Glitzer trifft Blechbüchse
Der FC Bayern gegen Mainz 05 – wer ist da überhaupt der Favorit? Die Frage klingt ketzerisch. Nach diesem genaueren Vergleich der AZ lässt sie sich allerdings beantworten.
MÜNCHEN Bayern gegen Mainz: Eine Partie, die bisher eher sparsame Begeisterung entfacht hat. Fraglich war ja nur, wie hoch der Favorit gewinnen würde. Am Samstag ist das anders. Wer ist überhaupt Favorit? Der selbst ernannte Karnevalsverein kommt als Tabellenführer. Verkehrte Welt? Ein Vergleich.
Die Stars: Da geht’s schon los. Bei Bayern denkt jeder direkt an Robben und Ribéry, bei Mainz dagegen an: die Fans, die Stimmung, das Erlebnis. Der Star bei den 05ern ist der Verein, nicht nur die Mannschaft. Ein Phänomen, das vor Jahren mit Jürgen Klopp begann. Fast logisch, dass der Ex-Verteidiger an einem Rosenmontag vom Spieler zum Trainer befördert wurde. Abgesehen vom Ukrainer Andrej Woronin (2000 – 2003) waren internationale Stars in Mainz so rar wie Nachwuchsspieler bei Bayern; erst unter Louis van Gaal änderte sich das. Zuletzt entstand jedoch um Jung-Kicker wie André Schürrle (19) und Lewis Holtby (20) ein Rummel, der Star-Ausmaße annimmt und beide am Samstagabend ins ZDF-„Sportstudio“ führen wird. Ziemlich keck, dieser Einladung nach einem Spiel bei Bayern nachzukommen.
Die Macher: Während bei Bayern mehrere Größen des Weltfußballs regieren, werden die Geschicke der Mainzer von einem Ex-Dreispringer und einem Autoverkäufer geleitet. Präsident Harald Strutz ist seit 22 Jahren im Amt, Mainzer durch und durch. Manager Christian Heidel arbeitet seit fast 20 Jahren im Klub – erst seit vier Jahren bekommt er auch Geld dafür. Ihre Führungsarbeit ist als unaufgeregt zu bezeichnen – anders als im Kosmos Bayern.
Die Fans: Noch so ein Paralleluniversum. Das Beckenbauersche Bonmot vom „Operettenpublikum“ verunglimpfte damals die Zuschauer im Olympiastadion, doch auch in der Fröttmaninger Arena macht sich nur selten so etwas wie Stimmung breit. Anders in Mainz: Hier steht jeder (sic!) vor dem Anpfiff mit Schal in der Hand und singt „You’ll never walk alone“ mit. Nach dem Spiel löschen Fans und auch Spieler ihren Durst zuweilen gemeinsam im „Haasekessel“, der Kneipe hinter der Haupttribüne. Undenkbar bei Bayern.
Das Image: Würde der Spruch nicht Klaus Wowereit gehören, er hätte gut zu Mainz gepasst: arm, aber sexy. Der Saison-Etat des FSV liegt bei 31 Millionen Euro – so viel hat der FC Bayern im vergangenen Jahr für einen einzigen Stürmer aus Stuttgart bezahlt, der nun ausdauernd die Bank drückt. Während sich die Bayern-Profis im Sponsoren-Fuhrpark bedienen und abgeschirmt in der Tiefgarage der Säbener Straße parken, rumpelt der Mainzer Jungstar Schürrle etwa im kleinen weißen Citroen auf den öffentlichen Parkplatz. Underdog gegen FC Hollywood – keine Frage, welcher Trainer es leichter hat mit der täglichen Motivation. In der Fastnacht-Hochburg Mainz singt man zur Melodie von „Yellow Submarine“: „Wir sind nur ein Karnevalsverein“. Passt scho.
Das Stadion: Münchner High-Tech-Glitzer-Arena gegen Mainzer Blechbüchse, so nennt 05-Präsident Strutz das 20300 Zuschauer fassende Stadion am Bruchweg. Allzu lange ist es noch nicht her, da landeten Befreiungsschläge nicht auf der Tribüne, sondern auf der verkehrsreichen Martin-Luther-King-Straße. Im Frühjahr 2011 wird am Europakreisel die neue Arena mit 33500 Plätzen fertig. Eins darf beim Umzug im Presseraum nicht fehlen: die manuell zu bedienende Tabelle mit den Magnetschildern. So schön wie derzeit sah sie aus Mainzer Sicht noch nie aus.
Th. Becker, F. Hellmann