FC Bayern München: Trainer Jupp Heynckes im großen AZ-Interview
München - Der 72-jährige Jupp Heynckes trainiert den FC Bayern zum insgesamt vierten Mal. Nach dieser Saison läuft sein Vertrag aus. Als Spieler gewann Heynckes mit Deutschland 1972 die EM und 1974 den WM-Titel. Er coachte unter anderem Borussia Mönchengladbach, Athletic Bilbao, Real Madrid, Schalke 04 und Bayer Leverkusen. Zweimal wurde er Champions-League-Sieger.
AZ: Herr Heynckes, Sie hatten in der Länderspielpause mal eine Woche Urlaub, waren zu Hause in Schwalmtal bei Frau und Hund. Wollten Sie überhaupt wieder zurück nach München?
JUPP HEYNCKES: Warum sollte ich nicht zurückkommen wollen? Das ist doch hier Lebenselixier, beim FC Bayern blüht man ja auf als Trainer! Nein, im Ernst: Es macht ungeheuren Spaß, mit der Mannschaft zu arbeiten, auch wenn die Aufgabe sehr anstrengend ist.
Haben Sie sich denn gut erholt zu Hause?
Ich habe mir auf dem Rückflug von dem Spiel bei Besiktas Istanbul einen leichten Husten zugezogen. Aber nach einigen Tagen war das wieder in Ordnung. Ich habe relaxed, das getan, worauf ich Lust hatte: Ich bin jeden Morgen geschwommen, morgens und abends bin ich mit meinem Schäferhund Cando raus – anstelle des Gärtners, der das sonst macht. Und ich habe mich um meine Katze gekümmert. Nicht zuletzt hat sich meine Frau sehr gefreut, mich zu sehen. Es ist ja für uns ungewohnt, dass wir getrennt sind. Bei allen Engagements davor war das nicht der Fall.
Heynckes: "Ich wäre froh über adäquate Konkurrenz in der Bundesliga"
Konnten Sie den Fußball komplett ausblenden?
Ich kann relativ gut abschalten, aber jetzt stehen die entscheidenden Wochen an. Ab diesem Samstag spielen wir alle drei, vier Tage. Ich habe mich in der Woche zu Hause mit dem FC Sevilla beschäftigt. Ich kenne den spanischen Fußball zwar sehr gut, aber es ist etwas anderes, wenn man eine Mannschaft auf ein Champions-League-Viertelfinale vorbereiten muss. Da möchte man die letzten Details wissen. Deshalb habe ich mir vier DVDs mit nach Hause genommen, drei habe ich schon angeschaut.
Rechnen Sie in den kommenden Jahren trotz des großen Rückstands aktuell mit Dortmund als Bayern-Rivale Nummer eins?
Ich weiß aus der Erfahrung, dass die Spiele gegen Dortmund immer schwierig waren, mit allen Zutaten, die der Fußball zu bieten hat. Ich gehe davon aus, dass der BVB in der neuen Saison ein Bayern-Konkurrent sein kann, ebenso Schalke, Leipzig, aber auch Leverkusen. Die Langeweile in der Liga wird ja oft diskutiert zurzeit. Vielleicht sieht es in der kommenden Saison schon ganz anders aus.
Würden Sie sich das wünschen?
Nein, natürlich nicht. Im Gegenteil! Ich würde mir wünschen, dass der FC Bayern weiter so dominant wäre, vor allem auch international. Auf der anderen Seite wäre ich froh über eine adäquate Konkurrenz, damit es oben enger zugeht. Dass die Liga oben spannend ist und unten. Das ist das Salz in der Suppe, das wollen die Fans sehen.
Wie wichtig ist aus Ihrer Sicht auch in Zukunft eine deutsche Achse, ein bayerischer Kern beim FC Bayern?
Uli Hoeneß hat diese Entwicklung immer forciert. Schon als ich 1987 das erste Mal hierher kam, gab es eine Achse mit sieben, acht deutschen Spielern in der Mannschaft. Heute leben wir in einer anderen Welt, viele Spieler haben Migrationshintergrund. Das halte ich für gut. Gleichzeitig wäre natürlich wünschenswert, wenn ein Stamm von Spielern, die auch in der deutschen Nationalmannschaft spielen, das Team des FC Bayern tragen. Das hat Tradition.
Sollten Spieler wie Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger, Manuel Neuer oder Thomas Müller irgendwann in die Klubführung integriert werden?
