Halbfinal-Rückspiel: Triumph oder Anti-Triple
München - Kompliziert – dieses Adjektiv wählte Pep Guardiola und verniedlichte damit die Herkulesaufgabe, die dem FC Bayern nach dem 0:1 bei Atlético Madrid nun am Dienstag in der Allianz Arena bevorsteht, ein klein wenig. Der Trainer und die Seinen müssen, um das Finale am 28. Mai in Mailand zu erreichen, das schaffen, woran sie in den letzten beiden Jahren jeweils im Halbfinale der Champions League gescheitert sind.
Ein Spiel drehen, das Momentum kippen, die Leute mitreißen, dem Gegner das fast schon Erreichte entreißen. Wieder verlor Guardiola Teil eins des Halbfinal-Duells, erneut in Spanien, wieder ohne Tor.
0:1 bei Real Madrid 2014, 0:3 beim FC Barcelona vergangenes Jahr. Nun steht Peps dritte Chance an. Nicht dass die Pointe nach drei Jahren Amtszeit des Katalanen in München lautet: Mehr Ball- als Pokalbesitz. Und drei Mal gescheitert an Teams aus der Primera Division. „Das Ergebnis spielt Atlético voll in die Karten – ein absolut fieses Ding“, sagte Bayerns Ex-Kapitän und Motivationsmonster Oliver Kahn.
Ein Ding des Willens
Ein Ding der Unmöglichkeit? Nein, ein Ding des Willens, der totalen Hingabe und Konzentration. „Geduld ist gegen eine Mannschaft wie Atlético das Wichtigste“, fügte der ZDF-Experte hinzu. Geduld, ein Tor, wieder viel Geduld, vielleicht eine Verlängerung, noch mehr Geduld und womöglich ein Elfmeterschießen. Es sind nicht viele Wege, die gegen Diego Simeones Team nach Mailand führen. Der Atlético-Trainer, dem in der Hitze des Gefechts einmal sogar das Handy aus der Sakko-Brusttasche auf den Rasen flog, hatte vor der Partie von einem "Krieg" gesprochen und gesagt: "Schlachten gewinnt nicht der, der die meisten Soldaten hat. Sondern der, der sie richtig einsetzt."
Sagt der 12. Mann seiner Mannschaft, der Einpeitscher der Fans. Und womöglich der Bezwinger von Guardiola. Ist die Europa-Tournee der Bayern am Dienstag zu Ende, wird künftig vom Anti-Triple des Pep Guardiola die Rede sein. Real, Barça, Atlético.
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Aber Pep hat ja noch Thomas Müller. Völlig überraschend hatte der Coach den Torjäger wie auch Franck Ribéry und Joshua Kimmich draußen gelassen, weil er "einen Mittelfeldspieler mehr" und mit Costa und Coman "das Spiel über die Außen breiter machen" wollte.
Theorie und Praxis. Müller reagierte gelassen. Auch weil er weiß, dass ihn Guardiola im Rückspiel als Stimmungsspieler für den Turnaround braucht. Einen Ribéry wohl auch. Für die Operation "Auf sie mit Gebrüll!". Mit Hilfe der Fans. Bayerns 12. Mann wurde sofort in die Pflicht genommen.
"Wir wissen, wie die Stimmung in der Allianz Arena sein kann, wenn unsere Fans mitgehen", sagte Kapitän Philipp Lahm und gab die Losung aus: "Es ist noch nicht vorbei!" Müller, schon ganz auf Kahn-Modus gebürstet, kündigte an: "Wir werden die Emotionen gut umwandeln und richtig einen raushauen. Zuversicht gibt mir, dass wir immer in der Lage sind, ein Spiel mit mehr als einem Tor Unterschied zu gewinnen."
Auch gegen die beste Defensivmannschaft Europas seit den goldenen Tagen von Juventus Turin?
Man sprach sich Mut zu und schöpft Kraft aus der Leistung der 2. Halbzeit inklusive der herausgespielten Torchancen. "Eine oder keine", bekämen Gäste normalerweise im "Vicente Calderón", betonte Guardiola, daher sei Bayerns Spiel "Wahnsinn" gewesen, "sehr, sehr gut". Auch wenn man diese Formulierungen kennt, zum Teil stimmte es, die Bayern hatten ihre Chancen, ihre Momente.
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Die rechte Aggressivität, der Mut und Zug zum Tor stimmten aber erst nach der Pause. Nun brauchen sie am Dienstag eine weitere Sternstunde. Die letzten elf Heimspiele in Europa gewann Bayern sämtlich. "Wir müssen ihre Konter kontrollieren", sagte Guardiola. Kahn wiederum glaubt: "Zuhause sind die Bayern eine Macht und können jeden Gegner 2:0, 3:0, 4:0 weghauen. Aber bei Atlético habe ich da so meine Zweifel. Doch der FC Bayern spielt immer dann hervorragenden Fußball, wenn er eine große Herausforderung vor sich hat."
Eine der größten aller Zeiten. Es wird super-super kompliziert. Wahrscheinlich der Wahnsinn.