FC Bayern: Gestatten, Ottmar Lahm
Der Nationalverteidiger rügt den Hurrafußball der Bayern – und sagt auch Trainer Jürgen Klinsmann die Meinung.
MÜNCHEN Wer Philipp Lahm kennt, weiß, das ihm so ein 5:1 nicht behagt. Schon gar nicht im DFB-Pokal, einem K.o.-Wettbewerb, da ist Glänzen unwichtig, die Tordifferenz einerlei, nur das Weiterkommen zählt. Das Viertelfinale hatten die Bayern Ende Januar mit dem glanzvollen 5:1 beim VfB Stuttgart erreicht – und zugleich eine Menge verbockt. So sieht es Lahm: „Nach diesem VfB-Spiel waren wir uns zu sicher, jeder hat gemeint, es läuft von allein.“
Die Bilanz seit dem 5:1 lautet: drei Bundesligaspiele, zwei Niederlagen. Für Lahm „ein schlechter Start“. 0:1 in Hamburg, 1:2 in Berlin, insgesamt schon 28 Gegentore diese Saison in der Liga (2007/08 nur 21); Lahm reicht’s. „Jetzt hat jeder gesehen, dass man eben nicht mit 80 Prozent oder eben mal so nebenbei Meister werden kann“, sagt er, „auch wir verlieren, wenn wir in unseren Spielen nicht unsere Leistung bringen. Jetzt sollte jeder aufgewacht sein.“
Schon zum Ende der Hinrunde hat Lahm den Lautsprecher gegeben. Voller Überzeugung tönte er: „Wir können auf nationaler Ebene jeden Gegner dominieren, da kann uns keiner das Wasser reichen.“ Und: „Wir können uns nur selbst schlagen.“
Inzwischen ist es so gekommen. Siehe die Pleite in Berlin. Also schlägt Lahm jetzt Krach – und weist deutlich auf Fehler hin. Diese liegen nicht nur im mentalen Bereich. Lahm wird zu offensiv, zu riskant gespielt. „Wir müssen die richtige Mischung zwischen Defensive und Offensive finden“, sagt er. Und: „Man muss auch in der Offensive defensiv richtig geordnet sein. Wir verlieren im Mittelfeld zu viele Bälle. Dann spielt der Gegner einen Pass, und wir sind hinten alle ausgespielt.“ So geschehen beim 2:1 der Berliner, als Woronin nach Zuspiel von Raffael traf. Lahms Kritikpunkt: „Man muss den Ball im Mittelfeld länger in den eigenen Reihen halten. Das muss besser werden im Endspurt um die Meisterschaft, da müssen wir eindeutig mit weniger Risiko spielen.“
Auf wen die Kritik abzielt?
Ganz klar – kontra das offensive, risikoreiche System von Trainer Jürgen Klinsmann. Der lässt Adrenalin-Fußball spielen, immer nach vorn. Die Taube auf dem Dach, sprich ein Sieg, ist Klinsmann erstrebenswerter als der Spatz, also der Punkt, in der Hand. Was bei Klinsmann-Vorgänger Ottmar Hitzfeld, einem Kontrollfreak und Verfechter der vorsichtigen Offensive, ganz anders war. Erst das Bollwerk, dann das Spektakel. So denken viele in dieser Mannschaft, die Hitzfeld über insgesamt siebeneinhalb Jahre geprägt hat. Oliver Kahn, der Torhüter, hat im Mai 2008 seine Karriere beendet, er fehlt als Regulator. Mark van Bommel, der Kapitän, kann die Rolle des Kritikers nicht übernehmen. Dafür ist seine Position derzeit zu schwach. Der Verein hat ihm eine Vertragsverlängerung über lediglich ein Jahr angeboten, der Holländer überlegt noch. Jede Kritik an System und Spielweise könnte sofort als Angriff auf Klinsmann aufgefasst werden.
Also übernimmt Lahm. Gestatten, Ottmar Lahm. „In allen Ligen werden immer die Mannschaften Meister, die am wenigsten Gegentore bekommen“,sagt Lahm und weist daraufhin: „Wir haben da schon in der ganzen Saison Probleme. Die Zahl der Gegentore spricht eine deutliche Sprache.“ Und er darüber mit dem Trainer? Lahm: „Ich spreche das auch intern an. Dass Spieler auf den Trainer zugehen, ist wichtig, Es wäre schlimm, wenn das beim Trainer nicht auf offene Ohren stoßen würde.“
Patrick Strasser