Franck Ribéry: "Er ruht in sich"

Franck Ribéry verbindet mit seiner französischen Heimat eine Art Hassliebe. Nach turbulenten Jahren steht nun, bei der Rückkehr des Bayernstars nach Lille, endlich die Zuneigung im Vordergrund.
LILLE Lance Armstrong hat Franck Ribéry verdrängt. Der Fall des einstigen Tour-Helden erschüttert die Radsportnation Frankreich zutiefst und dominierte die Medien des Landes am Dienstag. Doping-Betrug im großen Stil – was ist da schon die Diskussion um ein paar Albereien und Raufereien von Teenagern sowie die Frage: Ist der Kerl von der Küste zu klein?
„Zweischneidige Erinnerungen” überschrieb die Zeitung „La Voix du Nord" die Rückkehr von Bayern-Star Ribéry in seine Heimat zum dritten Gruppenspiel der Champions League bei OSC Lille (bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe nicht angepfiffen). Am Montag nach der Ankunft der Bayern in Lille hatte Ribéry bei der Fragerunde im Mannschaftshotel Anklage erhoben gegen die Leiter der OSC-Jugendakademie. „Es war nicht einfach für mich. Die Direktoren damals haben viel Falsches gesagt und Lügen verbreitet – das hat auch mit Eifersucht zu tun”, sagte er über die Zeit ab 1995.
Mit zwölf Jahren hatte er seine Familie und seine Heimatstadt Boulogne-sur-Mer, rund 140 Kilometer entfernt, verlassen. Um zu wachsen, als Fußballer und als Mensch. Er sei den Verantwortlichen „zu klein” gewesen”, beklagte er sich im Nachhinein. Ein Kampf um Anerkennung – ein Spiegel seines Lebens, aufgewachsenen in ärmlichen, schwierigen Verhältnissen. Hohe Arbeitslosigkeit, viel Aggression. Dazu kamen Hänseleien wegen seiner Narbe im Gesicht, erlitten bei einem Autounfall mit zwei Jahren – die musste er auch ständig ertragen. Ribéry versuchte sich zu wehren, mal handgreiflich, als sich ein Mitschüler nach einer Schubserei den Ellbogen brach, jedoch meist spielerisch. Mit dem Ball am Fuß. Zog er ein Fußball-Trikot an, konnte er sich schützen. Denn dann war er stark, der dribbelnde, schnelle Filou – nicht der Flegel. So erarbeitete er sich Respekt.
Jean-Michel Vandamme, seit 15 Jahren Nachwuchskoordinator des OSC Lille, sprach dagegen eher von „disziplinarischen Problemen”, es sei nicht um die Körpergröße gegangen. Zu klein? Eher zu turbulent. Jedenfalls ging man damals nach vier Jahren auseinander, Ribéry kehrte in seinen Heimatort zurück.
Diese Art von Hassliebe ist ein ständiger Begleiter in seinem Leben und charakterisiert die Beziehung zu den Fans in seiner Heimat. Als Drittligaklub Arles ihn nicht mehr bezahlen konnte, wechselte er kurzerhand den Job – und schuftete übergangsweise mit seinem Vater auf dem Bau. Über Stade Brest, den FC Metz sowie einem Ausflug zu Galatasaray Istanbul landetet er im Süden des Landes. Bei Olympique Marseille ging sein Stern endgültig auf, er wurde von den Fans vergöttert – und als er 2007 zum FC Bayern wechselte: verdammt. Die WM 2006 war sein persönliches Sommermärchen, er überraschte an der Seite von Zinedine Zidane als frecher Flügelflitzer. Als er 2010 in Südafrika an der Revolte gegen Trainer Domenech beteiligt war, wurde er als Sündenbock verteufelt. Wann immer er mit Bayern in Lyon oder Marseille spielte, hagelte es Pfiffe und Beschimpfungen.
Spätestens aber seit dem 1:1 letzte Woche in Spanien, als er in seinem 69. Länderspiel (11 Tore) den Ausgleich vorbereitete, ist es wieder Liebe. „Ich habe den härtesten Kampf meiner Karriere gewonnen”, sagte Ribéry der „L'Équipe”. Der Bayern-Profi weiter: „Ich habe es allein geschafft und ich stehe immer noch. Das hätten nicht viele Spieler in dieser Form geschafft.” Um Stolz ging es immer in seinem Leben. Und darum, es den anderen zu zeigen. Ribéry, 29, ist gereift. Auch dank Trainer Jupp Heynckes, eine Art Vaterfigur für ihn. „Franck war in seiner Heimat immer umstritten, aber jetzt ruht er in sich, ist von der Psyche her ein ganz anderer Spieler als früher.”