Heynckes: "Wir Alten haben Vorteile"

Jupp Heynckes (66) erklärt im AZ-Interview, warum ihn die Arbeit beim FC Bayern jung hält, er zur „Entschleunigung” rät, gegen Vorurteile kämpft und im Umgang mit Spielern gelassener geworden ist
AZ: Herr Heynckes, Sie sind mit 66 Jahren der älteste Bundesliga-Trainer – aber doch ein jung gebliebener?
JUPP HEYNCKES: Die tägliche Arbeit hat mich immer jung und lebendig gehalten. Es ist immer eine Herausforderung, mit jungen Menschen zusammenzuarbeiten. Jetzt hält mich der FC Bayern jung, die tägliche Arbeit mit den Spielern. Natürlich teilt man nicht immer alles, etwa die Musik.
Es gab Stimmen, die sagten: Na ja, ein 66-Jähriger – ist das der Weg in die Zukunft? Wie gehen Sie damit um?
Das ist doch legitim, dass das hinterfragt wird. Man muss aber immer die Person sehen: Ist derjenige jung geblieben? Kann er mit jungen Menschen umgehen, mit ihnen kommunizieren? Konrad Adenauer ist mit 73 Jahren Bundeskanzler geworden. Ältere Menschen können überall noch was leisten, auch in großen Dax-Unternehmen sitzen ältere Leute.
Jugendwahn ist nicht alles.
Nein, wir Alten haben Vorteile, vor allem einen ganz großen gegenüber den Jüngeren: die Erfahrung. Eben wenn man gelernt hat, mit Menschen umzugehen auf dem Gebiet der sozialen Kompetenz. Hier und da muss man auch mal Verständnis aufbringen, auch für familiäre Probleme. Das habe ich früher ausgeschaltet, da war ich rigoroser, kompromissloser. In meinem jetzigen Alter verstehe ich die Spieler besser, das habe ich gelernt. Auch für die Medien bin ich heute ein anderer Partner.
Sind Sie etwa altersmilde geworden?
Milde? Nein, weise auch nicht. Aber ich habe mich von Vorurteilen befreit. Es gibt nichts Schlimmeres, als Vorurteile gegenüber Menschen zu haben. Ich möchte denjenigen kennen lernen und dann urteilen, ob er mir sympathisch ist oder nicht. Heute kann ich Menschen sehr gut einschätzen, auch wie ich die Spieler anfassen kann. Früher habe ich viel rigoroser kommuniziert, die heutige Spielergeneration braucht auch mal Verständnis, mehr Freiräume. Einen Spielraum, um ihr eigenes Ego auszuspielen, wenn das in das große Raster, die Spielregeln der Mannschaft passt.
Andererseits sind Sie ein konservativer Mensch, richtig?
Ich kokettiere auch mal und sage, ich bin konservativ. Ich finde es wichtig, bestimmte Werte zu leben – aber die Welt ist heute eben eine andere als vor 35 Jahren. Man darf alles nicht so schwer und ernst, so trocken nehmen. Man kann alles regeln – bis auf eins: das Ableben und Krankheit. Sonst kann man alles regulieren, korrigieren, in Gesprächen klären. Danach lebe ich. Man muss doch gelassener sein.
Diese Gelassenheit haben Sie sicher bei Ihren Stationen in Spanien gelernt.
Wenn man so alt geworden ist, weiß man den Druck besser zu kanalisieren, besser damit umzugehen. Denn eins ist klar: Wir leben in einem Zeitgeist, wo man immer wieder mit Neuem überflutet wird. Diese ganzen Einflüsse der elektronischen Medien und dem permanenten Internet-Leben. Die jungen Menschen müssen versuchen, ihr Leben zu organisieren, das ist nicht so leicht. Du kannst ja nicht nur vorm Internet sitzen und nicht wissen, was rechts und links von dir geschieht, und nur noch online kommunizieren. Da geht ein Stück des sozialen Kontakts verloren.
Im Trainingslager verschwinden die Spieler oft aufs Zimmer, mit Handys und Laptop.
Ich habe meinen Spielern etwas erzählt: 1974 bei der WM-Vorbereitung in Malente, vier Wochen waren wir da. Was gab es da? Ein spartanisches Zimmer, ein Bett, ein Schrank, ein Waschbecken – und dann auch noch Günter Netzer als Zimmergefährten, der all seine Klamotten vom DFB einfach auf den Boden geworfen hat. Dazu Gemeinschaftstoilette, Gemeinschaftsdusche, ein Gemeinschaftstelefon in der Lobby – ein einziges für alle! Dazu musste man sich immer das Klavier-Geklimper von Jupp Derwall (Co-Trainer von Helmut Schön, d.Red.) anhören (lacht). Das habe ich meinen Jungs erzählt – die haben sich kaputt gelacht.
Was folgern Sie daraus?
Es ist ganz gut, wenn man hier und da etwas entschleunigt. Mein Führungsstil beinhaltet, dass ich auch Druck wegnehme von der Mannschaft, von den Spielern. Je besser die Teamarbeit ist, desto besser funktioniert das Ganze – so muss das auch bei Ihnen in der Redaktion sein, das ist wie in einer Fußballmannschaft.
Aber Sie müssen auch up-to-date sein, was die neuen Medien betrifft. Die Themen der Jugend, die Autos.
Auf Autos habe ich nie großen Wert gelegt, das war für mich nur ein Fortbewegungsmittel.
Noch ein Kontrast zu Netzer.
Ja, „der Lange” hat früh Ferrari gefahren. Ich war da praktischer, habe mit 19 Jahren schon ein Fünf-Familienhaus gebaut. Jetzt fahre ich einen Audi, aber ich habe jetzt nicht gesagt, ich brauche ein Cabrio. Und Internet ist in den Klubs Gang und Gäbe, da muss man sich hineinarbeiten.
Auch Facebook?
Das brauche ich persönlich nicht, die ganzen Fans und Bewegungen und Meinungen, da werden sie ja dolle. Ich habe für sowas keine Zeit, habe immer irgendwelche Termine mit Videoanalysten, Ärzten, Physiotherapeuten, Spielern. Für mich sind meine Mails und der Kalender wichtig.
Aber man kann Ihnen Mails schreiben, anders Uli Hoeneß, der sich online verweigert?
Ja, Sie können mir schreiben, klar. Aber ich weiß nicht, ob ich Ihnen antworte (lacht).
Ein Leitmotiv Ihrer Arbeit ist der gegenseitige Respekt.
Wie sie einer Person gegenübertreten, ist entscheidend. Die Autorität eines Trainers muss nicht von Amts wegen kommen, sondern wegen des Menschen. Sie können nicht Respekt einfordern und selbst die Regeln brechen. Im Trainerjob müssen Sie offen, ehrlich zu den Spieler zu sein. Weil die Spieler sofort merken, wenn sie mit zwei Zungen reden. Da muss man eine klare Linie haben, dann entwickelt sich Vertrauen. Das ist die Grundlage für den Erfolg.