Bayern-Coach Alexander Straus im AZ-Interview: "Man kann es mit der Formel 1 vergleichen"

München - AZ-Interview mit Alexander Straus: Der Norweger (45) trainiert die Bayern-Frauen seit dieser Saison. Davor führte er sein Heimatteam Sandviken TF zur Meisterschaft.
Sie sind neun Monate in München. Wie haben Sie sich bisher eingelebt?
Gut soweit, danke! München ist eine aufregende Stadt. Das Wetter ist hier im Winter recht ähnlich zu dem in Norwegen. Es gibt Menschen, die denken, dass in Norwegen im Winter Eisbären durch die Straßen laufen, aber das stimmt so natürlich nicht. Es ist wie hier: dieselben Temperaturen, dieselbe Menge an Schnee. Nur: Hier in Deutschland ist es länger hell.
Finden Sie denn manchmal Zeit, die Stadt zu entdecken?
Manchmal gehe ich durch die Altstadt, laufe durch den Englischen Garten oder durch den Nymphenburger Schlosspark. Ich mag die Straßen und Gassen rund um den Marienplatz mit den vielen Cafés. Es ist gut, dass nicht immer alles so hektisch ist in München und man sich gut zurückziehen kann.
"München ist in meinen Augen die schönste Stadt Deutschlands"
Ist der Vibe der Stadt ähnlich zu Ihrer Heimatstadt Bergen?
Es ist teilweise ähnlich, aber die Kultur und die Menschen sind schon unterschiedlich. Bergen ist nicht die größte Stadt in Norwegen, nicht die Hauptstadt, aber für viele ist es sowas wie die heimliche Hauptstadt. Das ist vielleicht eine Ähnlichkeit zu München. Und: Bergen ist die schönste Stadt Norwegens, München ist in meinen Augen die schönste Stadt Deutschlands.
Nach der Länderspielpause hatte Bayern viel Stress: Das Nachholspiel gegen Potsdam, Pokal, Bremen, alle auswärts. In welcher Verfassung ist die Mannschaft?
Unser Kalender war voller als der unserer Kontrahenten. Aber wir fokussieren uns auf das, was wir kontrollieren und beeinflussen können. Wenn wir etwas nicht ändern können, dann wenden wir dafür nicht viel Energie auf. Die Mädchen haben das fantastisch gemacht in dieser stressigen Phase. Ihre Mentalität und Professionalität haben mich beeindruckt. Wir waren gut in Potsdam, sehr stark in Hoffenheim, okay in Bremen, und wir haben immer unseren Job gemacht. Es zeigt, dass wir nicht nur auf dem Feld wachsen, sondern auch abseits davon.
Was meinen Sie damit?
Es ist unser Mantra, unbeirrt unseren Job zu machen und uns auf das Wesentliche zu fokussieren. Wir müssen einfach weitermachen, jetzt beginnt das letzte Drittel der Saison. Wir haben viele Fortschritte gemacht. Es geht um eine viel größere Perspektive als die kurzfristige mit Sieg oder Niederlage. Wir durchlaufen einen Prozess, das zu verinnerlichen.
Wie sieht diese größere Perspektive aus?
Wir haben eine Vision, wie die Mannschaft spielen soll, wie sie und das Team dahinter funktionieren sollen. Ich will, dass wir einen attraktiven Fußball spielen, den die Leute gern anschauen und der erfolgreich ist. Der Erfolg ist ein Teil dieses Prozesses. In meiner Erfahrung ist man Ende erfolgreich – und muss sich dann neu aufstellen und den Prozess erneut durchlaufen. Immer wieder aufs Neue. Lange nach meiner Zeit sollen die Menschen erkennen, wie der FC Bayern München verinnerlicht hat, zu spielen. Das ist für mich wichtig.
"Jeder ist Teil des Erfolgs. Dazu muss jeder verstehen, was sein oder ihr Job ist und ihn machen"
Was ist noch wichtig?
Wie wir uns außerhalb des Fußballplatzes verhalten: Wie kommunizieren wir miteinander im gesamten Team? Jeder ist Teil des Erfolgs. Dazu muss jeder verstehen, was sein oder ihr Job ist und ihn machen. Man kann das mit der Formel 1 vergleichen: Wenn ein Auto in die Boxengasse fährt, hat jeder eine Aufgabe. Einer wechselt den linken Reifen, einer den rechten, andere Leute dahinter haben andere Aufgaben – alle müssen das in wenigen Sekunden richtig gut machen. Es geht um Leadership, die Idee, Verantwortung.
Viele Pässe durchs Mittelfeld sind Teil Ihrer Spielphilosophie. Wie sieht ein attraktives Fußballspiel für Sie aus?
