FC Bayern: Zum Meister-Titel geflogen
Frankfurt - Frankfurter Commerzbank-Stadion, 17.18 Uhr. Manuel Neuer hat schon die ganze Zeit nervös auf den XXL-Videowürfel über ihm geblickt. Die Erlösung kommt vom Mann in Gelb. Schiedsrichter Florian Meyer greift zur Pfeife, bläst die Backen auf und pustet dreimal. 1:0 für Bayern, die 23. Meisterschaft ist perfekt, sechs Runden vor Schluss – der frühester Bundesliga-Meister aller Zeiten kommt aus München.
Neuer rast los.
Normalerweise feiert man Titel im Mai. In Frankfurt hat’s gerade mal fünf Grad plus. Nicht nur Neuer trägt Handschuhe. Kalter, cooler Meister. Eine Feier ist nicht vorbereitet – am Mittwoch spielt Bayern das Viertelfinal-Rückspiel der Champions League bei Juventus Turin, da verbietet sich der Rausch. „Jetzt zwei Tage durchdrehen: Das geht nicht!“, sagt der Obermahner, Sportvorstand Matthias Sammer.
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An der Mittellinie bildet sich kurz nach Meyers Pfiff dennoch spontan eine Tanzgruppe. Abwehrchef Dante, für den es der erste deutsche Meistertitel ist, packt sich andere Erstis, Neuer und Luiz Gustavo, sie umarmen sich, hüpfen, die routinierten Kollegen kommen dazu. Irgendwann gibt Neuer das Signal zum Aufbruch: ab in die Kurve, zu den Bayern-Fans.
Mit Anlauf stürmen die Spieler Richtung Eckfahne, fliegen nach vorne, landen bäuchlings – der Meister-Dive. Die Fans singen „Deutscher Fußballmeister – FCB!“ zur Melodie von „We’re Not Gonna Take It“, von der Hair-Metal-Band „Twisted Sister“.
Einer steht am Spielfeldrand und lacht.
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Es ist Trainer Jupp Heynckes, die Hände in den Hosentaschen. Bis Bastian Schweinsteiger ihn wie einen Jungen aus dem Bällebad eines Möbelhauses abholt, zur Mannschaft führt. Die hebt den 67-Jährigen hoch, lässt ihn fliegen. Heynckes strahlt, gluckst.
Was fehlt: Die Paulas, Dirndl-tragende Bierkellnerinnen, die den Feiernden Drei-Liter-Gläser reichen. Stichwort: Weißbierdusche. Untersagt, wegen Turin. „Irgendwie ungewohnt, normalerweise begießen wir uns“, sagt Kapitän Philipp Lahm später. Etwas anderes muss her, die Meisterschale gibt’s schließlich erst am 11. Mai, beim Heimspiel gegen Augsburg. Schweinsteiger rennt zu den Fans, schnappt sich ein Megafon. Franck Ribéry nimmt es, ruft heiser: „Super-Bayern, Super-Bayern, hey, hey!“ Der Franzose lässt die Beine fliegen, links, rechts, Can-Can und Kasatschok.
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Sicher, der FC Bayern hat eine deutsche Meisterschaft schon ausgiebiger gefeiert. Doch zu dominant war das Auftreten, zu früh stand der Titel angesichts eines riesigen Vorsprungs auf die Konkurrenz fest. „Ob“ war nicht mehr die Frage - nur noch „wann“. Eine Feier mit Handbremse. Spaßig ist sie dennoch.
17.40 Uhr. Sammer spricht. „Wenn jemand ein Bier trinken will, trinkt er ein Bier“, sagt er, gönnerhaft. Präsident Uli Hoeneß platzt beinahe vor Stolz. „Ich kann nicht in Worte fassen, wie toll ich diesen Titel finde“, sagt er. Es ist sein 50. mit Bayern. Und dennoch: „Eine überragende Meisterschaft.“ Seine Mundwinkel wollen nicht mehr südwärts.
Schweinsteiger ist ruhiger, abgeklärter. Für ihn ist’s die sechste Meisterschaft im zehnten Bayern-Jahr, Routine. „Die Mannschaft ist zu Vielem bereit, sie hat viel geopfert. Das macht sie so stark“, lobt der Vize-Kapitän. In der Kabine gibt’s erste Getränke. „Kein Schampus, nur Bier – wir sind ja aus Bayern“, sagt Lahm. Und Neuer will einfach nur „den Augenblick genießen“.
18.20 Uhr. Einer feiert immer noch. Es ist der Brasilianer Dante, der noch einmal aus der Kabine kommt und durch die Interviewzone läuft. Barfuß in Adiletten, immer noch die weiße Sporthose mit Grasflecken am Leib. Sein Trikot ist weg, ihn wärmt eine dunkelblaue Trainingsjacke. Das wichtigste Utensil trägt er auf der Schulter: ein Radio. „Suinguera“-Musik breitet sich in den Katakomben aus, die brasilianische Antwort auf den jamaikanischen Reggae. Dante schwingt die Hüfte, zeigt Tanzschritte, seine Afro-Locken wippen im Takt. Der Mann ist einfach glücklich.
18.40 Uhr. Abfahrt zum Flughafen. Juventus fliegt mit, in den Köpfen. Dante sagt: „Ich bin glücklich, aber ruhig. Gott will es so, dass wir noch zwei Monate haben, um zu arbeiten. Um zu kämpfen.“
Und um dann vielleicht mit Meisterschale, DFB-Pokal und Champions-League-Trophäe feier-technisch richtig abzuheben.