Grubinger: "Auch Fußballer werden eins mit dem Instrument"

Der 33-jährige Österreicher Martin Grubinger ist Multi-Percussionist und gilt als einer der besten Schlagzeuger der Welt. In München trat er gerade mit dem BBC Philharmonic auf. Die AZ hat mit ihm gesprochen.
AZ: Herr Grubinger, Österreicher und Bayern gelten nicht als allerbeste Freunde – wie wird ein österreichischer Ausnahme-Schlagzeuger zum FC-Bayern-Fan?
Martin Grubinger: Ich bin ja Salzburger, da gibt es schon einen sehr starken sprachlichen, aber auch inhaltlichen Konnex mit den Bayern – anders als bei den Wienern etwa. In Salzburg ist der nächste größere Fußballklub, mit dem man mitfiebert, der FC Bayern: Mein erstes Trikot habe ich als Vierjähriger bekommen. Ich besitze jetzt über 40 Bayern-Trikots.
Trotzdem: Wie wird ein Salzburger Bub von vier Jahren zum Bayern-Fan?
Ich kann mich erinnern, dass ich Lothar Matthäus und auch Stefan Effenberg in seiner ersten Zeit bei Bayern gesehen habe. Es war die Zeit, als Jupp Heynckes zum ersten Mal bei Bayern Trainer war, und auch in der Volksschule waren unter meinen Schulkollegen ein paar Bayern-Fans. Der Bayern-Fan fährt durchschnittlich 140 Kilometer für ein Spiel – das ist also gar nicht so München-zentriert. Es gibt große Bayern-Fanklubs in Salzburg.
Klingt nach einem echten Fußball-Fan – und der wechselt bekanntlich ja sein Fan-Leben lang nicht den Verein...
Niemals! Da wird bei mir jegliche Ratio ausgeschaltet und ich werde zum Verrückten – auch im Stadion: Ich schäme mich immer ein bisschen, manchmal ist meine Frau mit dabei oder mein Sohn, und ich bin dann so emotional: Natürlich ist der Schiedsrichter immer an allem schuld, und liegt ein Bayern-Spieler am Boden, war das selbstredend ein Foul – dieser unfassbare Gegenspieler, gib’ ihm Gelb! (lacht)
Sie fiebern so richtig mit?
Genau – "Steht auf, wenn Ihr Bayern seid…" und dann stehe ich schon und klatsche. Ich bin noch so ein richtiger Fan. Ich möchte das ganze Flair und Umfeld miterleben und will mit den echten Fans leben.
Kehren Sie auch in die Münchner Fankneipen ein?
Ja, absolut! An einem Bayern-Tag fahre ich sehr früh her, ausgestattet mit Hut, Schal, Trikot, Hose und Bayern-Schuhen – und dann gibt’s die Meister-Mischung, das sind meine favorisierten Bayern-Gummibärchen. An einem Spieltag ziehe ich mir drei Packungen rein: Ich bestelle mir die in hohen Dosen über den Fan-Shop und lasse mir meist 20 Packungen zuschicken – meine Frau kann das gar nicht fassen, aber das ist meine große Leidenschaft. Und dann esse ich den Pokal und die Meisterschale und die Champions-League-Trophäe.
Es gibt überraschend viele klassische Musiker, die sich für Fußball begeistern.
Das stimmt – ob das nun Julian Rachlin ist oder Daniel Müller-Schott, der sogar mit Philipp Lahm befreundet ist, oder diverse Dirigenten wie Paavo Järvi oder Riccardo Chailly.
Woher rührt diese Faszination? Es sind doch sehr gegensätzliche Welten?
Fußball hat etwas, das Künstler fasziniert. Das ist zum einen diese Kreativität. Dann gibt es Leute wie Zidane, die bewegen sich wie Balletttänzer: Das hat eine Ästhetik und ein künstlerisches Gesamtverhalten, dem man sich als Musiker verbunden fühlt. Dazu kommt die Verliebtheit mit einem Spielgerät, die wir als Musiker ebenfalls kennen – auch wir sind ja sozusagen eins mit unserem Instrument. Wenn man bei den Fußballern diese Symbiose mit dem Ball beobachtet, wie sie eins werden mit ihrem Spielgerät: Das ist schon faszinierend.
Welches fußballerische Moment begeistert Sie als Schlagzeuger am meisten?
Das Timing – dass sich quasi eine rhythmische Situation aus einem Spiel herauslesen lässt. Oft ist ja etwa bei einem Konter zu hören, das Timing habe gefehlt – genau das ist das Faszinierende, dass man über eine Spielsituation diverse Rhythmen herauslesen kann.
Steckt also in jedem Fußballer insgeheim auch ein Musiker?
Ich würde ja sehr gern mal eine Mannschaft trainieren, wo man eine große Anlage auf dem Fußballplatz aufstellt und dann sagt: So, liebe Fußballer, jetzt müsst‘s ihr im Walzerrhythmus einen Konter über fünf Stationen vor das gegnerische Tor trainieren – um-ta-ta, um-ta-ta. Und das trainieren wir fünfzigmal, bis sich das im Unterbewusstsein verinnerlicht hat. Dann nehmen wir Samba: Immer auf der Drei – eins, zwei, Pass – eins, zwei, Pass. Dann Montuno-Groove, Salsa. Und so trainiert man unterschiedliche Spielgeschwindigkeiten.
Was erhoffen Sie sich davon?
Wenn die Spieler diese Rhythmen hunderte Mal wiederholt und im Unterbewusstsein diesen gemeinsamen Groove verinnerlicht haben, kann dies helfen, Missverständnisse in den Laufwegen zu vermeiden. Ich habe diesen Gedanken schon mal vorgeschlagen, und Jürgen Klopp hat sich sogar damit beschäftigt.
Mit welchem Ergebnis?
Es war ihm dann doch zu wirr und zu komisch.
Was lässt sich für Künstler noch von Fußballern lernen?
Nehmen Sie die psychologische und mentale Betreuung: Die Sportler sind uns da um Jahre voraus. Meiner Meinung nach müsste jedes Orchester sagen, wir stellen einen Psychologen, einen Sportmediziner und einen Ernährungsberater ein – einen Stab wie diesen auch Fußballmannschaften haben. Ich bin sicher, dass sich sowohl inhaltlich als auch in puncto des Wohlbefindens der einzelnen Musiker viel zum Besseren verändern würde.