„Geh mal raus, mach mal was anderes“

Nach 30 Jahren räumt Uli Hoeneß beim FC Bayern den Manager-Posten. Zu diesem Abschied hat AZ-Reporter Patrick Strasser die Biografie des Mannes verfasst, der diesen Klub verkörpert. abendzeitung.de veröffentlicht täglich Auszüge.
Der FC Bayern und Uli Hoeneß – diese Kombination gibt es nicht ohne Emotionen. Nicht ohne totale Leidenschaft. Dieses gezogene „totaaaal“ ist im Bayern-Jargon das Adjektiv für so vieles, ist eines der von Hoeneß am häufigsten verwendeten Worte. Uli Hoeneß gibt es nur selten in der bedächtigen, in der moderaten Version. Mal heiß und mal kaltblütig, mal aufbrausend, mal beruhigend. Mal voller Zorn, dann doch auch der ruhende Pol des Vereins. Mal geht mit ihm der Choleriker durch, im nächsten Moment gewinnt der Analytiker die Oberhand.
Ein Leben in Extremen, ständig am Anschlag, im Job immer auf Betriebstemperatur, nur zu Hause auf dem Sofa manchmal im Stand-by-Modus. Adrenalin ist sein Körperbenzin. Doch was ist die Quelle, was ist der Ursprung seiner Rastlosigkeit, seines Ich-kann-nicht-anders?
Der Flugzeugabsturz ist es nicht, beteuert Hoeneß immer wieder. Dass er überlebt hat, habe vielmehr seine sozialen Instinkte geschärft, gegenüber denen, die es nicht so gut erwischt haben im Leben. Es war ein anderes „Schlüsselerlebnis“, wie er sagt. Eines, das seine Karriere beenden sollte, jedoch der Anfang war für sein neues Leben. Als er 1979, mit 27 Jahren, geplagt von seinem Kreuzbandriss und schon mehrfach operiert, auf der Massagebank von Josef Saric lag, sagte der zu ihm: „Uli, du musst aufpassen. Sie wollen dich verkaufen, sobald du wieder laufen kannst.“
Saric hatte ein Telefonat zwischen Präsident Neudecker und Manager Schwan belauscht. Wenige Monate später musste Hoeneß seine Karriere beenden. Doch er war tief gekränkt, und diese Kränkung prägte seinen zukünftigen Führungsstil. „In dem Moment auf der Massagebank dachte ich: Das wird es bei mir später nicht geben, dass einer, der gerade schwach ist, Angst um seinen Arbeitsplatz haben muss. Starken muss man manchmal Angst machen, aber Schwache einschüchtern? Das bringen nur Schwache fertig.“
Geplatzte Träume
Kurz darauf ergriff Hoeneß die Chance, Manager zu werden. Er verfolgte seine Ziele mit noch größerem Ehrgeiz als zu seiner Zeit als Profi . Das Kuriose war: Er verhandelte fortan zum Teil mit Spielern, die älter waren als er. Wäre die Knieverletzung nicht gewesen, hätte er noch für den FC Bayern auf dem Platz stehen können. Mit seinem Freund Paul Breitner. Er hätte viel Geld verdienen können. Wie Franz Beckenbauer, wie Gerd Müller, vielleicht sogar in den USA. Geplatzte Träume.
„Für mich kommt dieser wahnsinnige Ehrgeiz von Uli Hoeneß daher, dass er seine Karriere viel zu früh beenden musste“, sagt Oliver Kahn, „das ist der Ursprung all seines Handelns als Manager. Die Frage ist nur: Hätte er sich sonst anders entwickelt?“ Kahn zuckt mit den Schultern.
