Heynckes’ Balance
München - Es genügte eine Nachfrage, oft eine Nuance, ein Wort. Und schon fühlte sich Louis van Gaal angegriffen. Im Gespräch mit Journalisten belehrte der Holländer gerne und wurde laut, wenn der Fragesteller aus seiner Sicht unvorbereitet oder unwissend daher kam. „Was soll diese Frage?“ Oder: „Sie wollen nur provozieren!“
Jupp Heynckes dagegen lacht. Einmal richtig laut, als er von einem TV-Mann gefragt wurde, wann denn Arturo Vidal nach der Copa America in Argentinien beim FC Bayern das Training aufnehme. Konkret: Wie viel Urlaub bekommt der Chilene? „Junge“, rief Heynckes eher amüsiert denn verärgert, „das ist doch der dritte vor dem ersten Schritt. Nun mal langsam.“ Ansonsten erklärt er. Geduldig. Ausführlich. Heynckes macht kein Geheimnis aus dem, was er mit dem FC Bayern vorhat. Und das schätzen die Bosse, Präsident Uli Hoeneß und Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge, an ihm. Der Jupp, den sie duzen, ist verlässlich. Ähnlich war es, als Ottmar Hitzfeld im Februar 2007 zurückkam.
Die AZ erklärt, was Heynckes Spielstil für den FC Bayern in dieser Saison bedeutet.
Vorsicht statt Risiko: Das Leitmotiv von Heynckes’ Idee des perfekten Fußballs ist: „Die Abwehrarbeit muss vorne in der Offensive anfangen, die Balance in der Mannschaft muss stimmen.“ Kerniger formuliert: „Alle Spieler müssen defensiv mitmachen, sonst sieht die Abwehr alt aus“, sagte Heynckes, früher selbst – ja, Stürmer. Ballbesitz ist nicht die Losung, die Balance zwischen Attacke und Abwarten muss stimmen. „Wir müssen wieder dahin kommen, dass der Gegner sagt, es ist schwer, gegen den FC Bayern ein Tor zu erzielen. Wir müssen so abwehrstark sein, wie es in vielen Epochen des Vereins der Fall war“, gibt der 66-Jährige vor. Altmodisch? Denkt man an Hitzfeld zurück, in jedem Fall titelbringend. 40 Gegentore kassierte man letzte Saison, fast doppelt so viele wie Meister Dortmund (22) und damit „mindestens 15 zu viel“ (Heynckes). Ein 1:0 sei ihm lieber als Hurra-Fußball. Ergebnisse statt Erlebnisse.
Identität statt Kopie:
Zwar sieht Heynckes per Decoder auch in München spanischen Fußball mit Real Madrid und Barcelona, doch zur Weiterbildung, nicht als Blaupause. „Im modernen Fußball muss das Team funktionieren“, sagt er, „Automatismen erarbeiten.“ Diese jedoch sollen zum Verein, zur Identität, zur Spielweise passen.
Rotation: Unter van Gaal war es eine Gruppe von maximal 15 Spielern, die wirklich regelmäßig zum Einsatz kamen. Stammplätze wurden öffentlich ausgerufen („Müller spielt immer“), für Ersatzspieler war es schwer, sich wieder zurückzukämpfen. Was in der ersten Saison des Holländers ein Vorteil war, wurde in der zweiten zum Nachteil. Heynckes will durchwechseln, „ich gebe auch mal Pausen“. Er rechnete vor, dass die Nationalspieler von August bis Weihnachten bis zu 34 Spiele haben werden.
Deshalb will Heynckes jede Position doppelt besetzt wissen. Sein Credo: „Lieber einen Spieler zu viel als einen zu wenig.“ Und: Spieler ist gleich Spieler. Siehe den Fall Michael Ballack bei Bayer Leverkusen. Ein Sonderstatus für Künstler wie Robben oder Ribéry? „Nein“, sagt Heynckes, „sie müssen sich ganz normal integrieren.“ Und auch für die Flügelakrobaten gilt Jupps neue, alte Weisheit: „Die Offensive gewinnt Spiele, die Defensive die Meisterschaft."