FC Bayern: Mit außergewöhnlicher Taktik verblüffte Trainer Thomas Tuchel selbst Spieler wie Thomas Müller

Trotz zahlreicher Ausfälle zeigt der FC Bayern im Spitzenspiel gegen den VfB Stuttgart eine beeindruckende Leistung und feiert einen souveränen 3:0-Sieg. Ein taktischer Schachzug von Trainer Thomas Tuchel macht sich besonders bezahlt.
von  Bernhard Lackner
Thomas Tuchel hatte beim 3:0-Sieg der Bayern gegen den VfB Stuttgart am Sonntag gut Lachen.
Thomas Tuchel hatte beim 3:0-Sieg der Bayern gegen den VfB Stuttgart am Sonntag gut Lachen. © IMAGO / Kirchner-Media

München - Als der FC Bayern am Sonntagabend um 18.16 Uhr die Mannschaftsaufstellung bekanntgab, dürfte die Vorfreude auf das Spitzenspiel gegen den Tabellendritten VfB Stuttgart bei so manchem Fan schnell verflogen sein.

Joshua Kimmich und Leon Goretzka fallen aufgrund eines grippalen Infekts aus, teilte der Rekordmeister trocken mit. Unter der Woche hatten sich bereits Kingsley Coman und Noussair Mazraoui verletzt, vergangenes Wochenende Serge Gnabry. Nun also die nächsten namhaften Ausfälle. Eine bittere Hiobsbotschaft für Trainer Thomas Tuchel und die Bayern, die unbedingt einen Sieg brauchten, um den Anschluss an Tabellenführer Bayer Leverkusen nicht zu verlieren.

Thomas Tuchel wirft gegen Stuttgart seine Taktik über Bord

"Es war schon heftig heute. Wir haben einen Jugendspieler dabei, der sechs Monate verletzt war und eine Woche mit uns trainiert hat. Matthijs de Ligt war eigentlich unverantwortlich, er war nur für den Notfall da", sagte der Bayern-Coach über seinen extrem ausgedünnten Kader. Gegen den VfB – neben Leverkusen die große Überraschung dieser Saison – machte Tuchel aus der Not eine Tugend und warf seine eigentliche Taktik über Bord.

Bayern setzt gegen Stuttgart verstärkt auf Umschaltsituationen – und hat Erfolg

Gegen die Stuttgarter, die ihre Gegner in den vergangenen Monaten mit extrem aggressivem, temporeichem Pressing erfolgreich attackiert hatten, setzte der 50-Jährige auf einen deutlich defensiveren Ansatz als sonst. Die Bayern ließen die Schwaben zunächst kommen, teilweise bis weit in die eigene Hälfte, um nach Ballgewinn blitzschnell umzuschalten und die Räume in Mittelfeld und Abwehr der Gäste auszunutzen.

Also nicht der dominante bayerische Ballbesitz-Fußball, den Pep Guardiola einst in München etabliert hatte, sondern viel mehr Konter-Fußball vom Feinsten. Die Bayern agierten in der heimischen Allianz Arena im Stile einer Auswärtsmannschaft. Vor allem Leroy Sané und Jamal Musiala kamen immer wieder zu schnellen Konteraktionen und bereiteten dem VfB massive Probleme. Eine ungewöhnliche Taktik - nicht bayern-like, aber verdammt erfolgreich!

Auch FC-Bayern-Spieler Thomas Müller war erstaunt über die neue Taktik: "Erstmal dran gewöhnen"

Ur-Bayer Thomas Müller war jedenfalls höchst zufrieden mit der Tuchel-Taktik, musste aber auch zugeben: "Man muss sich als Bayern-Fan und als Spieler erst einmal daran gewöhnen. Schön zu sehen, dass wir uns auch anpassen können im Sinne des Erfolgs." Müller schränkte aber auch ein: "Es passt nicht auf jeden Gegner. Wir können uns nicht gegen Gegner, die es nicht so lieben, den Ball selber zu haben, an die Mittellinie stellen."

Am Ende stand ein souveräner und völlig verdienter 3:0-Sieg, der durchaus auch hätte höher ausfallen können. "Es war wahrscheinlich unsere beste Leistung der Saison. Wir hatten eine hohe Intensität", schwärmte Stürmerstar Harry Kane, der gegen die Schwaben einen Doppelpack beisteuerte und nach 14 Ligaspielen bereits bei beeindruckenden 20 Saisontoren steht.

Das gab es zuletzt unter Klinsmann: Bayern gegen Stuttgart mit kurioser Statistik

Wie untypisch die Tuchel-Taktik für die sonst so spielbestimmenden Bayern war, zeigt auch die Statistik. Vor der Halbzeit hatte der Rekordmeister gerade einmal 35 Prozent der Spielanteile, zum Ende des Spiels waren es noch immer nur 37 Prozent. "Was wir uns vorgenommen haben, hat gut funktioniert. Wir waren nicht eitel, haben gesagt, wir brauchen nicht 80 Prozent Ballbesitz. Wir haben viel aktiver verteidigt, wenn wir mal tiefer gefallen sind", erklärte Müller zum neuen bayerischen Umschalt-Fußball. 

Das letzte Mal, dass die Münchner überhaupt weniger als 40 Prozent Ballbesitz hatten, war in der Saison 2008/09. Damals stand noch Jürgen Klinsmann an der Seitenlinie. Zeiten, an die man sich in München nur ungern erinnert...

Während die Bayern seinerzeit schlicht nicht in der Lage waren, spielerische Dominanz an den Tag zu legen, diente der Verzicht auf hohe Ballbesitzzeiten im Südschlager als Mittel zum Zweck. Dass sich die Schwaben von ihren hohen Spielanteilen nichts kaufen konnten, musste sich auch VfB-Coach Sebastian Hoeneß eingestehen.

"Es ist kein Zeichen der Stärke gewesen, über 60 Prozent Ballbesitz zu haben. Es ist immer die Frage, was du mit dem Ball machst", meinte der Neffe von Bayern-Patron Uli Hoeneß: "Es war heute ein Spitzenspiel und wir müssen konstatieren, dass wir keinen Teil dazu beitragen konnten und völlig verdient als Verlierer nach Hause gehen." Chapeau, Herr Tuchel! 

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