„Feste mit dem FC Bayern tun dem Fußball gut“
Was Dettmar Cramer, der 1975 und 1976 zweimal den Landesmeister-Cup mit dem FC Bayern holte, an Louis van Gaal schätzt – und warum ihn das große Theater rund um die Profis freut
Von Florian Kinast
AZ: Herr Cramer, der FC Bayern steht kurz vor dem Triple. Hätten Sie gedacht, dass Sie das noch einmal erleben?
DETTMAR CRAMER (85): Sicher. An so etwas muss man beim FC Bayern immer denken. Ich freue mich, dass sie auch einen so überzeugenden Fußball spielen. In unserer Vorstellung ist das ideale Spiel immer eine Synthese von Erfolg und Schönheit. Man kann auch mit Glück und Hängen und Würgen gewinnen, die Freude ist aber erst vollkommen, wenn der Sieg verdient und überzeugend ist.
Was an der idealen Mischung des Teams liegt? Stars wie Robben und Ribéry, Talente wie Müller und Badstuber.
Gute Fußballmannschaften sind immer gemischt. Das war bei Brasilien auch immer so. Älter und jünger, Erfahrung und Draufgängertum, das muss gemischt sein. Ich liebe in diesem Zusammenhang das Wort Kohäsion. Viel mehr als Begriffe wie Teamspirit oder Mannschaftsgeist. Kohäsion, die Kraft, die Moleküle zusammenhält. Eine unbändige Kraft. Es sind Paare, die zusammenspielen müssen. Die besten Mannschaften der Welt waren immer auf Paaren aufgebaut: Hidegkuti und Puskas in Ungarn, Fritz und Ottmar Walter. So haben wir es auch bei Bayern gehalten.
Wer war bei Ihnen ein Paar?
Beckenbauer und Schwarzenbeck. Wann immer Beckenbauer geehrt wurde, habe ich ihm gesagt: „Vergiss in Deiner Dankesrede den Katsche nicht.“ Erst in der Ergänzung kam die Größe Beckenbauers zur Wirkung. Das Paar, die Mannschaft muss den Willen haben, zusammen zu spielen. Das ist in einem Orchester auch so. Da ist viel Verwandtschaft zur Musik.
Da braucht es aber einen, der diesen Willen zum Zusammenspiel vermitteln muss. Bei Bayern ist der Dirigent Louis van Gaal. Was zeichnet ihn aus?
Die Gründlichkeit auf dem Boden des Fachwissens. Gründlichkeit alleine reicht nicht, wenn kein Fachwissen da ist. Bei Louis treffen sich Talent und Fleiß, das fällt einem nicht in den Schoss. Das muss erdient werden und verdient. Ich kenne ihn ja schon ganz lange.
Ach, wie denn das?
Aus seiner Anfangszeit als Trainer bei Ajax Amsterdam. Ich habe damals an vielen Lehrgängen in Holland gearbeitet. Sie müssen wissen, sein Lehrmeister Rinus Michels und ich waren enge Freunde, wir haben viel über den jungen Louis gesprochen. Ich habe Louis immer geschätzt.
War sein Charakter schon damals so wie heute?
Louis hat in jungen Jahren viel mitbekommen und es bewusst entwickelt. Charakter kommt ja von „charaktein“, eingraben. So lange das Material in jungen Jahren weich ist, ist das Eingraben leichter.
So formte sich ein Unikum. Es scheint, als gäbe es einen wie van Gaal ganz, ganz selten.
Warum sagen Sie „ganz, ganz“? Ich kenne Freunde, die sagen auch „sehr sehr“. Ich sage immer: Spare dir das „sehr“, das zweite brauchst du gar nicht. Sehr, sehr! Ganz, ganz! Gewöhnen Sie sich das ab. Selten, das reicht.
Also, einen wie van Gaal gibt es selten.
Selten, aber es gibt viele Vorbilder, die er hatte, und es wird auch nach seinem Ausscheiden Vorbilder geben.
José Mourinho, der als van Gaals Assistent beim FC Barcelona arbeitete, nannte ihn ja ein großes Vorbild.
Ein Höflichkeitsakt. Van Gaal ist sicher ein Vorbild gewesen, an dem sich Mourinho gerieben hat. Dass er ein großes Vorbild ist, glaube ich nicht.
Wie gefällt Ihnen ein Typ wie Mourinho?
Ich kenne ihn nicht. Ich kenne seine Erfolge, und die Erfolge wachsen nicht von selbst. Er muss etwas haben, was erfolgversprechend ist.
Aber Sie nehmen ihn und sein oft provokantes Auftreten auch im Fernsehen wahr.
Ja, aber wie gesagt, ich kenne ihn nicht. Da müsste ich nachsprechen, was ich gelesen habe. Es gibt von Peter Ustinov ein Buch, das heißt: „Achtung, Vorurteile!“ Müssen Sie sich kaufen. Wundervoll humorig und wahr beobachtet. Man muss sich hüten, das, was man liest oder hört, wiederzugeben. Es sind Vorurteile.
Dann reden wir eben über van Gaal, eine starke Persönlichkeit.
Das ist er. „Per“ heißt durch und sonare „tönen“. Die Trainer haben alle den gleichen Anzug an, nur bei manchen tönt gar nichts durch, bei manchen tönt es stark. Das sind Persönlichkeiten: Personare. Solche Persönlichkeiten braucht es, damit Spieler als Persönlichkeiten wachsen können. Van Gaal ist so eine Persönlichkeit. Er kann das.
Van Gaal hat angedeutet, dass er die Bayern verlässt, wenn er das Triple gewinnt.
Das wird er nicht.
Nein?
Nein. Er wird sich hüten, Verträge zu brechen. Nicht er.
Würden Sie sich wünschen, dass er noch lange bleibt?
Wenn er gesund bleibt und die Mannschaft gesund bleibt, passt das gut zusammen.
Ist das Spiel am Samstag der Grundstein für eine neue Ära wie einst in den 70er Jahren?
Kann man nicht vorhersagen. Zu viele Imponderabilien. Wie schnell passieren Verletzungen! Ballack, schauen Sie! Das kann Robben treffen, Ribéry. Aber man muss trotzdem weiter spielen, weiter erfolgreich spielen. Ob das funktioniert, lässt sich nicht vorhersagen.
Fliegen Sie nach Madrid?
Ja. Und ich freue mich. Ich freue mich, alte Spieler wiederzusehen, und ich freue mich, guten Fußball zu sehen. Ich freue mich auch auf die WM in Südafrika.
Fahren Sie denn da auch hin?
Ja, aber sporadisch. Ob jetzt beim Endspiel in Madrid oder dann in Südafrika, ich freue mich jedenfalls, dass es so ein Theater gibt um den Fußball.
Theater?
Ja, Theater. Großes Theater. Gutes Theater.
Wie meinen Sie das?
Ganz ernsthaft und nicht ironisch. Seit Beginn der Bundesliga war der Fußball in der Gefahr gesellschaftsfähig zu werden in einer Weise, dass die verschiedenen Gesellschaftsschichten versuchten, sich den Fußball einzuverleiben. Darum habe ich mich gefreut über 2006, dieses offene bunte Fest. Fußball ist ein volkstümliches Spiel, und solche Feste tun dem volkstümlichen Spiel nur gut.
Dann feiern Sie am Samstag schön in Madrid.
Das hoffe ich. Denn Feste mit dem FC Bayern tun dem Fußball besonders gut.