Franz Beckenbauer: Eine kaiserliche Zeitreise

München - Papa schnürt noch einmal die Fußballschuhe. In diesem Moment ist Franz Beckenbauer einfach nur Vater, kein Kaiser. Zu Hause in Salzburg tritt der 69-Jährige gegen seine Kinder Joel (14) und Francesca (11) auf einem eigens eingerichteten Kleinfeld-Platz an. Kick it like Kaiser. Mutter Heidi, seine dritte Frau, schaut stolz zu. Unbeschwerte, glückliche Momente.
Es ist eine der schönsten Szenen des 90-minütigen Dokumentarfilms „Fußball – ein Leben, Franz Beckenbauer“, einer Ufa-Fiction-Produktion im Auftrag des Bayerischen Rundfunks. Am Sonntag, direkt nach dem „Tatort“, um 21.45 Uhr, zeigt die ARD das Beckenbauer-Porträt zu dessen 70. Geburtstag – fünf Tage vor des Kaisers Ehrentag.
Nach dem Tod seines Sohnes bleibt ein beklemmendes Gefühl
Ab Mai 2014 begleitete das Team um Produzent Nico Hofmann und Dokumentarfilmer Thomas Schadt die Legende des deutschen Fußballs über ein Jahr verteilt an 30 Drehtagen, so kamen bis zu 60 Stunden Material zusammen. Und doch bleibt ein beklemmendes Gefühl, wenn Beckenbauer über die Frage sinniert, ob er ein Sonntagskind sei: „Natürlich. Alle Sonntage der Welt sind in mir vereint. Klar, wenn man so ein Leben hat, in diesen 70 Jahren.“ Denn Ende Juli, zwei Monate nach Drehschluss, musste Beckenbauer das Schlimmste verkraften, was einem Familienvater widerfahren kann: den Tod eines Kindes. Sein Sohn Stephan starb im Alter von nur 46 Jahren. Über den Verlust wollte Beckenbauer nicht sprechen, die geplante Premierenfeier in München wurde selbstverständlich abgesagt.
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Dennoch – und vielleicht gerade weil Beckenbauer seine für ihn so typische Leichtigkeit, seine charmante Lässigkeit, seine der Öffentlichkeit bekannte Souveränität, immer und überall freundlich zu sein, in dieser Dokumentation beweist – überzeugt der Film. „Ich weiß nicht, wie mein Leben ohne Fußball gelaufen wäre“, sagt der ehemals legendäre Libero und fügt nach kurzer Bedenkzeit hinzu: „Ich wäre auch irgendwie durchgekommen, ich bin ja gelernter Versicherungskaufmann.“
In der Dokumentation geht der Kaiser auf Zeitreise durch sein eigenes Leben: Zu seinem ersten Bolzplatz in Giesing, zu einer Jugendmannschaft des SC 1906 München, seinem Klub der Kindheit, an die Säbener Straße, die Heimat des FC Bayern. Man reiste gemeinsam an die Stätten seiner größten Stunden: ins Londoner Wembleystadion, in dem er bei seiner ersten WM 1966 als 20-Jähriger den Titel knapp verpasste, oder nach New York, um seinen Freund Pelé – die beiden nennen sich „Brother“ – zu treffen, mit dem er ab 1977 bei Cosmos New York spielte.
Auch die Stationen des Kaiser-Triples werden abgeklappert: Das Münchner Olympiastadion (Weltmeister als DFB-Kapitän 1974), das Olympiastadion von Rom (Weltmeister als Teamchef 1990) samt kaiserlichem, ganz einsamem Abschreiten des Rasens im Mittelkreis, sowie das Berliner Olympiastadion, Finalstätte der WM 2006, die er nach Deutschland geholt hatte.
Stark ist der Film, als Beckenbauer zum Beobachter seiner eigenen Vergangenheit gemacht wird: Der Kaiser beweist schauspielerisches Talent, kommentiert bestimmte Szenen, witzelt vor sich hin.
Im Stehen kann Beckenbauer besser granteln
Als ihn die Kamera bei einem Bayern-Heimspiel in der Allianz Arena begleitet, zeigt sich die enorme Fallhöhe zwischen dem Wissen um das eigene Können und dem Treiben seiner Erben da unten. Er verfolgt die Partie im Stehen, hinter der letzten Reihe der VIP-Sitze. Dort kann er besser abwinken, kaiserlich vor sich hingranteln inklusive Scharfrichter-Blick. Herrlich anzuschauen, wie er Tore hinnimmt, weil sie nicht würdevoll genug erzielt wurden: mit Schulterzucken und – das ist dann schon ein Lob – einem gönnerhaften Schmunzeln. „Ich will ja für die Bayern das Perfekte, aber ich weiß, dass das nicht gelingt – und dann werde ich ungeduldig und grantig“, entschuldigt sich der heutige Ehrenpräsident.
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Der Film ist eine Liebeserklärung an den besten Fußballer des Landes, eine Würdigung der Lebensleistung der Lichtgestalt. Dessen Schatten(-seiten) werden ignoriert, manche seiner unbedachten Äußerungen („Ich hab’ nicht einen einzigen Sklaven in Katar gesehen“) bleiben unerwähnt. Aber würde man das in einer Festrede erwähnen? Also. Und daher: Schau’n mas mal an!