Wir wollen viel Rotation, viele Pässe, um das Spiel zu kontrollieren. Dazu müssen wir den Ball haben und ihn behalten. Dann entsteht eine Dominanz im Zentrum und in den Halbräumen. Wir müssen kompakt attackieren, also mit vielen Spielerinnen, die nahe beieinander sind. Das hat den Vorteil, dass wir kurze Distanzen haben, um den Ball zurückzugewinnen, wenn wir ihn verlieren. Wir müssen mit dem Ball und gegen den Ball intensiv spielen. Das zu verinnerlichen, braucht Zeit. Wie bei einer Pflanze, die man immer wieder gießen muss, bis sie blüht. Dann haben wir das perfekte Spiel.
Wie lange wird die Blume brauchen, bis sie blüht?
Manchmal macht man einen großen Schritt vorwärts, dann wieder einen zurück. Sollte alles perfekt laufen, werden wir uns schnell neue Ziele setzen. Wir müssen uns pushen und einen Hunger auf Entwicklung haben, um heute jedes Mal ein bisschen besser zu sein als gestern. Wenn wir dieses Mindset haben, gibt es kein Limit. Und das wird weitergehen, wenn ich weg bin. Dieser Prozess gehört dem Klub, nicht dem Trainer.
Sie haben in den vergangenen Monaten häufiger gesagt, dass die Mannschaft effizienter werden muss. Ist das das größte Problem im Team?
Ich würde nicht sagen, dass es ein Problem ist. Wenn wir gegen Teams spielen, die in der Tabelle weiter hinten stehen, kreieren wir oft viele Chancen, da müssen wir uns einfach öfter belohnen. Zum Beispiel in Potsdam: Wir hätten 6:0 gewinnen können, wenn wir die großen Chancen genutzt hätten. Gegen die Topteams fällt es uns aktuell wiederum noch oft zu schwer, genug große Chancen zu kreieren.
"Mir ist egal, was Wolfsburg macht. Es geht nur um uns"
Nächste Woche steht das Viertelfinal-Hinspiel in der Champions League gegen Arsenal an. Was läuft bei englischen Teams anders als bei deutschen?
Sie haben eine andere Kultur, einen anderen Spielstil. Am Ende ist es aber ähnlich zu Spielen gegen deutsche Topteams: Die Qualität im Kader zählt. Oft kommt es auf Details und taktische Feinheiten an.
Arsenal hat viele Ausfälle zu beklagen, darunter die Topstars Vivianne Miedema und Beth Mead. Ein Vorteil für den FC Bayern?
Wir sind in derselben Situation. Bei uns sind Hanna Glas (inzwischen zu Kansas City gewechselt, d. Red.) und Giulia Gwinn ausgefallen, jetzt Linda Dallmann. Das ist schade, für die Spielerinnen, für uns und für die Zuschauer, die die besten Spielerinnen auf dem Platz sehen wollen. Arsenal machte zuletzt mit starken Leistungen aber nicht den Eindruck, viele Spielerinnen zu vermissen.
Nach dem Arsenal-Spiel folgen zwei Partien gegen Wolfsburg. Das Topspiel in der Liga und im DFB-Pokal. Müssen Sie die Spielerinnen mental vorbereiten?
Diese Spiele liegen im Moment zu weit in der Zukunft. Sie zählen noch nicht. Wir denken immer nur an das nächste Spiel. Das ist das wichtigste Spiel, darauf fokussiere ich mich zu 100 Prozent. Es ist sicher meine Stärke, dass ich diese großen Spiele ausblenden kann.
Diese großen Spiele sind entscheidend. Das hat Wolfsburg gezeigt: Durch ihre Niederlage gegen Hoffenheim ist der Abstand auf zwei Punkte geschrumpft. Hat man da nicht im Hinterkopf, dass man noch Meister werden kann?
Ehrliche Antwort: Mir ist egal, was Wolfsburg macht. Es geht nur um uns.
"Deutschland ist sehr weit in Sachen Frauenfußball"
Wolfsburg und Bayern stellen die meisten Nationalspielerinnen und sind mit verantwortlich für den Frauenfußball-Hype. Wie viel Hype spüren Sie noch?
Deutschland ist sehr weit in Sachen Frauenfußball und ich bin sehr glücklich und stolz, hier arbeiten zu dürfen. Ich bin stolz, wenn ich sehe, wie die Mädchen von den Menschen wahrgenommen werden, bei Auswärtsspielen, am Flughafen, auf Reisen. Sie verdienen es, da sie Top-Athletinnen sind und mit zu den Besten in der Welt gehören.
Wie ist es hier im Vergleich zu Ihrer Heimat Norwegen? Man bekommt den Eindruck, als sei Frauenfußball dort viel politischer.
Mir und uns geht es immer um die Zuschauer. In Norwegen haben wir drei Topteams mit viel Aufmerksamkeit. Hier in Deutschland haben nicht nur die großen Teams viele Zuschauer, auch die kleineren und die Traditionsvereine haben Fans, die regelmäßig zu den Spielen kommen. Davor habe ich großen Respekt. Sie kommen für das Team, beispielsweise in Potsdam. In Bremen waren auch über 2.000 Leute da. Und auch zuhause auf dem Campus ist es fantastisch. Man fühlt sich, als wäre man in einem großen Stadion. Die meisten Klubs würden sich wünschen, sie hätten so ein Stadion.