Südkurve der Arena geehrt - wie auf diesem Foto mit einem Landauer-Zitat in der Saison 2013/14. © sampics

Kürzlich, bei der Mitgliederversammlung, ging es wieder viel um den laxen Umgang der Bayern-Führung mit dem Unrechtsstaat Katar. Sind die Verantwortlichen beim Aufarbeiten mit der Nazi-Vergangenheit ausreichend kritisch?
Ja, auf jeden Fall. Ich bin kein Bayern-Fan. Aber ich hatte von Anfang an den Eindruck, dass ein ernstes Interesse besteht. Mein Projekt ist auch entstanden, weil der FC Bayern selbst das Institut für Zeitgeschichte damit beauftragt hat.

Welche Erkenntnis hat Sie in Ihrer Arbeit selbst am meisten überrascht?
Wie viele frühe Nationalsozialisten es auch beim FC Bayern auf allen Ebenen gab. Schon in der Weimarer Republik gibt es da offenbar keine Berührungsängste. Es gab im Verein ein großes Spektrum.

Beförderung von jüdischen Mitgliedern bis zur Mitte der 1930er-Jahre

Heute beziehen sich viele positiv auf die Geschichte des Clubs. Sie klingen da etwas kritisch, schreiben, es stimme nicht, dass die Bayern in der Weimarer Republik ein durch und durch liberaler, kosmopolitischer Club gewesen seien.
Durch den Blick auf die jüdischen Mitglieder ist einfach etwas zu sehr aus dem Fokus geraten, wie groß die Bandbreite war. Ich gehe von 90 Prozent nicht-jüdischen Mitgliedern im Jahr 1933 aus. 1934 werden sogar noch jüdische Mitglieder im Verein befördert. 1933 gibt es innerhalb der Bayern Streit, auch das zeigt die Bandbreite. Noch aber setzen sich diejenigen durch, die sich gegen einen Ausschluss jüdischer Mitglieder aussprechen. 1934 werden auch noch jüdische Mitglieder im Vereinsheft geehrt. Das wäre beim TSV 1860 zu dem Zeitpunkt undenkbar gewesen.

1935 aber geben sich die Bayern einen eigenen Arisierungsparagrafen. Wie konnte das geschehen?
Offensichtlich hat sich die Stimmung gedreht. Man hat 1935 auch einen ersten Dietwart berufen, also jemanden, der innerhalb des Vereins für die Durchsetzung völkischer Politik verantwortlich ist.

Fußballl vor Ruinen: Die Bayern spielen im Herbst 1945 im Grünwalder.
Fußballl vor Ruinen: Die Bayern spielen im Herbst 1945 im Grünwalder. © FC Bayern Museum

"Keine Direktive, sich zum System zu bekennen"

Zwingt der NS-Staat den Verein zu Maßnahmen?
Nein, es ist den Vereinen freigestellt, ob sie überhaupt Regelungen zu jüdischen Vereinsmitgliedern treffen. Aber natürlich befindet man sich 1935 in einer allgemeinen Welle von Antisemitismus. In München werden Geschäfte beschmiert, es gibt Ausschreitungen, dann kommen die Nürnberger Gesetze. Aber es gibt keine Direktive, dass sich der FC Bayern zum System bekennen muss. Und er wird auch nicht systematisch benachteiligt.

Heißt das auch, dass der FC Bayern zeitgenössisch gar nicht als Judenclub wahrgenommen wurde?
Doch, das ist vorstellbar. Bayern galt als reicher Club aus der Innenstadt, dann sogar noch aus Schwabing. Das hat den Ruch des Kaffeehauses. Eintracht Frankfurt hatte ein ähnliches Image. Dann steht auch noch Kurt Landauer an der Spitze.

Kurt Landauer 1930 bei einem Bayern-Vereinsjubiläum.
Kurt Landauer 1930 bei einem Bayern-Vereinsjubiläum. © FC Bayern Museum

Aber es gibt es gar keine Quellen, die klar auf ein solches Image hinweisen?
Kleine Hinweise gibt es schon. So klagt der Dietwart 1935 im Vereinsheft, dass der FC Bayern ja nicht gerade auf völkischer Grundlage aufgebaut sei. Ein Mitarbeiter des Oberbürgermeisters sagt 1944 abwertend, dass der FC Bayern früher von einem Juden geführt wurde.

Andererseits ist der Nazi-Oberbürgermeister Karl Fiehler Bayern-Fan, oder?
Ob er Fan ist, weiß ich nicht. Aber er geht zu internationalen Spielen, zwei wichtige Spieler sind bei der Stadt angestellt.

