Ex-Profi Markus Babbel erklärt, wie Hoeneß dem FC Bayern gefährlich wird

München - AZ-Interview mit Markus Babbel: Der gebürtige Münchner und ehemalige Bayern-Profi (51) wechselte nach seiner aktiven Karriere an die Seitenlinie und trainierte dabei unter anderem auch den VfB Stuttgart (2008-2009).

AZ: Herr Babbel, als wir uns Anfang März das letzte Mal gesprochen haben, stand ebenfalls das Duell Ihrer Ex-Klubs FC Bayern München und VfB Stuttgart an. Der Dauer-Meister strebte mit Trainer Julian Nagelsmann im Süd-Derby nicht nur den eingeplanten Pflichtsieg an, sondern war noch in allen drei Wettbewerben aussichtsreich vertreten. Der VfB Stuttgart als Underdog befand sich mit Chefcoach Bruno Labbadia im Abstiegskampf.
MARKUS BABBEL (lacht): Ja, man kann sagen, da hat sich ein bisschen was getan bei beiden. Es zeigt aber auch, wie schnelllebig das Geschäft heutzutage ist, wie kurzfristig in der Branche gedacht wird und wie ungeduldig die Verantwortlichen sind, wenn es mal nicht so läuft. Wenn ein Trainer mal drei oder gar fünf Spiele hintereinander verliert, fühlen sich manche Entscheidungsträger schon zum Handeln gezwungen.
Markus Babbel: Sebastian Hoeneß drückt dem VfB Stuttgart seine Handschrift auf
Was im Fall der Stuttgarter und des Trainerwechsels Anfang April zu Sebastian Hoeneß komplett aufgegangen ist.
Hoeneß ist ein Glücksgriff, absolut. Ich habe seinen Weg schon länger verfolgt. Erst betreute er die A-Jugend der Bayern, übernahm dann die zweite Mannschaft und wurde 2020 Drittliga-Meister. Auch bei seiner ersten Bundesligastation, der TSG Hoffenheim, konnte man seinen Stil erkennen und die Struktur, die er der Mannschaft verpasst hat – sie hatten jedoch keinen Torjäger wie nun der VfB mit Serhou Guirassy, der die Dinger reinhaut.
Den Abstiegskampf samt Relegation gegen den Hamburger SV meisterten die Stuttgarter bravourös, dann kam der Raketenstart in die aktuelle Saison – mit begeisterndem Offensivfußball.
Dafür stand der VfB doch schon immer. Ob das die Generation der jungen Wilden um Hleb, Hinkel und Hildebrand in der Saison 2003/04 war oder das magische Dreieck um Elber, Bobic und Balakow in der Spielzeit 1996/97 – immer attraktiv und höchst unterhaltsam. Natürlich war der VfB Anfang April in einer schwierigen Situation, aber der Kader hatte mehr Substanz als es der Tabellenstand widerspiegelte.
Babbel über Stuttgart: "Wie sie Dortmund weggebügelt haben, war beeindruckend souverän"
Wie hat Hoeneß den Umschwung geschafft?
Man hat im Sommer gute Entscheidungen getroffen. Sosa und Mavropanos haben den VfB nicht weitergebracht, aber durch die Verkäufe viel Geld eingebracht. Mit Angelo Stiller und Woo-yeong Jeong wurden richtig gute, willige Jungs geholt. Dann hat Hoeneß die richtigen Hebel angesetzt, lässt die Mannschaft nach vorne spielen, die wollen zocken und keinen Beton anrühren. Wie sie im DFB-Pokal Borussia Dortmund (2:0, d. Red.) weggebügelt haben, war beeindruckend souverän. Auch zuletzt beim 1:1 gegen Tabellenführer Bayer Leverkusen haben sie ein qualitativ hochwertiges Spiel abgeliefert, auch wenn ihnen nach dieser englischen Woche gegen Ende der Partie etwas der Saft ausgegangen ist. Ich denke, dieser VfB ist jetzt gefestigt, bleibt oben dran. Da kann man nicht mehr von einer Eintagsfliege sprechen.
Dazu kommen die bärenstarken Torjäger Guirassy und Deniz Undav, der von Premier-League-Klub Brighton ausgeliehen wurde. Wäre Undav ein Kandidat für die deutsche Nationalelf mit Blick auf die Testländerspiele im März vor der Heim-EM im kommenden Sommer?
Er bringt seine Leistung, macht seine Tore in einer Top-Mannschaft. Rein sportlich hätte er es verdient – warum also nicht? Undav ist nicht der Typ klassischer zentraler Stürmer, bewegt sich sehr gut. Ein Top-Fußballer, der jeder Abwehr wehtun kann. Auch bei Innenverteidiger Waldemar Anton frage ich mich schon lange: Warum wird der nicht mal eingeladen? Anton ist die Zuverlässigkeit in Person in der VfB-Abwehr und da sehe ich in der Nationalelf aktuell deutliche Defizite.