FC Bayern-"Co" Gerland nach dem Champions-League-Sieg 2013: "Irgendwann holt uns der Sensenmann"

Am 25. Mai jährt sich Wembley-Triumph des FC Bayern gegen Borussia Dortmund zum zehnten Mal. Im dritten Teil der AZ-Serie blickt Hermann Gerland zurück: "Es war ein Traum, dem besten Verein dienen zu dürfen".
von  Patrick Strasser
Jup-Jup-Hurra: Der "Menschenfänger" Heynckes wird von seinen Spielern gefeiert, niemand gönnte man den Titel 2013 mehr als Bayerns Trainer-Elder-Statesman.
Jup-Jup-Hurra: Der "Menschenfänger" Heynckes wird von seinen Spielern gefeiert, niemand gönnte man den Titel 2013 mehr als Bayerns Trainer-Elder-Statesman. © firo/AK

München - Das Triple 2013 und vor allem der Champions-League-Sieg im deutschen Finale gegen Borussia Dortmund war die Krönung der goldenen Bayern-Generation um Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger oder Thomas Müller.

Mittendrin war damals auch Hermann Gerland (68). Der kultige ehemalige Co-Trainer von Erfolgscoach Jupp Heynckes blickt im großen AZ-Interview auf dieses historische Endspiel im im Londoner Wembley-Stadion zurück.

AZ: Herr Gerland, als Co-Trainer von Jupp Heynckes waren Sie bei den Endspielen des FC Bayern in der Champions League 2012, dem "Drama dahoam", und dem Triumph ein Jahr später in London dabei. Gleich zu Beginn eine These: Ist erst durch das unwirkliche Scheitern gegen Chelsea der Erfolg 2013 gegen den BVB möglich geworden?
HERMANN GERLAND: Das kann man nicht so sagen. Was ich weiß, ist: Das Finale in der Allianz Arena war das überlegenste geführte Spiel, das wir je verloren haben. Wenn wir dieses Spiel gegen Chelsea 100 Mal spielen würden, würden wir 95 Mal als Sieger vom Platz gehen und höchstens fünf Mal verlieren. Wir hatten auch einige verletzte und gesperrte Spieler an diesem Tag – dennoch waren wir bis zum Elfmeterschießen haushoch überlegen. Aber gut. Hilft ja nichts.

Hermann Gerland lobt Heynckes als Top-Trainer und "Menschenfänger"

Was passierte in der Folge, dass sich die Mannschaft aus dem Tal der Tränen heraus so zusammenraufen konnte für die anschließende Saison? Wie sehr spielte es eine Rolle, dass man Trainer Heynckes einen würdigen Abschied bereiten wollte? Schließlich hatte Uli Hoeneß bereits im Winter 2012/13 die Verpflichtung von Pep Guardiola klargemacht.
Jupp war ein exzellenter Trainer. Fachlich, taktisch natürlich top. Aber er war in erster Linie ein Menschenfänger, der jedem im Kader und im Verein das Gefühl gegeben hat, wichtig zu sein. Natürlich haben die Spieler alles für Jupp getan – das habe ich gespürt. Andererseits hatten wir auch schon zwei Finals verloren (zuvor 2010 in Madrid unter Chefcoach Louis van Gaal gegen Inter Mailand, d.Red), da kommt die Motivation von ganz alleine.

Und dann dieser immense Druck. Eine Pleite gegen Borussia Dortmund, den Double-Sieger von 2012, wäre für Bayerns Selbstverständnis verheerend gewesen.
Wir haben im Sommer 2012 drei Top-Transfers gemacht – mit Dante, Javi Martínez und Mario Mandzukic kamen drei Spieler, die sofort zu Leistungsträgern wurden.

Die Neuzugänge des FC Bayern 2012: Javi Martínez als bester Fang

Der Baske Martínez, den Heynckes unbedingt haben wollte und der für die damalige Rekordablöse von 40 Millionen Euro von Athletic Bilbao verpflichtet wurde, drehte im Finale von Wembley das Momentum, nachdem der BVB sehr stark begonnen hatte.
Der Gegner war auf Augenhöhe, es war ein sehr, sehr knappes Spiel. Aber diesmal hatten wir das Spielglück. Und Javi war überragend – er hat ja auch 'ne Menge Geld gekostet. Aber was sage ich? Alle auf dem Platz waren herausragend. Dazu muss man bedenken, dass uns noch Holger Badstuber und Toni Kroos wegen Verletzungen gefehlt haben.