So verhält sich doch kein OB, der den Verein bekämpft.
Nein, das tut die Stadt auch nicht. Die Bayern spielen ja auch im städtischen Dantestadion. Übrigens steht auch im "Völkischen Beobachter" kein schlechtes Wort über die Bayern.

Bedeutung von Landauers Rücktritt 

Was bedeutet der Rücktritt des jüdischen Präsidenten 1933 für die Juden im Verein?
Landauer isst ja seine Schweinswürschtel, er geht nicht in die Synagoge, ist selbst gar nicht so religiös. Aber ich glaube schon, dass es eine Wirkung hat, es gibt dann auch eine Austrittswelle jüdischer Mitglieder, man fühlt sich nicht mehr willkommen. In der Mitgliederzeitschrift steht, dass Landauer den Schritt tut, weil er glaubt, ihn tun zu müssen. Es ist schon klar, dass er sich aufgrund der äußeren Umstände gezwungen sieht.

Sind Bayern-Funktionäre an Verbrechen beteiligt?
Es gibt zum Beispiel Josef Kellner, "Vereinsführer" 1938 bis 1943. Der wird 1938 ins Sudetenland abgeordnet, ist dort später die Nummer 3 in der staatlichen Verwaltung. Ihm kann man die Beteiligung an Verbrechenskomplexen nachweisen.

Einflussreiche NSDAP-Mitglieder und ihre Ämter bei 1860 München

Der TSV 1860 hat den Ruf, ein Naziclub gewesen zu sein. Unterscheiden sich Rote und Blaue in ihrer Geschichte weniger als angenommen?
Die vielen frühen NSDAP-Parteimitglieder sind ein gemeinsames Münchner Phänomen. Das gab es in Düsseldorf oder auf Schalke so nicht. Was den TSV 1860 von den Bayern unterscheidet, sind die Kanäle ins Rathaus. Bei den Löwen übernahmen einflussreiche alte Kämpfer auch selbst Vereinsämter. Das könnte sogar reichsweit ein besonderer Fall sein.

Sie schreiben, dass bei Bayern-Spielen in den 40er Jahren auch Kriegsgefangene eingesetzt werden.
Ja, ab dem Winter 1940/41 müssen sie den Platz räumen. Es geht um französische Kriegsgefangene. Aber man muss das schon ein bisschen in Relation setzen, zu dem, was andere Zwangsarbeiter in Deutschland erleiden. Den Leuten wird ihr freier Samstag geraubt. Aber es geht nicht um blutige Verbrechen. Das Beispiel zeigt vor allem, dass man die Fußballgeschichte nicht von der deutschen Geschichte trennen kann – und wie präsent Zwangsarbeiter überall im deutschen Alltag waren.

Ehrung mit Nazi-Weihen 1944 im Dantestadion.
Ehrung mit Nazi-Weihen 1944 im Dantestadion. © Stadtarchiv

Auf der Titelseite Ihres Buchs ist eine Szene aus dem Dantestadion zu sehen.
1944, die Bayern haben den Gaumeistertitel für Südbayern gewonnen. Der "Gausportführer", ein General der Waffen-SS, übergibt einen Lorbeerkranz. Das zeigt, dass die Bayern nicht von den Nazis geschnitten wurden.

57 verfolgte Münchner Juden kehren nach Kriegsende zurück, darunter Landauer

Landauer kehrt nach dem Krieg nach München zurück.
Ja. Und damit ist er eine absolute Ausnahme. Es waren nur 57 verfolgte Münchner Juden, die wieder hierher kamen.

Kehrt er wegen seiner Liebe zum FC Bayern heim?
Das ist neuerdings umstritten. In einem Brief schreibt er explizit, er kehre nicht wegen der Bayern zurück. Sondern wegen Maria Baumann, seiner späteren Frau.

Sie klingen nicht so recht überzeugt.
Ich glaube, man darf da ein bisschen kritisch sein. Dieser Brief endet mit einem Heiratsantrag. Es könnte ja auch mehr als einen einzigen Grund geben. Landauer sucht jedenfalls schnell wieder die Nähe zum FC Bayern, wird wieder Präsident, es hat schon etwas von einer triumphalen Rückkehr.


Gregor Hofmann: "Mitspieler der Volksgemeinschaft - Der FC Bayern und der Nationalsozialismus" ist soeben bei Wallstein erschienen, 526 Seiten, 28 Euro.

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