FC Bayern: Niko Kovac muss schauen, dass sich Joshua Kimmich nicht verbrennt

Kaum ein deutscher Spieler leidet während und nach der Fußball-WM gemäß Körpersprache so sehr, wie Joshua Kimmich. Mentaltrainer Steffen Kirchner erklärt im Gespräch mit der AZ, was der Bayern-Star nun unbedingt nicht machen sollte - und wie ihn Niko Kovac in München am besten anpackt.
von  Patrick Mayer
Nachdenklicher Bayern-Profi: Joshua Kimmich, hier bei der deutschen Nationalmannschaft.
Nachdenklicher Bayern-Profi: Joshua Kimmich, hier bei der deutschen Nationalmannschaft. © GES/Augenklick

München - "Es gibt keine Ausreden und es wird noch eine Weile dauern, bis ich das Ganze für mich verarbeitet habe."

Kimmich bald wieder beim FC Bayern

Mit diesen Worten verabschiedete sich Joshua Kimmich nach dem enttäuschenden Abschneiden bei der Fußball-WM auf Instagram in den Urlaub. Am 25. Juli werden die deutschen Nationalspieler an der Säbener Straße wieder ins Training einsteigen. Wenige Tage später kehrt Kovac mit der restlichen Mannschaft des FC Bayern von der USA-Reise an die Säbener Straße zurück.

Kimmich wieder aufzurichten, wird für den Kroaten dann zur echten Herausforderung. Die AZ sprach mit Mentaltrainer und Persönlichkeitscoach Steffen Kirchner über Ratschläge an Kimmich - und darüber, warum Kovac zum Mentor für den Jung-Star geeignet ist.

Herr Kirchner, auf Social Media wird fleißig diksutiert, ob die bitteren Niederlagen am Ende der Saison für Joshua Kimmich ein Aha-Erlebnis sind, wie einst das verlorene "Finale dahoam" für Bastian Schweinsteiger und Philipp Lahm.
STEFFEN KIRCHNER: Man muss unterscheiden. Schweinsteiger und Lahm hatten davor schon großen Erfolg, ihr Hunger war schon gestillt. Man muss sich das vorstellen, wie bei einem Vulkan. Er bricht nicht unbedingt aus, ist aber auch nie inaktiv. Wenn einem der Erfolg dann aber weggenommen wird, regt das den Appetit an. Deswegen sind diese Rückschläge für Kimmich ein Appetizer. Die Gefahr ist, dass der Hunger zu extrem wird. Er muss aufpassen, dass er nach den Tiefschlägen nicht ungeduldig wird.

Der Bayern-Star hat zum Beispiel bei der WM noch auf dem Platz geweint. Ist Kimmich nicht schon zu ungeduldig?
Ungeduld ist die Eigenschaft, die Erfolgsmenschen verbindet. Jeder Erfolgsmensch ist ungeduldig, nicht nur im Sport. Die Herausforderung ist, diese Ungeduld in einem gesunden Maß zu halten, dass man nicht zum Getriebenen wird. Bei Kimmich war das Problem, dass er lange nicht konnte, wie er wollte, weil mit Philipp Lahm einer vor ihm war, gegen den er keine Chance hatte. Seine Aufgabe wird sein, sich so zu managen, dass die Ungeduld nicht irgendwann umschlägt. Denn auch das größte Potenzial kann sich gegen einen richten, wenn man nicht sorgsam damit umgeht.

"Kimmich zeigt, dass er echt ist"

Wird Weinen unter Fußballprofis nicht als Schwäche interpretiert?
Ja, aber es ist aus meiner Sicht genauso eine Stärke, Schwäche zu zeigen und Gefühle zuzulassen. Er will in dem Moment ja auch kein Mitleid, sondern zeigt die Fähigkeit, loszulassen, die Fähigkeit, die Maske des starken jungen Mannes fallen zu lassen. Im Fußball ist es auch beim Thema Burnout so: Einige meinen, es nicht zu zeigen, wäre eine Stärke. Sie zeigen damit aber in Wirklichkeit eine Schwäche. Kimmich dagegen zeigt, dass er echt ist, dass er ein Ventil braucht. Das macht ihn auch für die Fans greifbarer. Weil es nicht gespielt ist, können sie sich besser mit ihm identifizieren. Es ist ein Zeichen von Persönlichkeit.

Kimmich kritisiert auch offen Mitspieler, tritt sehr selbstbewusst vor Kameras - und ist damit mental stark?
Er wirkt maskenlos, sehr echt. Es wird immer gesagt, dem Fußball fehlen die Typen. Da haben wir einen, der vielleicht noch nicht so wahrgenommen wird, weil er etwas kleiner ist und nicht die körperliche Präsenz hat wie früher ein Michael Ballack oder ein Stefan Effenberg. Aber ich erlebe ihn als fokussierten jungen Mann, der seinen eigenen Kopf hat und sehr selbstsicher ist. Ich glaube nicht, dass ihn dabei die Bestätigung von außen steuert. Dafür spricht, dass er sich auch mal mit großen Namen anlegt und sich nicht scheut, auch mal was zu sagen, was ihm hinterher in der Kabine um die Ohren fliegt. Das sind Persönlichkeitsmerkmale eines Champions. Wichtig wird sein, dass er nicht beratungsressistent wird und/oder sich selbst überschätzt.

"Kimmich braucht ein familiäres Umfeld"

Und nicht, dass er intern irgendwann zu arrogant rüberkommt, oder?
Genau. Das ist ein schmaler Grat. Er braucht ein ehrliches und familiäres Umfeld, echte, gute Freunde, die ihm nicht nur die ganze Zeit erzählen, wie gut er ist, sondern ihm auch das erzählen, was er vielleicht nicht gerade hören will. Das wird für die Zukunft wichtig sein. Ich glaube aber, dass er sehr, sehr viel richtig macht.

Mit Niko Kovac hat er beim FC Bayern einen neuen Trainer. Worauf muss der Münchner Coach jetzt insbesondere bei Kimmich achten?
Dass Kimmich sich nicht selbst verbrennt. Nicht, dass er in einem Jahr die Gegenreaktion zeigen will gegen das verlorene DFB-Pokal-Finale, gegen die Niederlage in der Champions League, gegen die Katastrophen-WM. Dass er nicht versucht, die ganze Enttäuschung, den ganzen Schmerz in einem Jahr ausgleichen zu wollen. Das wäre eine negative Ungeduld. Er muss kleine Schritte machen, darf nicht hektisch werden.

"Gold wert für einen Spieler wie Kimmich"

Und Kovac bringt die Eigenschaften mit, um so mit Kimmich zu arbeiten?
Ich glaube, ja. Weil er noch einen großen Spieleranteil in sich trägt, weil er weniger Fußballlehrer als vielmehr ein Fußballcoach ist. Das ist was ganz was anderes, weil ein Lehrer von oben herab unterrichtet, ein Coach aber auf Augenhöhe. Das könnte Gold wert sein für einen Spieler wie Kimmich.

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