Der 68-jährige Kult-Trainer war von 1990 bis 1995 und 2001 bis 2021 für den FC Bayern tätig, als Co-Trainer gewann er zwei Mal die Champions League, war neun Mal deutscher Meister, fünf Mal Pokalsieger.
Der 68-jährige Kult-Trainer war von 1990 bis 1995 und 2001 bis 2021 für den FC Bayern tätig, als Co-Trainer gewann er zwei Mal die Champions League, war neun Mal deutscher Meister, fünf Mal Pokalsieger. © dpa

Zurück zum Thema Druck. Kapitän Philipp Lahm meinte hinterher, er habe nie in seiner Laufbahn einen vergleichbaren Druck verspürt.
Das ist doch normal, dass die Jungs nervös waren – mit der Vorgeschichte und der Rivalität zum BVB. Aber ich war davon überzeugt, dass wir gewinnen.

Warum?
Weil wir sehr gut waren. Weil wir exzellente Spieler hatten.

Gerland: Boateng war immer nervös vor Spielen

Aber einem wie Jérôme Boateng mussten Sie vor dem Finale gut zureden, ihn aufbauen.
Immer! Der brauchte das eben. Ich habe gesagt: "Jérôme, mach' dir keinen Kopp! Du hast schon so vieles gewonnen, du bist ein großartiger Spieler! Glaub an dich und lass dich nicht verrückt machen, wenn du mal einen Fehlpass spielst."

Auf der Siegerparty im Ballroom des Hotels "Grosvenor House" in Mayfair mit rund 2.000 geladenen Gästen haben Sie Jupp Heynckes zum Mitfeiern animiert und gesagt: "Ich habe nur einen Wunsch, Josef, heute, als Champions-League-Sieger. Ich möchte, dass du ein bisschen lockerer bist. Irgendwann holt uns der Sensenmann. Du kommst in den Himmel und ich in die Hölle. Aber heute müssen wir die Sau rauslassen."
Eine wunderschöne Feier, ich war einfach nur froh und glücklich. Der Spruch hatte eine Vorgeschichte. Als wir durch das souveräne 3:0 im Camp Nou gegen den FC Barcelona, wohlgemerkt nach einem 4:0 im Hinspiel, das Endspiel erreicht hatten, zog sich Jupp auf sein Zimmer zurück. Die Spieler schickten mich zu ihm: Tiger, geh' und hol den Jupp! Keine Chance. Der Josef war müde, kaputt, wollte schlafen. Das konnte ich verstehen. In London haben wir alles nachgeholt.

Hermann Gerland blickt zurück: "Ich hatte 25 schöne Jahre beim FC Bayern"

Die Spielzeiten 2011 bis 2013 mit den beiden dramatischen Finals – war dies eigentlich Ihre intensivste Zeit beim FC Bayern?
Ich hatte insgesamt 25 wunderschöne Jahre beim FC Bayern, die ich nicht missen möchte. Es war ein Traum für mich, dem besten Verein dienen zu dürfen. Da war kein Druck, keine Belastung, kein Nichts. Es war das Schönste, diese Spieler jeden Tag trainieren zu sehen – eine Freude, eine Augenweide. Ob Lahm, Basti Schweinsteiger, Thomas Müller, Manuel Neuer, alle. Manuel ist für mich der beste Torwart aller Zeiten, unerreicht – auch als Typ. Und Thomas so wichtig für eine Mannschaft, auch neben dem Platz, in der Kabine.

Als Assistent von U21-Chefcoach Antonio Di Salvo streben Sie im Juni den Titel bei der Europameisterschaft an. Bei der WM in Katar haben Sie Bundestrainer Flick in seinem Trainerteam unterstützt.
Eine sehr schöne Aufgabe. Und wenn Hansi möchte, besuche ich hier und da Spiele und gebe ihm meine Eindrücke weiter. Wir haben ein super Verhältnis.

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