ZDF-Kult-Mann Bela Réthy zu Tuchels Art bei Bayern in letzter Zeit: "Wir sind doch heilfroh"

München - Krisenkommunikation – nicht nur in der Politik, in der Wirtschaft, sondern auch im Sport ein wachsender Business-Zweig. Guter PR-Rat ist teuer, wenn es nicht läuft. Vereine engagieren schlaue Köpfe für viel Zaster, doch im Fußball ist vor allem der Trainer das Gesicht eines jeden Klubs und muss sein Gesicht hinhalten. In jede Kamera, bei jeder Pressekonferenz. Moderieren statt lamentieren, unterhalten statt vorhalten – wem das nicht gelingt, hat bald fertig.
Voller Inbrunst hatte sich Bayern-Trainer Thomas Tuchel in den Dreikampf mit den Sky-Experten Didi Hamann und Lothar Matthäus geworfen. Wofür er von den Bossen Rückendeckung und von den Fans Applaus erhielt. Doch wie kam das bei einem – mit Verlaub – alten Hasen der TV-Szene, bei Kult-Kommentator Béla Réthy (bis inklusive der WM 2022 in Katar beim ZDF) an? Der 66-Jährige beleuchtet für die AZ auch die Medienarbeit von Bundestrainer Julian Nagelsmann und BVB-Chefcoach Edin Terzic.

Bela Réthy: "Alles in allem bin ich im Klub Tuchel"

Réthy über Tuchel: "Er hat sich attackiert gefühlt, seine Rolle ist ohnehin keine leichte. Wir Journalisten sind doch heilfroh, wenn jemand nicht aus dem diplomatischen Dienst kommt, sondern wirklich mal seinem Gefühlsleben freien Lauf lässt. Speziell Tuchel ist ein Mensch, der sonst aus meiner Sicht viel über den Kopf regelt", sagt Réthy gegenüber der AZ.
Und weiter: "Ich fand es gut und authentisch, dass er in der Situation bei Sky am Spielfeldrand in Dortmund kein Blatt vor den Mund nahm. Ob er sich damit aber einen Gefallen getan hat, weiß ich nicht. Dass er im Beisein seines Kritikers Matthäus so reagierte und das Interview verließ, fand ich unsouverän. Das hätte er von Angesicht zu Angesicht anders regeln können. Generell ist es für mich ein Zeichen von Größe, nicht zu diplomatisch zu sein. Phrasen wie 'Das nächste Spiel ist das schwerste' kann doch keiner mehr hören. Alles in allem bin ich im Klub Tuchel."
"Wir brauchen für die Heim-EM einen Euphorisierer"

Réthy über Nagelsmann: "Er macht es sehr gut, kommt gut rüber. Mich hat gewundert, dass er den Job angenommen hat. Bundestrainer wirst du eigentlich erst in der Mitte oder gegen Ende deines Trainerlebens, der Mann ist erst 36. Bei den Spielen in den USA habe ich vorm TV gezielt auf die Gesichter der Spieler und des Staff von Nagelsmann geschaut. Da war eine positive Körpersprache. Zum Vergleich: In der Amazon-Doku musste Bundestrainer Hansi Flick in tote Augen der Spieler blicken", sagt Réthy.
"Nagelsmann kann etwas bewegen, muss sich aber inhaltlich und kommunikativ umstellen, was seine vorherige Arbeit als Bundesliga-Trainer betrifft. Auch bei Bayern war er eine Zeit lang der einzige Kommunikator, weil sich die anderen weggeduckt haben. Er ist rhetorisch exzellent, hat eine unheimlich positive Ausstrahlung. Wir brauchen für die Heim-EM einen Euphorisierer. Und die besten Partys sind die, die unverhofft geschehen."
Terzic hat eine Dortmunder DNA und trotzdem ein Problem

Réthy über Terzic: "Mir tut es in der Seele weh, zu beobachten, wie er den Negativ-Trend erklären muss. Edin ist einer der nettesten Menschen, die ich kennengelernt habe und hat eine Dortmunder DNA. Nach dem alles einnehmenden Jürgen Klopp ist Terzic nicht der erste Trainer, der dieses Problem hat. Für mich ist Dortmund das neue Bayer Leverkusen: Man scheint sich mit etwas weniger als der Meisterschaft zufriedenzugeben. In der Champions League dagegen stehen sie gut da."