Gerd Müller: „Allein hätte ich das nicht geschafft“

Wie Hoeneß – ganz im Stillen – Gerd Müller half, die Alkoholsucht zu überwinden. AZ-Reporter Strasser, Autor der Biografie „Hier ist Hoeneß!“, traf sich mit dem einstigen „Bomber der Nation“
von  Abendzeitung

Wie Hoeneß – ganz im Stillen – Gerd Müller half, die Alkoholsucht zu überwinden. AZ-Reporter Strasser, Autor der Biografie „Hier ist Hoeneß!“, traf sich mit dem einstigen „Bomber der Nation“

Von Patrick Strasser

Im März 1979 war Stürmerlegende Gerd Müller vor Trainer Pal Csernai in die USA geflohen und hatte sein Glück bei den Fort Lauderdale Strikers gesucht. Gefunden hat er es nie. Gutes Geld gab es, aber das war es auch schon.

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Man riet ihm, seine frisch verdienten Florida-Dollar zu vermehren, indem er sie in ein Gastronomiegeschäft investierte. Ein Steakhouse vielleicht? Müller sagte Yes. Er kaufte und taufte es „Gerd Mueller’s Ambry“. In 3016, East Commercial Boulevard wurden daraufhin amerikanische und deutsche Spezialitäten angeboten. Doch was sollte Müller tun? Das Management leiten? Kochen? Servieren?

Nichts davon hatte der einstige Bomber der Nation gelernt, der nach der Schule eine Lehre als Weber gemacht hatte. Er war Toremacher, kein Geschäftemacher. Also spielte Müller den Grüßgottonkel. Den ganzen Abend hieß er die Gäste an der Eingangstür willkommen, später gesellte er sich dann zu ihnen an die Bar. Aus Langeweile und Frust begann er zu trinken.

Die Müllers vermissten München. Besuche in der Heimat machten die Sehnsucht nur noch größer. Zwischendrin hatte Müller dann seine Karriere beendet – ein frustrierendes Erlebnis mehr. „Das mit dem Steakhouse war ein Riesenflop, da hab ich ordentlich Geld hergeschenkt“, erzählt Müller, „und am Ende ging mir die ewige Sonne in Florida auf den Geist.“ Auch weil das stetige Ausnüchtern bei Hitze umso anstrengender ist. Der Alkohol wurde zum Trostspender.

Nach fünf Jahren kehrte die Familie Müller im April 1984 nach München zurück – ohne Rücklagen. Der Ex-Stürmer ohne Ziele, ohne Job. „Ich war in München, wusste aber nicht, was ich tun sollte. Wenn du keine Aufgabe hast, ist der Tag lang.“ Mehr als ein paar Mark für Autogrammstunden waren nicht drin. Er spielte Tennis. Er schaute fern. Er trank. Er stritt sich mit seiner Frau. Bald sollte er immer weniger Tennis spielen.

Ab und an wurde er zu einem Benefiz-Kick eingeladen und traf dort die alten Freunde. Doch Müller war nur ein Schatten seiner selbst. „Als wir 1991 gemeinsam in der Uwe-Seeler-Traditionself gespielt haben“, erinnert sich Sepp Maier, „hat man den Alkohol schon gerochen, wenn er ankam. An der Kleidung, am Körper, überall. Manchmal ließ er sich vorzeitig auswechseln, sagte, er habe Beschwerden. Als wir nach dem Spiel in die Kabine kamen, trank er schon fröhlich.“ Nun wurde es Maier klar: Müller war alkoholkrank, was dieser leugnete. Seine Frau Uschi hatte die Scheidung eingereicht.

„Der Gerd braucht dringend Hilfe und eine Aufgabe im Leben“, alarmierte Maier damals Hoeneß. Zunächst aber musste Müller geheilt werden, sich eingestehen, dass er krank war, und einwilligen, eine Entziehungskur zu beginnen. Müller selbst, so seine Frau, hätte die Kraft zu diesem Entschluss gefehlt. „Am Anfang hab ich das gar nicht so bemerkt, wie ich immer tiefer reinrutschte und Hilfe brauchte. Bis man mich zum Uli geschleppt hat.“

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Hoeneß besorgte Müller einen Therapieplatz in einer Klinik. „Der Uli hat sich erkundigt, wo man mir am besten helfen konnte. Und gleich am nächsten Tag war ich schon weg aus München.“ Sobald es gestattet war, fuhren Hoeneß sowie ab und zu auch Beckenbauer zu ihrem einstigen Mannschaftskollegen und schauten nach ihm. „Erst kam ich für 14 Tage ins Krankenhaus nach Garmisch, dann folgten zwei Wochen Kur, auch in Garmisch. Die wollten mich noch zwei Wochen länger drinbehalten, aber ich wusste dann, dass ich es geschafft hatte, und habe gesagt: Danke, auf Wiedersehen!“ Vier Wochen haben ihm gereicht, um trocken zu werden. „Gott sei Dank ist das alles gut gegangen“, sagt Müller heute. Doch das war nur der erste Schritt. Er brauchte eine Aufgabe, einen Job.

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Am Anfang war Müller Torwart- und Stürmertrainer für die Jugendteams, danach Assistenzcoach bei den Amateuren, meist an der Seite von Hermann Gerland, später von Mehmet Scholl. Noch 1992 erwarb Müller den A-Trainer-Schein. „Wenn ich damals keinen Job bekommen hätte, wäre die ganze Scheiße wieder von vorne losgegangen“, erinnert sich Müller. „Allein hätte ich das nicht geschafft. Wenn du in so einem Kreislauf bist, kommst du von selbst nicht mehr raus. Ich habe damals gelitten, sehr gelitten.“

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