Gegner unter Spielern: Wird seine FC-Bayern-Vergangenheit zum Problem für Nagelsmann?

München – Ein gutes halbes Jahr ist es her, da sah die Münchener Welt noch ganz anders aus. Im Achtelfinale der Champions League wurde die Star-Truppe von Paris Saint-Germain mit einem 3:0 nach Hin- und Rückspiel hochkant aus dem Wettbewerb gekegelt. Julian Nagelsmanns FC Bayern galt, mit acht Siegen aus acht Spielen und lediglich zwei Gegentoren, als einer der größten Anwärter auf den Titel.
Allerdings unterschieden sich schon damals die Leistungen zwischen Bundesliga und Champions League. Nach einem 1:2 in Leverkusen setzte der Rekordmeister seiner Achterbahnfahrt ein Ende und entließ Julian Nagelsmann. Wie später herauskam, hatte der Coach in der Bayern-Kabine nicht nur Freunde. "Die Konstellation zwischen Julian Nagelsmann und der Mannschaft hat nicht mehr gepasst", hielt der damalige Sportvorstand Hasan Salihamidzic auf der Antrittspressekonferenz von Nachfolger Thomas Tuchel fest.
Nun treffen dieselben Akteure, gut ein halbes Jahr später, erneut aufeinander. Am Freitagmittag wurde Nagelsmann neuer Bundestrainer. Könnte es zu einem Eklat kommen? Die AZ wirft schon mal einen Blick auf Nagelsmann-Befürworter und Gegner.
Die Nagelsmann-Befürworter: Kimmich und Goretzka mit emotionalen Statements
Joshua Kimmich: Einer der, wenn nicht sogar der größte Befürworter des neuen Bundestrainers. In München war der 28-Jährige immer Nagelsmanns erster Ansprechpartner innerhalb des Teams und wurde nach Neuers Skiunfall sogar als erster Kapitän ins Gespräch gebracht, hätte Neuer nicht weitermachen können. Wenig überraschend kommentierte Kimmich Nagelsmanns Entlassung mit den Worten: "Am Ende ist so das Geschäft: wenig Liebe, wenig Herz."

Obwohl Kimmich während seiner Zeit beim FC Bayern unter Jupp Heynckes, Pep Guardiola oder Hansi Flick trainierte, gehört Nagelsmann "locker in die Top drei meiner besten Trainer", wie Kimmich kurz nach dessen Entlassung betonte. Passend dazu likte Ehefrau Lina den Post des DFB-Team-Accounts zur Verpflichtung des 36-Jährigen. Klarer Fall: Kimmich ist Nagelsmanns Musterschüler, Liebling und engster Vertrauter. Das beruht im Übrigen auf Gegenseitigkeit – und sorgte bei den Teamkollegen auch für Differenzen, vor allem den anderen Führungsspielern, wie Thomas Müller oder Manuel Neuer.
Leon Goretzka: Genauso getroffen wie Kimmich war auch Mittelfeldpartner Leon Goretzka von Nagelsmanns Entlassung. Bereits auf Instagram verabschiedete sich der 28-Jährige mit einem emotionalen Statement von seinem Coach.
Dieses untermalte er nach dem 2:0 gegen Peru im ZDF mit den Worten: "Ich glaube, wir haben eine sehr enge Beziehung zu Julian gepflegt. Wahrscheinlich habe ich ihn häufiger gesehen als meine Familie." Wenn so jemand plötzlich nicht mehr da sei, aus dem Nichts, "ist das natürlich ein Schock für alle".
Leroy Sané: Nach einer eher durchwachsenen Debütsaison unter Hansi Flick kam der Nationalspieler unter Nagelsmann in den Hinrunden 2021/22 und 2022/23 langsam in München an, wenngleich seine Leistungen in der zweiten Saisonhälfte nachließen. "Ich habe mit Julian ein sehr gutes Verhältnis", gab Sané daher selbst bei "Sport1" preis. "Es tat mir leid, dass er am Ende gehen musste, weil wir als Mannschaft teilweise nicht die Ergebnisse liefern konnten wie erhofft. Ich habe mich von ihm immer abgeholt gefühlt." Gute Nachrichten für die Nationalmannschaft.
Müller, Musiala und Gnabry: Weder Nagelsmann-Fans noch wirkliche Gegner
Serge Gnabry: Das DFB-Team ist die dritte Station, bei der beide aufeinandertreffen werden. Bereits zur Saison 2017/18 formte sich Nagelsmann Gnabry bei der TSG Hoffenheim auch ein Stück weit selbst vor. Damals sagte Co-Trainer Matthias Kaltenbach: "Serge und Julian hatten in Hoffenheim von Anfang an eine sehr gute Verbindung. Auffallend war der offene Austausch der beiden, nach Spielen, vor Spielen oder im Training." Zu Bayern-Zeiten gab es jedoch auch immer häufiger öffentliche Kritik – wie nach Gnabrys Trip zur Pariser Fashion Week.
Thomas Müller: Sein Standing verringerte sich im Vergleich zu Vorgänger Hansi Flick deutlich. Besonders die Tatsache, wie sehr er auf einmal für seinen Einfluss kämpfen musste, führte zu einer eher neutralen Beziehung zwischen beiden. Dennoch verabschiedete Müller Nagelsmann in einer Instagram-Story mit den Worten: "Danke dir und deinem Team für euren Einsatz, lieber Julian. Alles Gute und bis bald."

