FC Bayern München: Michael Reschke über Joshua Kimmich und Uli Hoeneß

München - Der 60-Jährige arbeitete von 2014 bis 2017 als Kaderplaner und Technischer Direktor beim FC Bayern. Im Sommer wechselte er als Sportvorstand zum VfB Stuttgart.
AZ: Herr Reschke, Sie haben den FC Bayern im August nach drei Jahren verlassen - was für viele Beobachter überraschend kam. Können Sie Ihre Motive erklären?
MICHAEL RESCHKE: Ganz wichtig: Die Zeit bei Bayern war für mich außergewöhnlich, ganz besonders die zwei Jahre mit Pep Guardiola. Der Austausch mit Karl-Heinz Rummenigge, Uli Hoeneß, Michael Gerlinger (Direktor Recht beim FC Bayern, d. Red.), Chefscout Marco Neppe und vielen anderen kompetenten Mitarbeitern war belebend und klasse. Ich habe München nicht verlassen, sondern ich bin zum VfB gewechselt.
Karl-Heinz Rummenigge hatte öffentlich betont, dass Hasan Salihamidzic Ihr Vorgesetzter werden würde. Kam deshalb Groll bei Ihnen auf? Wollten Sie selbst Sportdirektor werden?
Groll? Kein bisschen. Ganz im Gegenteil - ich bin stolz, für Bayern gearbeitet und sehr viel Vertrauen gespürt zu haben. Meine Entscheidung, zum VfB zu wechseln, war mit Rummenigge und Hoeneß frühzeitig besprochen, deutlich bevor die Hasan-Entscheidung überhaupt ein Thema war. Beide haben versucht, mich zum Bleiben zu bewegen, aber der VfB und die Visionen von Präsident Wolfgang Dietrich haben mich zu sehr gereizt. Ich bin Rummenigge und Hoeneß sehr dankbar für ihr damaliges Verständnis und dass sie meine ausdrückliche Bitte um Freigabe respektiert haben. Ich bin beim VfB total glücklich - ein Riesenklub!
Zum aktuellen Geschehen: Kingsley Coman erlebt seine beste Phase beim FC Bayern. Sie waren 2015 daran beteiligt, dass Coman von Juventus Turin zu Bayern kam. Welche besonderen Qualitäten haben Sie damals schon bei ihm gesehen?
Seit seiner Jugendzeit bei Paris Saint-Germain und den französischen U-Teams verfolge ich Kingsley und war ja maßgeblich für seine Verpflichtung verantwortlich. Tempo, Durchsetzungsvermögen, Einsatz- und Lernbereitschaft sind top.
"Jo ist bereits eines der Gesichter des FC Bayern"
Kann er Franck Ribérys Nachfolger werden?
Jupp Heynckes und Peter Hermann werden ihm den letzten technischen Schliff verpassen. King wird immer effektiver und hat alle Voraussetzungen, um Nachfolger von Franck zu werden - im Übrigen ein sehr schweres Erbe.
Ein absoluter Glücksgriff war auch Joshua Kimmich. Können Sie erklären, was Sie und Pep Guardiola von Anfang an so sehr an diesem Jungen fasziniert hat?
Jo ist von der Einstellung, vom Teamgedanken, seinen fußballerischen Fähigkeiten außergewöhnlich: Er ist bereits eines der Gesichter des FC Bayern. 2014 bei der U19-EM in Ungarn hat er mich total begeistert. Ich habe dann massiv auf seine Verpflichtung gedrängt und Pep prophezeit: "Du wirst den Jungen lieben!" Ist dann ja auch so gekommen, zumal Pep mit ihm fantastisch gearbeitet und Jo optimal geformt hat.
Auch an den Transfers von Niklas Süle und Sebastian Rudy waren Sie maßgeblich beteiligt: Wie bewerten Sie die Entwicklung der beiden bisher? Speziell Rudy wurde oft unterschätzt.
Mir war klar, dass viele Bayern-Fans zum Zeitpunkt der Süle-Rudy-Verpflichtungen spektakuläre Millionentransfers erwarteten und zunächst skeptisch waren. Aber Sebastian und Niklas sind deutsche Nationalspieler, haben bewiesen, wie wertvoll sie sind und haben zudem charakterliche Klasse. Die Bayern und ihre Fans werden an beiden viel Freude haben. Wer Rudy immer noch unterschätzt, versteht das Spiel nicht so gut.
