FC Bayern: Das Jugendspiel-Risiko
Kraft (22) im Tor, Breno und Badstuber (beide 21) in der Abwehr, vielleicht auch noch Contento (20): Laut Ex-Profi Lehmann ist das ein großes Risiko.Van Gaal widerspricht, Hitzfeld gibt ihm Recht.
MÜNCHEN Eine knappe halbe Stunde, mehr nicht. Und das noch dazu in einem Testspiel minderer Qualität gegen ein Team der Qatar Stars League, gegen Al Wakrah. Länger hat das Trio Kraft/Breno/Badstuber in einem Spiel noch nicht gemeinsam auf dem Platz verbracht. Wegen muskulärer Probleme stand der Brasilianer vergangenen Sonntag nur 28 Minuten auf dem Feld.
Der neue Kern des Defensiv-Verbundes des FC Bayern ist ein Jugendzentrum. Thomas Kraft, 22, dazu die Innenverteidiger Breno und Holger Badstuber, beide 21. Spielt Diego Contento, der 20-Jährige, am Samstag zum Rückrundenstart beim VfL Wolfsburg (15.30 Uhr, Liveticker bei abendzeitung.de) auf der linken Seite, dürfte sich Philipp Lahm mit seinen 27 Jahren wie ein Erziehungsberechtigter fühlen. Jung, jünger, Bayern. Van Gaals Jugendspiele.
Ein Risiko? „Das ist Quatsch“, fauchte der Trainer bei einer Nachfrage gereizt zurück, „ich bin schon mit 19-Jährigen Meister geworden.“ Bei Ajax Amsterdam damals. Van Gaal weiter: „Die Frage ist nur, ob sie es können oder nicht – und bei Bayern können sie es.“ Aha. Klingt wie ein Beschluss. Als müsste nur noch angepfiffen werden.
Den Optimismus des Trainers teilen nicht alle. Vor allem in der Vorstandsetage war man ob der Verjüngungskur – schließlich war das Abwehrtrio der letzten Saison Butt, Demichelis und van Buyten gemeinsam 98 Jahre alt – etwas irritiert. Nun stützen alle den Kurs van Gaals. Augen zu und durch. „Ich habe in meiner Karriere nie erlebt, dass ein junger Torwart mit einer jungen Abwehr funktioniert“, sagte Ex-Nationaltorwart Jens Lehmann am Donnerstag bei einem Sky-Termin im „Stadion an der Schleißheimer Straße“, wo am Donnerstagabend die erste Sendung „Mein Stadion“ ausgestrahlt wurde.
Bei Tabellenführer Borussia Dortmund verteidigen Hummels (22) und Subotic (22), dahinter steht mit Weidenfeller ein 30-Jähriger im Tor. Setzt van Gaal mit dem Trio, das gemeinsam auf gerade mal 64 Bundesligaspiele kommt, gar Titel aufs Spiel? „Das sehe ich nicht so“, sagte Ex-Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld, „Breno wirkt mit seiner Spielweise schon wie ein Routinier, Badstuber ist Stammspieler und auf rechts hat man Lahm. Aber es braucht Zeit, bis die richtige Abstimmung und das Vertrauen da ist. Die Frage bei Kraft wird sein, ob er der Nervenbelastung gewachsen ist?“
Um den Druck nicht zu erhöhen, wurde der Pressetalk mit dem Neuling am Mittwoch wieder gestrichen, er soll erst nach seiner Premiere in Wolfsburg mit den Medien sprechen. „Wir haben volles Vertrauen in Thomas“, sagte Lahm, „er hat es durch seine Trainingsleistungen verdient. Er ist ein relativ kompletter Torwart.“ Hitzfeld erinnert sich an das Talent, das er während seiner zweiten Amtszeit ab Februar 2007 bis Juni 2008 einige Male in Testspielen eingesetzt hatte. „Thomas strahlt Ruhe aus, antizipiert gut, hat ein tolles Stellungsspiel und ist sehr reaktionsschnell. Er hat alle Qualitäten für eine gute Nummer eins“, erklärte Hitzfeld, „wenn er es schafft, hat der FC Bayern viel Geld gewonnen, da braucht man im Sommer keinen neuen Torwart.“ Keinen Manuel Neuer. Doch an eben diesem Transfer des Schalker Nationalkeepers arbeitet der Vorstand intensiv.
„Für Kraft ist es ein Geschenk des Himmels“, sagte Lehmann, „denn auch wenn es nicht optimal läuft, macht er sich für andere Vereine interessant. Macht er Fehler, ist er schnell wieder weg, so hart ist das Geschäft.“ Dann muss wieder Routine ins Tor. Butt, Butt, Butt.
Patrick Strasser