Das ist immer die große Stärke des FC Bayern gewesen, populäre Spieler in den Verein einzubinden. Ob jetzt auf der Trainerposition, als Botschafter oder in der Klubführung. Im gehobenen Management muss man die Qualifikation mitbringen, Fremdsprachen beherrschen. Ich denke schon, dass Spieler wie Lahm, Schweinsteiger, Neuer oder Müller eine solche Rolle einnehmen können. Sie sind absolute Sympathieträger, man kennt sie auf der ganzen Welt. Das wird sicher irgendwann angegangen werden. Aber es ist wie in jedem anderen Beruf: Man muss sich empfehlen und Erfahrungen sammeln.
Sie haben bei Ihrer Bayern-Rückkehr einen Handschlag-Vertrag abgeschlossen, Spieler wie Pierre-Emerick Aubameyang streiken sich immer häufiger aus Ihren Verträgen heraus. Kann man im Fußball von einem Sittenverfall sprechen?
Diese Diskussion hat es immer gegeben, aber die Dimension von heute ist eine andere. Ich bin persönlich stolz darauf, dass ich noch nie Verträge gebrochen habe – obwohl ich wirklich lukrative Angebote hatte. Das ist eine Sache der Einstellung, des Charakters. Vielleicht falle ich auch aus der Zeit, aber ich finde diese Entwicklung nicht gut. Wenn ich keine Ausstiegsklausel habe und den Verein so unter Druck setze, halte ich das für nicht korrekt. Aber ich sage Ihnen was: Die Klubs, zu denen diese Spieler wechseln, werden nicht glücklich. Die merken irgendwann auch, was sie sich für Charaktere geholt haben. Wenn man im Leben etwas erzwingen will, geht das meist in die Hose.
Werden der Fußball generell und seine Protagonisten ihrer Vorbildfunktion noch gerecht?
Speziell beim FC Bayern ist das der Fall. Ich kann mich nicht erinnern, dass hier ein Spieler seinen Weggang erzwungen hat. Das liegt a) daran, dass man hier sehr erfolgreich sein kann, dass man das Meiste in der Bundesliga verdienen kann, und dass b) viele ausländische Spieler hier eine Heimat gefunden haben, ich denke nur an Franck Ribéry oder Arjen Robben. Das liegt am Klub, am Anspruch, Erfolg zu haben, dass man sich nie zufriedengibt. Topspieler sind hier gut aufgehoben. Bei Bayern würde das so nicht passieren, dass sich ein Spieler wegstreikt.
Jupp Heynckes hier mit den AZ-Redakteuren Maximilian Koch, Christoph Landsgesell und Matthias Kerber. Foto: Daniel von Loeper
Wie würden Sie mit einem solchen Spieler umgehen?
Wichtig ist die Kommunikation mit einem solchen Spieler, seine Argumente zu hören. Und wenn der Klub es so will, muss der Spieler mit den Konsequenzen leben. Bei Bayern ist man konsequent.
Heynckes über Freunde und das Führungsduo Rummenigge/Hoeneß
Die Aussagen von Per Mertesacker waren zuletzt ein großes Thema. Haben Sie Erfahrungen mit Spielern gemacht, die mit dem Druck im Fußball Probleme hatten?
Ich finde es positiv, dass Per Mertesacker über das Thema spricht. Wir Menschen sind alle verschieden, der eine wird mit dem Druck besser fertig, der andere tut sich wahnsinnig schwer, weil er vielleicht sehr sensibel ist. Es war großartig und wichtig von Per. Überall im Berufsleben gibt es solche Situationen. Ich bin der Meinung, dass wir Psychologen in den Klubs brauchen. Und wir Trainer dürfen nicht noch mehr Druck aufbauen. Manchmal hilft auch Entschleunigung und der Blick auf das reale Leben.
Genießen Sie die Zeit auf der Bank heute mehr als am Anfang der Karriere?
Das Problem ist, dass man Spiele als Trainer nie genießen kann. Man muss immer hellwach sein, das Geschehen verfolgen, gegebenenfalls eingreifen. Genießen kann man es kurz nach dem Spiel, wenn man gewonnen hat. Am nächsten Tag geht schon die Analyse los. Das mit dem Genießen funktioniert in unserem Job nicht.
Wie definieren Sie eigentlich das Wort Freundschaft?
