FC Bayern: Ist Manuel Neuer wirklich nicht mehr der Alte?

Torwart Manuel Neuer stand zuletzt massiv in der Kritik. Doch hat der Kapitän des FC Bayern wirklich abgebaut? Eine AZ-Analyse mit überraschenden Ergebnissen.
von  Bernhard Lackner
Kapitän des FC Bayern: Manuel Neuer.
Kapitän des FC Bayern: Manuel Neuer. © IMAGO / Passion2Press

München – Der 28. Oktober 2023 wird für immer einer der denkwürdigsten Tage in der an denkwürdigen Tagen alles andere als armen Karriere von Manuel Neuer bleiben. Dabei war es ein vergleichsweise schnödes Bundesligaspiel gegen Darmstadt 98, das für jenen trüben Samstagnachmittag in der Allianz Arena angesetzt war. Dass die Bayern den Aufsteiger mit 8:0 abfertigten, war daher am Ende eher eine Randnotiz.

Viel wichtiger: Kapitän Neuer kehrte fast ein Jahr nach seinem schweren Skiunfall zurück zwischen die Pfosten des Rekordmeisters. Sein Unterschenkelbruch sei eine der schwersten Verletzungen gewesen, die man im Verein je gesehen habe, sagten die Klubärzte später.

Entsprechend groß waren die Zweifel, ob der Weltmeister von 2014 seine Karriere überhaupt fortsetzen können würde. Und wenn ja – auf welchem Niveau.

Matthäus kritisiert Neuer: "Nicht der Rückhalt für die Mannschaft, wie er es in der Vergangenheit war"

Am vergangenen Montag jährte sich dieser denkwürdige Tag für Manuel Neuer zum ersten Mal. An seinem Status als Nummer eins bei den Bayern hat sich seither nichts geändert – und dennoch wirkt der mehrmalige Welttorhüter längst nicht mehr unantastbar.
In den vergangenen Wochen war deutliche Kritik an den Leistungen des mittlerweile 38-Jährigen aufgekommen.

"Ich will Manuel normal nicht kritisieren, aber er ist im Moment nicht der Rückhalt für die Mannschaft, wie er es in der Vergangenheit war. Manuel Neuer ist gerade nicht mehr Manuel Neuer", sagte etwa Rekordnationalspieler Lothar Matthäus nach dem 1:4-Debakel der Bayern in der Champions League beim FC Barcelona: "Denn er hält nicht die unhaltbaren Bälle, sein Torwartspiel hat sich verändert."

Manuel Neuer: Aura des Übermenschlichen scheint abhandengekommen zu sein

Anders als bei der Niederlage bei Aston Villa, als er weit vor seinem Tor stand und überlupft wurde, traf den Keeper bei der Pleite in Barcelona zwar bei keinem Gegentor eine klare Schuld. Früher, so die einhellige Meinung, hätte er aber zumindest noch den einen oder anderen Treffer mit einer seiner herausragenden Paraden verhindert. Die Aura des Übermenschlichen, sie scheint Neuer abhandengekommen zu sein.

Anekdotische Evidenz oder traurige Wahrheit? Die AZ hat die Leistungen des Keepers in den vergangenen fünf Saisons mit Statistik-Dienstleister Opta analysiert – und kam dabei zu manch bemerkenswerter Erkenntnis.

Schlechtester Wert seit fünf Jahren: Neuer hält nur 52 Prozent der Bälle

Das wichtigste vorweg: Der Eindruck, dass Neuer in dieser Saison weniger Bälle hält, trifft auch faktisch zu. Insgesamt hat er in der laufenden Spielzeit nur 52 Prozent der Bälle abgewehrt. Das ist der mit Abstand schlechteste Wert in den vergangenen fünf Jahren. 2022/23 – also vor seiner schweren Verletzung, hatte er noch 75 Prozent der Bälle gehalten, in der vergangenen Saison sank der Wert bereits auf 65 Prozent.

Dass Neuer unterperformt, lässt sich ebenfalls statistisch untermauern. Im Schnitt kassiert er genau ein Gegentor pro Partie – dabei kommen die Gegner durchschnittlich nur auf einen "Expected Goals"-Wert von 0,81.

Allerdings: Ein Hauptgrund für die schwächer gewordenen Werte ist das offensiv ausgerichtete System von Vincent Kompany. Unter dem Belgier lassen die Bayern insgesamt zwar vergleichsweise wenige Abschlüsse zu (6,1 pro 90 Minuten). Doch wenn die Gegner vors Tor kommen, wird es meist brandgefährlich. Aufgrund der hohen Chancenqualität hat Neuer also nicht mehr so häufig die Möglichkeit, sich auszuzeichnen.

Spiel mit dem Ball: Kompany-System kommt Neuer zugute

Ein Bereich, in dem der Keeper auch mit 38 Jahren international seinesgleichen sucht, ist das Spiel mit dem Ball. Hier kommt ihm das Kompany-System zugute, da Neuer häufig als dritter Aufbauspieler agiert und so deutlich stärker ins Spiel einbezogen wird, als noch in den vergangenen Jahren. So kommt er pro Partie im Schnitt auf 53,4 Ballaktionen und spielt 47,3 Pässe, von denen 89,2 Prozent ankommen. Ein herausragender Wert, von dem sogar mancher Mittelfeldspieler nur träumen kann!

Zum Vergleich: Andere Weltklasse-Keeper wie Champions-League-Sieger Thibaut Courtois (81,6 Prozent Passquote), Nationaltorhüter Marc-André ter Stegen (84,7) oder Liverpools Alisson Becker (78,8) schneiden diesbezüglich deutlich schlechter ab.

Selbiges gilt auch für Neuers designierten Nachfolger Alexander Nübel, der 77 Prozent seiner Pässe an den Mann bringt. Bis er den Bayern-Kapitän eines Tages beerbt, wird er sich mit dem Ball am Fuß also ordentlich steigern müssen. Wann das sein wird, ist aber ohnehin noch völlig unklar.

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