Helmer, Ancelotti, Effenberg: Schlimme Finger

München - Heutzutage kann Thomas Helmer über seine Entgleisung witzeln, doch an jenem Abend vor knapp 18 Jahren war ihm ganz und gar nicht zum Lachen zumute. Barcelona, der 26. Mai 1999, wenige Minuten nach dem auf dramatische Weise verlorenen Champions-League-Finale des FC Bayern gegen Manchester United (1:2): Helmer, der von Trainer Ottmar Hitzfeld 90 Minuten lang auf der Bank gelassen wurde und darüber ziemlich verärgert ist, dreht sich Richtung Haupttribüne und streckt beide Mittelfinger nach oben. Ganz zufällig steht auch Hitzfeld in der Nähe. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Als nun Bayern-Trainer Carlo Ancelotti am Samstag nach dem 1:1 bei Hertha BSC mit der gleichen Geste auffällig wird, twittert Helmer das Foto von damals und schreibt: "Wieso regen sich eigentlich alle über Ancelotti auf?" Humor hat er ja, der Helmer. Und der Mittelfinger durchaus Tradition bei den Bayern – und bei Ancelotti.
Denn der italienische Coach ("Ich habe diese Geste gemacht, weil ich angespuckt wurde") ist Wiederholungstäter. 2008 bedachte der damalige Trainer des AC Mailand Fans von Juventus Turin mit dem Mittelfinger. Ancelottis Begründung: Er sei beleidigt worden. "Es war das erste Mal, dass ich so reagiert habe", sagte er, "und vielleicht das letzte Mal." Doch dann kam die widerliche Spuckattacke am Samstag in Berlin. Und Carlos deutliche Reaktion.
Trainer-Kollegen zeigen Verständnis
Welche Folgen das Mittelfinger-Zucken für den 57-Jährigen hat, ist unklar. Wie der FC Bayern am Montag mitteilte, sei Ancelotti vom Kontrollausschuss des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) zu einer Stellungnahme aufgefordert worden. Diesem Ersuchen werde der Coach "selbstverständlich nachkommen", hieß es. Wegen eines ähnlichen Vergehens erhielt Norbert Düwel, Ex-Trainer von Union Berlin, 2014 eine Geldstrafe in Höhe von 3.500 Euro.
Die Kollegen stützen den Bayern-Coach. "Ich kann Ancelotti absolut verstehen. Es ist respektlos, wenn man angespuckt wird", sagte Gladbachs Dieter Hecking. Leipzig-Trainer Ralph Hasenhüttl meinte: "Ich wüsste auch nicht, wie ich in der Situation reagieren würde."
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So viel Solidarität hätte sich Stefan Effenberg 1994 wohl auch gewünscht. Der Ex-Bayern-Spieler (1990 bis ‘92 und ‘98 bis 2002) wurde im WM-Gruppenspiel gegen Südkorea bei seiner Auswechslung mit Pfiffen bedacht und streckte den deutschen Fans den "Stinkefinger" entgegen. Bundestrainer Berti Vogts schickte ihn dafür vorzeitig aus den USA nach Hause.
Mit Vogts hatte auch Carsten Jancker so seine Probleme. "Du Arschloch", brüllte der Bayern-Stürmer im Jahr 2000 in die Richtung von Leverkusen-Coach Vogts, weil der ihn zuvor in seiner Bundestrainer-Zeit ignoriert hatte. Ende 1997 hatte sich Jancker bereits auf dem Betzenberg mit Fans des 1. FC Kaiserslautern angelegt. Janckers Reaktion auf andauernde Pfiffe: der Mittelfinger.
Und sogar Hitzfeld ließ sich einst zu dieser Geste hinreißen. 2012 zeigte er als Schweizer Nationaltrainer einem spanischen Schiedsrichter den schlimmen Finger. Hitzfeld wurde zwei Spiele gesperrt.