Interview

FC-Bayern-Legende Helmer packt aus: "Nach einem halben Jahr wollte ich hinschmeißen"

Teil 1 des AZ-Interviews mit Thomas Helmer. Anlässlich seines 60. Geburtstags am 21. April spricht die FC-Bayern-Legende über sein Beinahe-Karriereende als Teenager, seine schwierigen Anfänge in Dortmund und München, den FC Hollywood – und seinen Fehler beim historischen Phantomtor 1994.
von  Johannes Mittermeier
Das Phantomtor von Thomas Helmer 1994 gegen den 1. FC Nürnberg.
Das Phantomtor von Thomas Helmer 1994 gegen den 1. FC Nürnberg. © IMAGO / Sven Simon

AZ: Herr Helmer, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Nach 244 Spielen für den FC Bayern sind Sie jetzt ein Sechz’ger. Markus-Lanz-Frage: Was macht das mit Ihnen?
THOMAS HELMER: Das ist ja mal eine Frage, die habe ich noch nie gehört (lacht). Es macht eigentlich gar nichts mit mir, ich freue mich einfach, weil ich viele Freunde und Wegbegleiter eingeladen habe. Ich feiere die 60 erst recht!

Springen wir ein paar Jahrzehnte zurück, an den Beginn Ihrer Fußballkarriere. Sie haben mal gesagt: "Mit 18 Jahren wollte ich aufhören." Warum das denn?
Ich hatte bis zu meinem 18. Lebensjahr nur Kreisliga beim SC Bad Salzuflen gespielt. Dann kam der Übergang von den Junioren zu den Senioren, alle meine Freunde haben aufgehört, also dachte ich mir: Dann habe ich auch keine Lust mehr. Unsere erste Mannschaft hat damals Landesliga gespielt, das war zwar okay, aber auch nicht mein Ziel.

Thomas Helmer: "Ich war damals echt ein kleiner Feigling"

Und dann?
Einige im Verein haben wohl mehr in mir gesehen als ich selbst. Unser Präsident hat gesagt: Hier hast du 500 DM und zwei Paar Fußballschuhe, spiel doch bitte weiter. Der Zufall war, dass die zweite Mannschaft von Arminia Bielefeld in derselben Gruppe wie Bad Salzuflen war und mich haben wollte – aber ich habe wieder Nein gesagt. Irgendwann nahm mein Stiefvater die Sache in die Hand. Als ich gerade mit meinen Jungs in Ibiza feiern war, hat er gesagt: Thomas, ich habe gerade den Vertrag unterschrieben, du musst zurückkommen. Dann bin ich zurück (lacht). So fing das an. Das wäre heute natürlich nicht mehr möglich.

Mit 21 wechselten Sie von Bielefeld zu Borussia Dortmund, wurden sofort Bundesliga-Stammspieler und blieben sechs Jahre beim BVB. Bestimmt eine prägende Zeit.
Ja, aber anfangs gar nicht so einfach. Ich war damals echt ein kleiner Feigling, weil ich dachte: Puh, über 100 Kilometer von Bielefeld nach Dortmund, das ist mir schon fast zu weit. Ich habe ernsthaft überlegt, es wieder nicht zu machen, das muss man sich mal vorstellen. Am Ende war und bin ich froh, es doch durchgezogen zu haben. Es war ja auch der erste Schritt in die Selbstständigkeit. Und ich erwischte den perfekten Zeitpunkt: Vorher lief es nicht gut beim BVB, dann sind wir gleich Vierter geworden, und ich habe praktisch alle Spiele gemacht. 

Helmer: "Nach einem halben Jahr bei Bayern wollte ich hinschmeißen"

1992 wurden Sie für die damalige Bundesliga-Rekordablöse von 7,5 Millionen D-Mark nach München transferiert.
Ich war schweineteuer. Für einen Klopper ist das viel zu viel Geld (lacht).