Oh, das ist ein großes Wort. Wenn Sie drei Freunde haben, dann sind Sie ein glücklicher Mensch. Echte Fründe, sagt man in Kölle. Freundschaft beruht auf großem Vertrauen, darauf, dass man sich schätzt, sehr gut kennt, sich respektiert und dass man in Notsituationen weiß: Mein Freund ist für mich da. Ich weiß ja schon, worauf Sie hinauswollen. Das trifft alles auf den Mann zu.
Das heißt, man nimmt einem Freund, in dem Fall Präsident Uli Hoeneß, auch nicht alles übel. Der darf sich auch mal was erlauben.
In der Öffentlichkeit nicht so (lacht). Das muss man unterscheiden: Eine normale Freundschaft, die nicht in der Öffentlichkeit stattfindet, kann wunderbar sein. Aber eine Freundschaft, die öffentlich ausgetragen wird, ist komplizierter. So würde ich es formulieren.
Die Süddeutsche Zeitung hat Sie als Friedensengel bezeichnet. Sehen Sie denn die Gefahr, dass die beiden Alphatiere Hoeneß und der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge ab Sommer wieder häufiger aneinandergeraten könnte?
Nein, beiden ist bewusst, dass sie gemeinsam ein Tandem bilden, das im europäischen Fußball einzigartig ist. Ich kenne viele internationale Klubs wie Real Madrid von innen und muss sagen: So eine geballte Fußballkompetenz, solche Persönlichkeiten, die auch selbst auf ganz hohem Niveau Fußball gespielt haben, gibt es sonst bei keinem anderen Klub. Und ich habe immer gesagt: Auf dem Olymp ist auch für zwei Personen Platz. Sie wären gut beraten, wenn sie gemeinsam das Flaggschiff FC Bayern ziehen und auch den Umbruch in der Mannschaft forcieren. Auch Hasan Salihamidzic als Sportdirektor wird dabei eine große Hilfe sein, er stellt sich nach außen hin nicht in den Vordergrund, intern aber ist er ein sehr gewissenhafter, fleißiger, kompetenter Mann, von dem der Klub in den kommenden Jahren profitieren kann.
Heynckes: "Ich halte mich immer an Abmachungen. Und das erwarte ich auch von der Gegenseite"
Gab es einen Moment in den vergangenen Monaten, in dem Sie überlegt haben, doch weiterzumachen beim FC Bayern?
Ich kann nur eines dazu sagen: Es gab von Anfang an eine Vereinbarung, ich habe den Vertrag ja erst im Januar unterschrieben. Die mündliche Vereinbarung war ganz klar. Und da muss sich jeder dran halten. Würde man mich in der Öffentlichkeit besser kennen, wäre über dieses Thema nicht so viel diskutiert worden.
Weil Sie sich immer an Vereinbarungen, die Sie getroffen haben, halten?
Ja, daran halte ich mich immer.
Und das erwarten Sie auch von der Gegenseite.
Ja, selbstverständlich.
Sie waren auch Trainer in Spanien. Wie wichtig ist es, wenn man die Landessprache beherrscht?
Die international erfolgreichen Trainer sind alle mehrsprachig – oder haben die Sprache gelernt: Pep Guardiola, Carlo Ancelotti, Jürgen Klopp, Arsène Wenger, José Mourinho. Das ist heute unabdingbar.
Muss auch ein künftiger Bayern-Trainer deutschsprachig sein?
Es hieß ja hier, dass nur ein deutschsprachiger Trainer in Frage käme. Mal abwarten.
Diese Woche hat die Nationalmannschaft 0:1 gegen Brasilien verloren. Wie bewerten Sie das mit Blick auf die WM?
Die Partie war kein Gradmesser: Wenn Joachim Löw schon Thomas Müller und Mesut Özil nach Hause schickt, ist das einfach nicht die komplette Nationalmannschaft. Mats Hummels hat auch nicht von Anfang an gespielt. Deshalb gab es nicht das Bewertungskriterium wie gegen Spanien.
Heynckes über die WM und die Champions League
Ist Deutschland Top-Favorit bei der WM?
