Geduld und Stellschrauben: Gravenberchs komplizierte Lage bei Bayern

München - Mit einem einzigen Wort kann ein Trainer einen Spieler aber sowas von glücklich machen. Auf die Frage, ob Ryan Gravenberch am Dienstagabend im Champions-League-Heimspiel gegen Inter Mailand (21 Uhr, Amazon Prime und im AZ-Liveticker) spielen werde, antwortete Bayerns Chefcoach Julian Nagelsmann simpel mit: "Spielt."
Der 20-Jährige durfte sich also mal wieder von Beginn an beweisen. Das kam nicht so häufig vor in dieser Saison seit seinem Wechsel im Sommer für knapp 20 Millionen Euro von Ajax Amsterdam. Nämlich genau zwei Mal.
In der ersten Runde des DFB-Pokals bei Viktoria Köln und im Heimspiel der Königsklasse gegen Viktoria Pilsen – beide Partien gewannen die Münchner mit 5:0. Die Gegner waren sicher nicht Güteklasse A, auch nicht B. Auch in allen anderen 18 Pflichtspielen der Bayern seit Ende Juli stand Gravenberch stets im Kader, wurde dabei zwölf Mal eingewechselt.
Gravenberch in der Hierachie hinter Kimmich, Goretzka und Sabitzer
Jetzt könnte man sagen: Oh, stark. Der Typ ist ja nie verletzt, steht immer zur Verfügung. Richtig, andererseits: In 20 Pflichtspielen hat es eben nur zu zwei Startelf-Nominierungen und 407 Spielminuten gereicht, macht im Durchschnitt 29 pro Partie.
Schlicht zu wenig für seine Ansprüche. Vorsichtig forderte er in der Abendzeitung mehr Berücksichtigung, äußerte seine Enttäuschung. Was Nagelsmann gefällt. Der 35-Jährige mag keine Spieler, die sich in ihr Schicksal fügen. Der zentrale Mittelfeldspieler, vor seiner Entscheidung für Bayern bei vielen Klubs in Europa heiß begehrt, unterschrieb einen Fünfjahresvertrag, soll in Zukunft ein wichtiger Baustein sein.
Doch in dem Alter braucht man vor allem eines: Geduld. In der Hierarchie des zentralen Mittelfelds liegen die erfahrenen Nationalspieler Joshua Kimmich (27), Leon Goretzka (27) und Marcel Sabitzer (28) vor Gravenberch.
Kimmich: "Ich fand, dass Ryan gegen Barça überragend reingekommen ist"
"Ryan hat eine herausragende Vorbereitung gespielt", sagte Kimmich. Doch als Goretzka wegen einer Knieverletzung die Vorbereitung im Juli verpasste und bis Ende August verletzt fehlte, spielte sich Sabitzer neben Kimmich auf der Doppel-Sechs in den Vordergrund.
Den Platz neben Anführer Kimmich hat sich Goretzka wieder gesichert. Nun sitzen Sabitzer und Gravenberch draußen, kommen meist höchstens zu Einsätzen von einer halben Stunde. "Wir haben einfach einen sehr guten Kader", sagte Kimmich vor dem Duell mit Inter, betonte aber auch: "Ich fand, dass Ryan gegen Barça überragend reingekommen ist. Da hat er uns sehr viele Bälle geklaut. Ryan konnte schon einiges zeigen und wird uns noch einiges zeigen."
Seit der Vorbereitung zeigen sich die Mitspieler erstaunt über die Zweikampf-Stärke, die Übersicht und die Offensivqualitäten von Gravenberch. Kimmich nannte seine erste Saison bei Bayern als Vergleichswert, er sei von Beginn nicht so oft zum Zuge gekommen wie nun der Holländer. Nett gemeint, stimmt aber nicht so ganz: Bis zur Winterpause der Saison 2015/16 kam Kimmich in Pep Guardiolas letzter Spielzeit als Bayern-Trainer sieben Mal vom Anpfiff weg zum Einsatz.
Wer ko, der ko. Kimmich rät Gravenberch, dem herausragenden Reservisten: "Er muss nur geduldig bleiben und weiter hart arbeiten."
Und sich an Jamal Musiala orientieren, dem 18-jährigen Wunderkind. "Am Ende geht es um die Qualität. Und da ist es egal, ob du 19 oder 32 bist", sagte Kimmich, "das sehen wir auch bei Jamal, der alle drei Tage seine Qualität auf den Platz bringt."
Nagelsmann ist sich bei Gravenberch übrigens sicher: "Er wird einer der besten Mittelfeldspieler der Welt, da lege ich mich fest. Er muss einfach an ein paar Stellschrauben drehen." Vor allem die, an der die Geduld hängt.