Franck Ribéry: "Ich komme aus dem Nichts"
Franck Ribéry vom FC Bayern München ist auf dem Höhepunkt seiner Karriere – und erinnert sich gerade jetzt an Zeiten, in denen er ganz unten war, kein Geld hatte, im "Ghetto" lebte – und in Angst vor Arbeitslosigkeit.
Agadir - Franck Ribéry muss oft blinzeln. Blitzlicht hier, Handyfoto da, die Marokkaner wollen ihren Helden am liebsten gar nicht mehr gehen lassen. Nach dem 3:0-Sieg des FC Bayern über die Chinesen von Guangzhou Evergrande beim Klub-WM-Halbfinale ist Ribéry die absolute Hauptattraktion der Interviewzonen, der Mixed-Zonen-Magnet.
Einheimische Journalisten vergessen die neutrale Distanz, jeder will ein Foto mit Europas Fußballer des Jahres, dem Weltfußballeranwärter. Die Marokkaner lieben Ribéry, weil sie ihn, den konvertierten Moslem, als einen der ihren sehen, als Botschafter des Maghreb.
Deswegen wurde sein 1:0 auch am meisten im Stadion bejubelt, lauter als die Treffer der Marios Mandzukic und Götze. Am lautesten wurde es bei Ribérys Auswechslung, als der Star winkte und Kusshändchen warf, speziell in die Kurve der einheimischen Fans.
"Das war schön für mich, ein gutes Gefühl, viel Spaß", sagt er in einer seiner Antworten auf Deutsch. "Die Leute sind sehr positiv, sind alle für Bayern."
Ribéry genießt den Höhepunkt seiner Karriere gerade ausgiebig. Weil er weiß, dass es nicht selbstverständlich war. Das verrät er nun in einem Interview mit der "Sport Bild", gibt dort Einblick in sein Innerstes. "Ich komme aus dem Ghetto, aus dem Nichts", schildert er seinen Aufstieg aus der schmucklosen französischen Industriestadt Boulogne-sur-Mer, über Alés, Brest, Metz, nach Istanbul, Marseille, München, in den Fußball-Olymp.
Erinnerungen kommen ihm dieser Tage vermehrt hoch, vor Jahresende, nach vier Titeln, vor der Weltfußballerwahl am 13. Januar, die seine Party, seine Gala werden soll. Erinnerungen an die schwierigen Anfänge, als er als 17-Jähriger "auf dem Bau arbeiten, um Geld zu bekommen" musste. "Ich hatte einen Kredit (3000 Euro, d. Red.) aufgenommen, um mir Möbel kaufen zu können", erzählt er, "das war damals viel Geld für mich, ich war noch jung."
Sein Talent lag damals brach, aus dem Jugendinternat des OSC Lille war Ribéry mit 16 rausgeflogen. Er musste den Weg durch die Niederungen des französischen Liga-Fußballs gehen, über US Boulogne, Olympique Alès, Stade Brestois. Und wer weiß, wie alles gekommen wäre, hätte er nicht irgendwann doch seine Chance beim Schopf gepackt. "Es wäre sehr schwierig geworden, die Menschen bei uns sind sehr arm", sagt er. "Wahrscheinlich wäre ich das heute auch – und vermutlich arbeitslos."
2004, in Brest, verdiente er gerade mal 1800 Euro im Monat – wenn Stade gut spielte, Siegprämie floss. "Ich stand damals vor dem Nichts." Existenzängste begleiten ihn und seine heutige Frau Wahiba. Diese "hatte damals ein kleines Haushaltsbuch, in das sie alle Ausgaben geschrieben hat: Pasta, Milch – alles, was wir zum Leben brauchten, hat sie darin aufgelistet", verrät er. Das Buch hat Wahiba bis heute aufgehoben. "Heute denke ich beim Einkaufen oft daran, wie gut es mir geht. So etwas kannst du nicht vergessen", sagt Ribéry.
Vergessen kann er auch nicht, was der FC Bayern für ihn getan hat. Vor allem Präsident Uli Hoeneß ("Er ist wie eine Vaterfigur für mich") hielt immer zu seinem Filou, auch als dessen Sexaffäre mit der damals minderjährigen Zahia ans Tageslicht kam. Ribéry: "Ich habe alles erlebt, 2010 war das schlimmste Jahr meiner Karriere. Da haben viele Leute in Frankreich und auf der ganzen Welt gesagt: Ribéry ist kaputt, der kommt nie wieder zurück. Nur der FC Bayern hat immer an mich geglaubt."
Zu Recht. Am Mittwoch wählten ihn die 36 Kapitäne aller Bundesligisten mal wieder zum "Bundesliga-Profi des Jahres". In München fühlt er sich wohl, das beflügelt. Mehmet Scholl, Ribérys Vorgänger mit der Nummer 7, meint süffisant: "Das letzte Land, das ihn ins Herz geschlossen hat, war Frankreich." Während er in München längst Held, "völlig eingemeindet" sei.
Deswegen gönnen ihm auch alle den Weltfußballertitel von Herzen. Ribéry sind Fragen danach zwar mittlerweile lästig, er kann den Ausgang der Wahl nicht mehr beeinflussen. In Marokko stellt er sich den Fragen aber gerne. Klappt’s mit dem Ballon d’Or? "Warum nicht, ich habe eine große Chance", sagt er. "Damit wäre die Titelsammlung komplett."