FC Bayern: Im Schlaf zum Triple
MARSEILLE Alle tanzten auf den Tischen, sie sangen, tranken Champagner, pafften Zigarren. Ein paar Wagemutige sprangen noch des Nachts ins Mittelmeer. Im Oktober 1975 war das in etwa so, als mit Carl Zeiss Jena zum letzten Mal eine deutsche Mannschaft bei Olympique Marseille gewann.
Die Bayern hatten nichts dabei. Etwas zu feiern, ja – gab es. Aber nichts, um zu feiern. Höchstens alkoholfreies Weißbier. „Wenn wir früher auswärts im Europapokal 2:0 gewonnen haben, ist der Champagner in Strömen geflossen”, sagte Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge bei seiner Bankettrede im Hotel „Pullman-Palm-Beach” und meinte dann: „Wir haben den Abend genossen.” Sie, die Bosse, die Vips, die Sponsoren. Mit Jakobsmuscheln, Wolfsbarsch, französischem Rotwein, Zigarren und der Vorfreude auf spanische Köstlichkeiten. Das Halbfinale gegen Real Madrid, dem 3:0-Hinspielsieger in Nikosia, ist nahe – und terminiert: 17. und 25. April.
Aber, aber. Auch das noch: feiern verboten, an Real denken verpönt. Bien sur, erst das Rückspiel am Dienstag gegen Marseille überstehen. Ein Aus gegen diese Franzosen wäre so sensationell wie ein Wahlsieg der FDP. Denn: Genau drei Prozent der Teams, die ein Heimspiel 0:2 verloren haben, sind seit 1970 in K.o.-Runden des Europacups noch weitergekommen. Zumal die Bayern bisher in 21 von 22 Fällen bei einem Auswärtssieg die nächste Runde erreichten. Lediglich im März 2011 ging es schief. Tragisch-komisch scheiterte man nach dem 1:0 bei Inter Mailand mit 2:3.
Doch diese Bayern sind aus einem anderen Holz. Sie sind Gegenwarts-Arbeiter, keine Final- oder gar Titel-Träumer. Das Gewissen von Marseille trug den Namen Partykiller-Kalle, der Boss sprach mahnende Worte: „Liebe Spieler, ihr könnt leider nicht feiern, ihr habt jetzt schwere Spiele im Drei-Tages-Rhythmus. Es ist noch sehr viel Arbeit. Am Ende, wenn das alles vorbei ist, können wir dann hoffentlich feiern.”
Das 2:0 von Marseille durch die Treffer von Gomez und Robben ist nur ein Zwischenstopp auf dem Weg zum Ruhm, nächster Halt Nürnberg am Samstag, die Aufholjagd in der Bundesliga auf Tabellenführer Borussia Dortmund wartet. Das Bayern-Leben im Frühjahr 2012 ist ein hektisches, man verschiebt die Party auf – ja, auf wann? Auf das Saisonende. Idealerweise auf den 19. Mai, den Tag des Champions-League-Finals. Vorteil eins: die Gewohnheiten der heimischen Arena. Vorteil zwei: Das „H’ugo’s” oder das „P1” wären danach schnell zu erreichen.
Zurück zur Bestandsaufnahme: Dem BVB sitzt man in Kragengriffweite im Nacken (fünf Punkte Abstand), am 11.April kommt es in Dortmund zum entscheidenden Duell, das Pokalfinale gegen die Schwarz-Gelben ist erreicht, das Halbfinale der Königsklasse gegen die Königlichen auch. So nah war man einem Triple Ende März noch nie – doch auch ein böses Ende ohne Trophäen ist noch drin. Alles oder nichts. Maximal 12 Spiele in sieben Wochen der Wahrheit.
„Das wird eine wahnsinnige Herausforderung, physisch und psychisch”, meinte Sportdirektor Christian Nerlinger. Nur noch Fußball. Eine Zielgerade als Einbahnstraße. Kicken, siegen, regenerieren. „Wir müssen die Spiele schnell abhaken, weil jedes Mal aufs Neue so viel auf dem Spiel steht”, sagte Thomas Müller, „wir müssen an unsere Grenzen gehen.” Heißt? Müller: „Viel schlafen, auch an freien Tagen zum Physiotherapeuten. Und nicht drei Stunden Tennis spielen.” Höchstens auf der Playstation.