Der Torwart wollte diesen Weg nicht gehen, nicht der direkte Nachfolger von Uli Hoeneß werden. Ausgerechnet Kahn, der in seiner Karriere für das „Immer weiter! Immer weiter!“ stand, wollte sich diesen Job nicht antun. „Beim FC Bayern und in der Person Uli Hoeneß ist dieses gnadenlose Erfolgsdenken verinnerlicht - nur der erste Platz zählt. Sonst nichts. Sonst ist es gleich eine Katastrophe.“
Besenrein will Hoeneß den Verein zum Jahreswechsel 2009/10 übergeben - sportlich wie moralisch. Eine Übergabe, mit der er vieles abgeben wird? Das korrigiert Hoeneß energisch: „Die Leute machen einen großen Fehler zu denken, ich sei dann weg. Das Gegenteil ist der Fall! Ich werde eng am Team dran sein und mich nach wie vor einbringen und präsenter sein, als das vielen Journalisten lieb ist. Ich gehe doch nicht in Pension!“
Schweigen als größte Herausforderung
Lobbyarbeit will er künftig machen, in der Politik, in den Verbänden, beim DFB und der DFL. Außerdem Kontakte pflegen zu großen Firmen, zu möglichen Sponsoren. Das Aufgabengebiet Nummer drei stellt wohl die größte Herausforderung dar: Schweigen! 2010 werde es von ihm keine Äußerungen zu sportlichen Themen mehr geben.
„Am Samstag nach dem Spiel? Null! Am Montag nach dem Spiel? Null!“ Ob er das durchhält? In der Hinrunde der Saison 2009/10 sprach er fast nach jedem Spiel mit den Journalisten - mit der Erfahrung des neuen Blickwinkels Tribüne. Dorthin hatte er schon ein Jahr zuvor umziehen wollen, als Jürgen Klinsmann seinen Job antrat. Doch Klinsmann bat Hoeneß, als Ratgeber und gute Seele des Vereins an seiner Seite zu bleiben. Er war der letzte Coach, dessen Unvermögen und zunehmende Hilflosigkeit der Manager hautnah an der Seitenlinie miterlebte. Mit der Verpflichtung von Louis van Gaal wurde die Nachfolgeregelung auch optisch dokumentiert: Christian Nerlinger, seit 1. Juli Sportdirektor, sitzt unten beim Trainerstab. Hoeneß als zukünftiger Aufsichtsratsvorsitzender oben auf der VIP-Tribüne bei den Funktionären.
„Wenn Uli sich komplett zurückziehen würde, wäre das ein herber Verlust. Aber das wird er nicht tun.“ Da kennt ihn Ottmar Hitzfeld, der frühere Trainer des Klubs, zu gut. „Der FC Bayern ist ja sein Kind, sein Werk. Das könnte er nie vernachlässigen. Er wird sich immer einmischen. Dafür ist er viel zu ehrgeizig.“
Fußball ist sein Leben
Loslassen möchte er, zumindest hat er es vor. Spontaner sein, ungezwungener. Ausflüge machen will er mit seiner Frau. Ganz spontan. „Für so etwas hatte ich 30 Jahre keine Zeit.“ Hoeneß hat schon Pläne. „Da fliegen wir mal freitags nach Madrid“, überlegt er laut, „bleiben bis Montag und schauen uns das Spiel gegen Barcelona an.“ Wieder Fußball. Immer Fußball. Ist Hoeneß am Sonntag zu Hause, schaut er auf dem Sofa Fußball. Bundesliga, Premier League, spanische Liga. Er kann nicht anders. Es ist sein Leben.
„Aber alles hat doch seine Grenzen. Man muss doch auch mal entspannen und zufrieden sein, sich zurücklehnen - einen Erfolg zu genießen“, sagt Oliver Kahn, „das fällt Hoeneß schwer. Es ist die Basis seines Erfolges, gleichzeitig ist er aber immer noch ein Getriebener seines Ehrgeizes. So kann man doch ganz schwer Gelassenheit entwickeln, wenn man immer nach mehr strebt.“ Kahn behauptet, es gelernt zu haben - gerade nachdem er es selbst übertrieben hatte in Sachen Ehrgeiz. „Ich würde ihm raten: Geh mal raus, mach mal was anderes! Ich würde ihm wünschen, dass er das mal tut. Er wird plötzlich Dinge sehen, die er noch nie gesehen hat.“
Patrick Strasser