Ob er damals schon eine Vorahnung hatte? Jedenfalls lobte Müller den neuen Bundestrainer nach dem 7:0 gegen den VfL Bochum: "Was man sieht und schon gesehen hat bei der Pressekonferenz: Die Energie, die Freude, die er hat, diesen Job auch ausfüllen zu dürfen. Ich glaube, das wird uns guttun, Julian hat sehr viele Pläne in der Schublade und ich glaube, dass er da einen passenden für diese Mannschaft finden wird."
Jamal Musiala: Nagelsmann machte den Youngster zu Beginn der vergangenen Saison zum Stammspieler. Dennoch lief es zwischen den beiden –besonders nach der verkorksten WM – nicht immer rund. Nagelsmann kritisierte Musiala öffentlich für seine "fehlende Klarheit" bei den Abschlussaktionen. "Ich kenne die Gründe und habe sie ihm auch mitgeteilt, aber das ist nichts für die Öffentlichkeit."
Das soll laut "Bild" zu einem "nicht ganz einfachen" Verhältnis zwischen beiden beigetragen haben. Demnach hätte sich Musiala mehr Fingerspitzengefühl in dieser für ihn schweren Phase gewünscht. Im Trainerteam kümmerte sich hauptsächlich Assistent Dino Toppmöller um den Youngster.

Dieses Fingerspitzengefühl zeigt stattdessen Nachfolger Thomas Tuchel, der sich im Individualtraining nach Musiala erkundigte und ihm dabei liebevoll die Ohren langzog. Vor dem Pokalspiel bei Preußen Münster erklärte Tuchel, dass der Nationalspieler beim 7:0 gegen Bochum nicht gespielt habe, um nach einer leichten Muskelverhärtung kein Risiko einzugehen. Zwar betonte Bayerns Coach, dass auch Fitness "ein Talentkriterium" sei und Musiala dahingehend "stabil bleiben und stabil werden" müsse. Denn: "Dann ist auch Jamal jemand, der über die linke Seite, halblinke Seite den Unterschied für uns ausmachen kann." Im Nachgang lobte Tuchel noch Musialas Ehrgeiz und hohe Anforderungen an sich selbst. Damit zeigte Tuchel beides auf: Defizite, aber eben auch Stärken.
Manuel Neuer: Tapalovics Entlassung führte zum Bruch
Manuel Neuer: Als der damalige Sportvorstand Hasan Salihamidzic meinte, dass "die Konstellation zwischen Julian Nagelsmann und der Mannschaft" nicht mehr gepasst habe, dürfte er damit insbesondere die Riege der eigentlichen Kapitäne gemeint haben: Thomas Müller, aber insbesondere Manuel Neuer. Abgesehen davon, dass sich die Situation schon alterstechnisch schwierig gestaltet und Nagelsmann jünger ist als Neuer, sorgte besonders die Entlassung von Toni Tapalovic für einen Bruch in der Beziehung zwischen Trainer und eigentlichem Kapitän.
Der Vorwurf: Neuers Vertrauter soll Interna aus der Trainerkabine weitergegeben haben. Für den Keeper war Tapalovics Demission "ein Schlag, als ich bereits am Boden lag. Ich hatte das Gefühl, mir wird mein Herz rausgerissen, das war das Krasseste, was ich in meiner Karriere erlebt habe", erzählte Neuer Anfang Februar der "Süddeutschen Zeitung".

Auch die Tatsache, dass Nagelsmanns erster Ansprechpartner in der Kabine Kimmich gewesen ist und nicht Kapitän Neuer, trug zur frostigen Stimmung zwischen beiden bei.
Zwar sei Nagelsmann auch nach seiner Entlassung beim FC Bayern mit Neuer in Kontakt gewesen und habe sich nach dessen Gesundheitszustand erkundigt. Die Aussage: "Manu ist unsere klare Nummer eins, unser Kapitän und wird das auch weiterhin bleiben", sucht man in der Antritts-PK des neuen Bundestrainers vergeblich. Stattdessen freute sich Nagelsmann über "das große Glück, Zugriff auf Weltklasse-Torhüter zu haben."
Nagelsmann stellt die Kapitänsfrage nicht – zu Ungunsten von Neuer
Für Neuer als Kapitän setzte sich der 36-Jährige nicht ein. Stattdessen soll Ilkay Gündogan die Rolle weiterhin übernehmen. "Ich bin von Ilkay als Mensch und auch als Spieler extrem überzeugt", erläuterte Nagelsmann seine Entscheidung.
Gleich die nächste Länderspielpause Mitte Oktober könnte also einige durchaus interessante Gesprächspunkte bereithalten.