Bei Bayern erlebten Sie die turbulente Hochphase des FC Hollywood mit. Inwiefern mussten Sie sich verändern oder zumindest anpassen, um zu „überleben“? Ein großes Ego hatten Sie damals ja scheinbar nicht.
Ich musste mich insofern anpassen, als dass ich nach einem halben Jahr bei Bayern eigentlich hinschmeißen wollte. Es war mir echt zu viel. Der mediale Druck von außen, aber auch von innen, von Uli Hoeneß, Karl-Heinz Rummenigge, Franz Beckenbauer und wie sie alle hießen. Das war schon brutal – und vorher in Dortmund ganz anders, sehr viel familiärer. Damit hatte ich bei Bayern anfangs ein Riesenproblem. Wir haben immer gewonnen, aber es gab auch ständig Kritik. Das konnte ich nicht begreifen.

Helmers Bayern-Anfänge: "Was ist eigentlich euer Problem mit mir?"

Wie haben Sie sich verhalten?
Ich zog mich immer weiter zurück und merkte irgendwann, dass ich nur eine Möglichkeit habe – indem ich jetzt agiere und aus dieser defensiven Haltung herauskomme. Also bin ich auf die Journalisten und die Verantwortlichen bei Bayern zugegangen und habe gefragt: Was ist eigentlich euer Problem mit mir? Dann haben wir es richtig ausdiskutiert und am Ende ein Bier miteinander getrunken. Und damit war es gut. Ab diesem Zeitpunkt habe ich mich wohlgefühlt und auch so richtig mit dem Verein identifiziert.

Also lag die komplizierteste Phase schon hinter Ihnen, als Mitte der 90er die turbulente Seifenoper des FC Hollywood begann?
Genau. Ich will nicht sagen, dass mich danach nichts mehr erschüttern konnte (lacht). Aber ja, in der Tat: Das erste halbe Jahr war das schwerste. 

Die ZDF-Doku über den FC Hollywood hat viel Aufsehen erregt. Gab es neben all dem Belauern, den Mauscheleien und subtilen Verdachtsfällen auch offenen Streit innerhalb der Mannschaft?
Ja, natürlich. Am besten lief es eigentlich auf dem Platz, da waren wir oft eine Einheit. Weil von außen eben viel Kritik aufkam und man wusste, dass man im Spiel funktionieren muss. Und zugleich war man auch wieder stolz, für den FC Bayern spielen zu dürfen.

Helmers Phantomtor: "Das war mein Fehler, da gibt’s nichts schönzureden"

In 390 Bundesligaspielen gelangen Ihnen 41 Tore – viel für einen Abwehrmann. Es hätten auch 43 Treffer in der Statistik stehen können, aber zwei wurden Ihnen wieder aberkannt… 
Das habe ich bei jedem "Doppelpass on Tour". Mittlerweile spiele ich die Szene freiwillig ein (lacht).

Wir meinen natürlich Ihr legendäres Phantomtor 1994 für Bayern gegen Nürnberg – ein Ball, der nie drin war, wurde in Zeiten vor Torlinientechnologie und Videoschiedsrichter als Treffer gewertet. Im selben Spiel erzielten Sie ein weiteres, reguläres Tor, später wurde das Ganze für null und nichtig erklärt. Wie stehen Sie heute zum Phantomtor?

Darauf hätte ich wirklich verzichten können. Es kommt oft vor, dass mich die Leute nach 17 Jahren Profifußball darauf reduzieren – da wünscht man sich schon etwas anderes. Also nein, ich bin auf diese Szene überhaupt nicht stolz. Wobei ich nach wie vor ganz klar sage: Ich wusste in diesem Moment nicht, was los ist, habe zu lange gezögert und nicht mit dem Schiedsrichter gesprochen. Das war sicherlich mein Fehler. Da gibt’s nichts schönzureden.


In Teil 2 des AZ-Interviews mit Thomas Helmer spricht die FC-Bayern-Legende über das fatale Champions-League-Finale 1999 gegen Manchester United, seinen Frust wegen Ottmar Hitzfeld, eine unbedachte Geste – und seine zweite Karriere als TV-Moderator.

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