Wir haben ein Reservoir von absoluten Topspielern und Talenten, eine riesige Auswahl für den Bundestrainer. Nur: Die Spielerpersönlichkeiten von 2014 – die fehlen mir noch so ein bisschen. Wir hätten 2013 niemals das Triple gewonnen, wenn wir nicht solche Spieler wie Lahm, Schweinsteiger, Ribéry, Robben, Neuer, Boateng oder Müller gehabt hätten. Man muss das abwarten bei der deutschen Elf, wie es sich in engen Spielen darstellt. Nur ein Beispiel: das WM-Endspiel 2014 mit Bastian Schweinsteiger. 2010 hat er eine viel bessere WM gespielt, aber 2014 war er vom Kopf her voll da, er war psychisch robust. Er wusste genau: Wo muss ich präsent sein, wo muss ich die Mannschaft gemeinsam mit Philipp Lahm motivieren. Schweinsteiger ist auf dem Spielfeld über sich hinaus gewachsen, da richten sich die anderen dran auf. Gibt es im Moment diese Spielertypen? Jérôme? Ja! Mats? Auch. Thomas Müller natürlich. Aber dann muss man mal schauen. Deutschland gehört zu den drei, vier Topmannschaften, die den Titel gewinnen können.
Was sagen Sie denn zu Spielern, die Fußballschuhe mit verschiedenfarbigen Schnürsenkeln tragen?
Das habe ich auch gesehen, bei Jérôme Boateng gegen Brasilien! Er ist so ein liebenswerter Mensch. Als er 2011 von Manchester City zum FC Bayern kam, habe ich mich mit für seine Verpflichtung stark gemacht. Er hatte ja kaum Spielpraxis, hat nirgendwo Kontinuität gehabt. Hier hat er keine gute erste Saison gespielt, intern gab es Kritik. Ich habe gesagt: Lasst ihn mal 15, 20 Spiele machen. 2012/13 war er Weltklasse. Und wenn ich die Schuhe heute schon sehe... Früher hatten Günter Netzer und ich mal blaue Schuhe von Puma. Berti Vogts wollte die damals auch haben. Da haben wir zu ihm gesagt: "Berti, das ist nur was für Fußballer." Aber ich bin tolerant, auch bei der Musik, der Kleidung: Das ist der Zeitgeist der Jugend.
Sie selbst bleiben bei einfarbigen Schuhen?
Ja, auch bei schwarzen Schuhen. Der Luxus, den ich habe, sind Moonboots für den Trainingsplatz im Winter, wenn es richtig kalt ist. Das ist vom Alter her angenehmer und ratsamer.
Heynckes: "Wir können uns in Sevilla auf einiges gefasst machen"
Wie gefährlich wird der FC Sevilla für Bayern in der Champions League?
Den FC Sevilla kenne ich sehr gut, der Verein hat mit Unai Emery (mittlerweile Trainer von Paris Saint-Germain, d.Red.) dreimal die Europa League gewonnen. Die Mannschaft ist hochtalentiert, hat sehr gute Fußballer. Wenn man nicht versucht, ihren Spielfluss zu unterbrechen, können sie über sich hinauswachsen. Das Publikum ist heißblütig, wir können uns auf einiges gefasst machen. Es ist kein Zufall, dass sie Manchester United rausgeworfen haben.
Haben Sie ein ähnliches Gefühl wie beim Triple 2013?
So ohne Weiteres gewinnt man nicht die Champions League. Die Mannschaften jetzt sind noch besser zusammengestellt, die englischen Teams, Real Madrid, der FC Barcelona, Juventus Turin. Das kann man nicht planen.
Was Sie 2013 auch nicht konnten.
Ich habe damals im Januar, Februar zu den Spielern gesagt: "Wir können etwas ganz Großes gewinnen." Das habe ich in der Mannschaft gespürt. Mit Schweinsteiger, Lahm, Ribéry, Robben: Es hieß damals, dass es für sie die letzte Möglichkeit wäre, die Champions League zu gewinnen. Es dieses Jahr zu schaffen, ist wahnsinnig schwer. Die anderen Mannschaften haben ein riesiges Niveau. Wir müssen versuchen, ins Halbfinale zu kommen, dafür müssen wir eine Topleistung abrufen. In diesem Jahr das Triple zu gewinnen, wäre eine viel, viel größere Leistung als 2013, eine Sensation.
Ist der Teamgeist aktuell so herausragend wie 2013?
Thomas Müller hat es auf seine Art geäußert: "Wir haben eine geile Truppe." Damit meint er, dass wir eine tolle Atmosphäre haben, die Spieler sich respektieren. Nur kommen jetzt die Spiele der Wahrheit. Und da müssen wir das zeigen. Jetzt wird sich beweisen, ob wir so gut sind, wie uns alle machen.
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