FC Bayern leckt nach Champions-League-Aus bei Real Madrid seine Wunden
München - Eine Nacht drüber schlafen. Hilft diesmal nicht. Vor allem, wenn man kaum ein Auge zugetan hat wie wohl alle Bayern-Profis und Verantwortlichen nach dem 2:4 bei Real Madrid. Die Bilder des Abends, dieser monumentalen Fußball-Schlacht über 120 Minuten im Champions-League-Viertelfinale waren zu präsent.
Gedankenblitze hämmerten durch den Kopf, Szenen des Spiels flackerten vor dem inneren Auge. Eine emotionale Kurzreise durch das Erlebte. Dieser Viktor Kassai! Die zwei Abseitstore! Dieser verdammte, weil verdammt gute Cristiano Ronaldo! Diese Gelb-Rote Karte für Arturo Vidal!
Der Untergang in Unterzahl mit fliegenden Fahnen, den drei Gegentoren in der zweiten Hälfte der Verlängerung binnen sieben Minuten. Was wäre gewesen, wenn – verflucht!
Dicht dran waren die Bayern am Halbfinale, am Wunder, am Heldenstatus. Stattdessen: Enttäuschung. Verbitterung. Ohnmacht.
Der Schuldige war schnell ausgemacht. "Ich habe zum ersten Mal so etwas wie wahnsinnige Wut in mir", sprach Bayerns Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge und ließ Diplomatie einfach Diplomatie sein. „Weil wir beschissen wurden, im wahrsten Sinne des Wortes“, schimpfte er während seiner Rede auf dem nach-mitternächtlichen Bankett.
Das Auditorium des Hotels "Gran Meliá Palacio de los Duques" von Madrid applaudierte. Ein Verein in der Opferrolle. Verpfiffen!
Schiedsrichter Viktor Kassai, 41, ein Ungar, hatte laut der spanischen Zeitung Marca schon kurz nach Abpfiff diverse Beschimpfungen ertragen müssen. Robert Lewandowski, Thiago und Arturo Vidal hätten versucht, in die Schiedsrichter-Kabine zu gelangen. Diesen Berichten trat der FC Bayern entschieden entgegen. "Das stimmt nicht", teilt der Klub mit.
Auch die Polizei habe nicht wie dargestellt eingreifen müssen. Bayern kündigte rechtliche Schritte gegen Marca an. Laut Uefa-Mitteilung seien nach dem Spiel auch keine disziplinarischen Verfahren eingeleitet worden.
"In Trümmern" hätte er die Mannschaft in deren Kabine vorgefunden, berichtete Rummenigge – was jedoch rein mit dem körperlichen Abnutzungskampf und den seelischen Wunden nach der "unglücklichen, unverdienten, bitteren Niederlage" zu tun hatte, so der Bayern-Boss.
"Gelb-Rote Karte ein Killer"
Manuel Neuer wurde wegen eines gegen Ende der Verlängerung erlittenen Fußbruches behandelt, seine Saison ist beendet. Mats Hummels und Jérome Boateng hatten angeschlagen bravourös durchgehalten, nun kamen die Schmerzen zurück. Aber all das ist nichts gegen die seelische Pein.
"Die Gelb-Rote Karte war ein Killer. Es war aber noch nicht einmal ein Foul von Vidal, geschweige eine Karte", ereiferte sich Rummenigge. Zwei umstrittene Treffer aus Abseitsposition von Cristiano Ronaldo (2:2 und 3:2) taten ihr Übriges zur Wutfußballer-Stimmung.
"Solch ein Diebstahl kann in der Champions League nicht passieren. Es war offensichtlich und es lässt dich am Spiel zweifeln", ereiferte sich Vidal, der im Hinspiel (1:2) nach seinem Führungstreffer das mögliche 2:0 per Elfmeter vergeben hatte.
Bitterer Beigeschmack
In München, als die Bayern das Weiterkommen eigentlich vermasselten, hatte eine berechtigte Gelb-Rot für Javi Martínez Real in die Karten gespielt. Ganz abgesehen davon, dass der viel zu ungestüme und Platzverweis-gefährdete Vidal von Trainer Carlo Ancelotti hätte ausgewechselt werden können, ja müssen.
Stattdessen nahm er nach 74 Minuten Xabi Alonso vom Feld. Neun Minuten später flog Vidal. Auch die Auswechslung von Lewandowski, für den Kimmich in der 88. Minute kam, wirft Fragen auf. Lewandowski war verärgert. Vercoacht?
"Good job", raunte Ancelotti Kassai zu und forderte die Einführung des Videobeweises. Letzteres ist sinnvoll. Denn es hinterlässt einen bitteren Beigeschmack, dass die Tagesform eines Schiedsrichters im Millionen-Business Champions League entscheidet: über das Weiterkommen von Vereinen, die wie Großkonzerne wirtschaften.
Stolz und Trotz für neue Energie?
Was die Bayern übersahen: Lewandowski, der per Elfmeter das 1:0 erzielt hatte, stand vor dem Eigentor von Sergio Ramos zum 2:1 im aktiven Abseits. Es hätte also gar nicht zur Verlängerung kommen dürfen. In dieser fielen die Abseitstore. Der Schiedsrichter habe "extrem eingegriffen und das Ergebnis beeinflusst", meinte Thomas Müller und Franck Ribéry schrieb bei Instagram: "1 Jahr harte Arbeit, Danke Schiri bravoooo."
Erstmals seit 2011 ist Bayern vor dem Halbfinale gescheitert, zum vierten Mal seit dem Triumph 2013 an einem spanischen Team (Real, Barcelona, Atlético, Real). Nun bleibt dem Fast-schon-Meister die Chance aufs Double. Am Mittwoch steht das Pokal-Halbfinale gegen Dortmund an. "Wir haben eine tolle Mannschaft mit tollem Charakter", sagte Rummenigge. Stolz und Trotz können Energiebringer im Saisonendspurt sein.
Wenn der Ärger von Madrid verraucht ist, die Wut heruntergeschluckt und die mentalen Risse vernarbt sind, müssen die Bayern-Verantwortlichen in einen anderen Modus umschalten. Sie müssen das große Ganze analysieren und offen sein für Veränderungen, einen neuen Input. Für einen neuen Anlauf auf Europas Thron.
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