Geduld, Geduld

Beim Heimspiel-Debüt des holländischen Coaches murren die Fans – und Anatolij Timoschtschuk enttäuscht. Louis van Gaal ist mit dem pragmatischen Bayern-Spiel aber zufrieden: „Das erwarte ich von meiner Elf.“
MÜNCHEN Natürlich waren sie sofort zur Stelle, diese Vorrechner, diese Vergleichezieher, diese Zahlenfetischisten. Okay, lassen wir sie mal machen. Zwei Spiele, zwei Remis, zwei Punkte lautet die Bayern-Bilanz nach dem Saisonstart unter Louis van Gaal. Und das ist – bingo! – exakt so wie vor einem Jahr unter Jürgen Klinsmann. Damals folgte auf ein 2:2 gegen den HSV ein 1:1 in Dortmund. Die Nachrichtenagentur „dpa“ fasste stringent zusammen: „Van Gaal wie Klinsmann“.
Das ist aber nur die eine Seite. Denn: Nimmt man die Ergebnisse der Partien der letzten Saison in Hoffenheim (damals 2:2) und gegen Bremen (jenes unglaubliche 2:5), kann man feststellen: Van Gaal zwei Punkte, das Duo Klinsmann/Heynckes nur einen Punkt. Ergo: Van Gaal zu hundert Prozent besser als seine Vorgänger.
Schluss mit Zahlen, das Publikum ist gefragt. Und da gab es, was die ersten 30 Minuten des Spiels betrifft, eine gewisse Diskrepanz zwischen dem Verantwortlichen der Aufführung und dem Votum der Fans. Die murrten und meckerten, ja sie pfiffen sogar bei der Heimspiel-Premiere des neuen Trainers. Weil nach Ansicht des Publikums doch arg statisch und vorsichtig aus der Abwehr heraus agiert wurde. Der Trainer sah es so: „Wir haben 30 Minuten hervorragend gespielt, es aber verpasst, ein Tor zu machen.“ Das machten dann die Bremer durch Özil (39.), als die Bayern-Abwehr so (selbst-)sicher geworden war, bis sie ein Sommernickerchen einlegte.
Zuvor machten die Bayern das, was der Trainer verlangt. Sicheres, pragmatisches Aufbauspiel mit klaren, einfachen Pässen von hinten heraus. Safety first bei 61 Prozent Ballbesitz. Im Grunde die gute, alte Bayern-Schule. Eine Tradition seit den 70er Jahren. Bezeichnend: Die meisten Ballkontakte (102) hatte mit Holger Badstuber ein Verteidiger. Bis der Gegner resigniert vor lauter Geduld und Coolness. Beides fehlte jedoch am Samstag. Dennoch war van Gaal zufrieden: „Ich habe das gesehen, was ich von meiner Elf erwarte: Ballbesitz, den Gegner beherrschen, ihn nicht ins Spiel kommen zu lassen, das Spiel dominieren.“
Erst als mit den Einwechslungen von Olic, Ribéry und des frechen Müller Witz, Begeisterung und ein wenig Anarchie auf den Platz kamen, wendete sich das Spiel. Immer wieder betont van Gaal, man solle Geduld haben, Sportdirektor Christian Nerlinger hatte einen „holprigen Start“ prognostiziert.
Was auch auf Anatolij Timoschtschuk, den Stellvertreter des verletzten Mark van Bommel, zutrifft. Der Ukrainer agierte viel zu zaghaft und vorsichtig, war eher ein blasser denn ein blonder Lothar Matthäus, der ja sein Vorbild ist. In drei Wochen erst ist van Bommel zurück, mit Timoschtschuk Geduld gefragt. Und wer ersetzt den Holländer als Anführer, als Antreiber? Eben. Geduld, Geduld.
Wie sagt das Sprichwort? Geduld ist die Kunst zu hoffen.
Patrick Strasser