Großes, schlankes Müller: Sein Tor-Geheimnis

Äußerlich haben sie bestimmt nichts gemein.Doch Gerd, der frühere Bomber der Nation, und Thomas, aktuell Bayerns bester Torjäger, eint ihre Einstellung: Nicht denken – nur treffen!
von  Abendzeitung
Trägt bald den Adler auf der Brust: bayern-Star Thomas Müller.
Trägt bald den Adler auf der Brust: bayern-Star Thomas Müller. © firo/Augenklick

Äußerlich haben sie bestimmt nichts gemein.Doch Gerd, der frühere Bomber der Nation, und Thomas, aktuell Bayerns bester Torjäger, eint ihre Einstellung: Nicht denken – nur treffen!

TEL AVIV Ja, ja, er hatte seinen Reisepass noch. Ganz bestimmt. Nur – wo war der jetzt gleich? Thomas Müller tastete seinen Körper ab. Ah, die Anzugtasche. Gut. Alles da. „Was bist du denn so unruhig?“, fragte Bastian Schweinsteiger am Gate des Flughafens „Ben Gurion“ in Tel Aviv. „Ich habe vor nichts Angst“, antwortete Müller, „nur davor, dass ich den Reisepass verliere. Egal, wo ich ihn hinstecke, muss ich zwischendrin immer wieder mal nachschauen, wo er ist.“

Eine kleine Jedermannsneurose, wie nett.

Denn andere Schwächen scheint der 20-Jährige derzeit nicht zu haben. Müller ist der Aufsteiger der Saison, die Überraschung der ersten Spiele. Immer dabei, fleißig, mutig, laufstark, spielintelligent - und nun auch torgefährlich. Zwei Treffer beim 5:1 in Dortmund, zwei am Dienstagabend beim 3:0 zum Champions-League-Auftakt der Saison bei Maccabi Haifa.

„Wir haben viele sehr gute Spieler, aber der junge Müller ist für uns alle die größte Überraschung“, schwärmte Bayerns Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge nachts beim Bankett in Tel Aviv.

Vier Tore in vier Tagen. Und es war für Thomas Müller immer das erste Mal, ob Bundesliga oder Europas Eliteliga. Müller ist angekommen bei Bayern. „Ich bin jetzt drin“, sagt er. Als habe er einen Stempel im Pass – vom Trainer. „Unglaublich!“, fand Louis van Gaal Müllers Auftritt gegen Maccabi, „er war mein bester Spieler.“

Doch die Aufenthaltserlaubnis in der Stammelf ist nur von beschränkter Gültigkeit, da ist der Niederländer nämlich streng. „Die Talente wie er und Holger Badstuber machen das ganz gut“, meinte der Coach und fügte mahnend hinzu: „Aber ein Tor zu erzielen, heißt nicht, dass man sehr gut Fußball spielt.“

Müller hat beides drauf derzeit. Er hat das, was Fußballer am liebsten haben: einen Lauf. Ob er eingewechselt wird oder von Beginn an spielt. Alles fließt, alles geht irgendwie von alleine.

„Zur Zeit könnte es nicht besser laufen“, sagte Müller und strahlte. Diesen Champions-League-Ausflug hat er schlicht genossen. „Das war ein super Erlebnis. Diese Hymne am Anfang! Die Leute sind noch konzentrierter, noch angespannter. Man merkt, es geht um mehr“, schilderte Müller seine Eindrücke. Tel Aviv, 30 Grad, ein Hotel mit Meerblick, direkt am Strand – und viel Zeit am Spieltag auf dem Zimmer. Genug, um doch nervös zu werden! Aber nicht Müller. Der konterte trocken: „Nein, Lampenfieber ist da fehl am Platz, sonst springt einem der Ball fünf Meter weg vom Fuß." So, wie er spricht, nimmt man ihm das ab. Der Mann erzielt seine Treffer, als würde er mal eben Semmeln holen.

Müller, Tor.

Was in den 60er und 70er Jahren bei Bayern ganz selbstverständlich zusammengehörte, erlebt nun eine Renaissance. War es früher Gerd, von Entdecker Tschik Cajkovski „kleines dickes Müller“ genannt, trifft nun Thomas – großes schlankes Müller. Andere Zeiten, andere Proportionen. Eine Oberschenkelbreite von Gerd Müller entspricht in etwa dem Hüftumfang von Thomas Müller, dem Schlacks (74 Kilo, verteil auf 1,86 Meter Körperlänge).

Das ist jedoch nicht sein Geheimnis. Denn Müller hat von Müller einen Knopf geerbt. Den zum Ausschalten. Der alte Müller sagte immer: „Wenn du vor dem Tor denkst, ist es zu spät.“ Genau dies hat der Neuzeit-Müller längst erkannt. „Der Junge macht sich einfach keinen Kopf - auch wenn er mal schlecht spielt“, sagt Assistenztrainer Hermann Gerland, bis letzte Saison noch Müllers Coach in der Drittligamannschaft. Gerland weiter: „Thomas nimmt das alles verdammt cool, aber das ist seine Art.“ Und sein Tor-Geheimnis.

Abwarten und Erfolg haben. „Der Kerl ist ein Phänomen. Er hat einfach den Torriecher. Manchmal siehst du ihn im ganzen Spiel nicht und dann schlägt er zu, als wäre nichts gewesen. Der packt es in der Bundesliga, hoffentlich bei Bayern.“ Das sagt übrigens Gerd Müller.

Der große Müller lobt den langen Müller. Wenn das kein Karriere-Visum ist.

Patrick Strasser

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