Der Wechsel von Corentin Tolisso kam auch überraschend. Was hat ihn so interessant für Bayern gemacht und wie groß ist sein Potenzial?
Natürlich hat Coco noch Entwicklungspotenzial, aber er bringt extrem viele Voraussetzungen zu einem Leistungsträger bei Bayern mit: Mentalität, Zweikampfstärke, hohe Laufbereitschaft und außergewöhnliche Torgefahr. Er wird seinen Weg gehen. Ich bin sicher, dass er im WM-Kader der Franzosen eine wichtige Rolle spielt.
Der VfB Stuttgart spielt bislang eine gute Saison für einen Aufsteiger. Wie erklären Sie sich das?
Bei uns stimmt die Mischung aus erfahrenen Spielern wie Holger Badstuber, Ron-Robert Zieler, Andi Beck, Dennis Aogo, Insua und Christian Gentner sowie spannenden Jungs mit großer Perspektive. Zudem haben wir mit Hannes Wolf und seinem Stab ein sehr gutes Trainerteam. Ganz wichtig ist auch die überragende Stimmung in der Mercedes-Benz-Arena, die die Truppe oftmals entscheidend beflügelt.
Wollen Sie mittelfristig wieder nach Europa?
Das ist aktuell ein Traum, aber auch ein perspektivisches Ziel, für das wir alles geben. Bezogen auf diese Saison geht es aber nur darum, in der Bundesliga zu bleiben, und dies ist bei der Ausgeglichenheit der Liga eine große Herausforderung für uns.
"Guardiola ist für mich der beste Trainer der Welt"
Hannes Wolf wurde zuletzt sehr gelobt. Was macht ihn als Trainer besonders?
Er ist akribisch, kompetent, extrem fleißig, mit einem sehr feinfühligen, vertrauensvollen, leistungsverstärkenden Draht zu seinen Spielern. Zudem hat er einen sehr guten Trainerstab und einen tollen Staff an seiner Seite. Unsere Zusammenarbeit ist sehr partnerschaftlich und effektiv.
Gegen die Bayern wird es nun extrem schwer für den VfB. Wie erklären Sie sich, dass Jupp Heynckes die Mannschaft wieder so stark gemacht hat?
Jupp Heynckes und Peter Hermann sind ein ideales Team. Ich hatte ja in Leverkusen schon das Glück, mit beiden zusammenarbeiten zu dürfen. Wir wurden damals Vizemeister - übrigens vor dem FC Bayern. Jupp begeistert Menschen, hat eine beeindruckende Ausstrahlung und ist ein Fußball-Kenner erster Güte. Peter ist auf dem Trainingsplatz top und hat sicher großen Anteil an der Entwicklung von Jungs wie Kingsley und Coco.
Ist für Bayern sogar wieder das Triple möglich unter Heynckes?
Wenn alle fit und in Form sind, kann der FC Bayern jedes Team der Welt besiegen. Der Kader ist hervorragend besetzt.
Das gilt auch für Manchester City, den Dominator aus England, der von Pep Guardiola trainiert wird. Wie eng ist Ihr Kontakt zu Pep noch?
Ich war vor kurzem gemeinsam mit Thomas Hitzlsperger in Manchester und wir haben sehr lange mit Pep und Txiki Begiristain (Sportdirektor, d. Red.) zusammengesessen. Zu Pep hat sich eine echte Freundschaft entwickelt, die Bestand hat und bleiben wird.
Was hat Sie an Guardiola am meisten beeindruckt?
Die Zeit mit ihm hat mich noch einmal entscheidend weitergebracht. Für mich ist er der beste Trainer der Welt. Wie er Gegner taktisch zerlegt und seinen Spielern offensive Lösungsmöglichkeiten anbietet, ist sicher einzigartig. Pep vermittelt seinen Spielern etwas Besonderes und macht sie schlichtweg besser. Die beeindruckende Art und Weise, wie der FC Bayern in Peps Ära seine Gegner dominiert hat, haben leider nicht alle komplett verstanden.