Gerd Müller: Der schüchterne Weltstar und das erdende Gefühl
Nein, ich habe kein gemeinsames Foto mit Gerd Müller, kein Selfie. Und selbst wenn, würde ich es nicht in den sozialen Kanälen posten wie so manche Touristen des Totengedenkens, um unter dem Deckmantel der Trauer ihre eigene Rübe zu zeigen und damit ihrem Narzissmus Raum zu geben.
Ich bin schlicht froh, Gerd Müller noch gesprochen zu haben, ihn an der Säbener Straße oder bei anderen Anlässen kurz interviewt haben zu können, bevor bei ihm die schreckliche Alzheimer-Erkrankung diagnostiziert wurde. Bevor die zerstörerische Demenz begann, sein eigenes Ich langsam aber beständig aufzufressen.
In Ehrfurcht von Angesicht zu Angesicht
Daher denke ich gerne an kurze gemeinsame Momente zurück. An Momente, in denen ich als junger AZ-Reporter sauer auf "den Gerd" war, wie wir ihn alle nannten, aber von Angesicht zu Angesicht ehrfürchtig mit Herr Müller ansprachen. Sauer, weil er damals als Assistenztrainer der zweiten Mannschaft der Bayern nur dann über seine Mittelstürmer-Erben wie Miroslav Klose, Luca Toni oder Mario Gomez sprechen wollte, wenn man sich ihm tatsächlich physisch in den Weg stellte. Müller mochte keine große Bühne, mochte nicht viel reden, schon gar nicht über andere richten. Was sollte der größte Torjäger aller Zeiten auch über Angreifer sprechen, die ihm nicht das Wasser reichen konnten? Früher habe ich das nicht verstanden.
Gerd Müller mochte nicht viel reden
Und doch brachte jede Begegnung mit dem schüchternen Weltstar das erdende Gefühl, dass es eben völlig okay ist, wenn man in der Bizeps-Branche mit so vielen Möchtegern-Stars und Dampfplauderern lieber schweigen möchte. Ein Wechsel des Blickwinkels macht aus einer vermeintlichen Schwäche eine Stärke. Ich war zu schwach und naiv, dies nicht zu erkennen.
Heute sage ich: Danke, Herr Müller. Ohne Sie, ohne Ihre Tore und die Erfolge, die Sie dem FC Bayern bescherten, hätte ich wohl nicht diesen wunderbaren Beruf, über Fußball & die Bayern schreiben zu dürfen. Womöglich würde sich heute kaum einer für den Verein mehr interessieren.
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