FC Bayern: Auslauf-Projekt Klinsmann
MÜNCHEN - Nach Bayerns historischem Barcelona-Desaster scheint die Trennung von Trainer Klinsmann unausweichlich – einzig der Zeitpunkt steht bislang noch nicht fest. Womöglich ist es nach dem Spiel am Samstag gegen Frankfurt soweit.
Dann lieber doch nichts verbergen. Die Offene- Türen-Strategie. Und so entschlossen sich die Bayern, am Karfreitag das Abschlusstraining an der Säbener Straße vor der Partie am Samstag gegen Eintracht Frankfurt (15.30 Uhr, AZ-Liveticker) im Gegensatz zu allen Ankündigungen doch öffentlich zu machen. Hereinspaziert, liebe Leute! Es gibt uns noch. Wir trainieren sogar wieder, haben die Mannschaft nach dem 0:4 in Barcelona doch nicht aufgelöst.
Womöglich auch eine Reaktion auf ein Plakat, das Fans an die Platzabsperrung gehängt hatten. „5000 km für unsere Liebe FCB – von euch kein Kampf und keine Leidenschaft“ hieß es darauf. Also lieber deeskalierend handeln, der Empfang in der Allianz Arena für Trainer Klinsmann wie seine Spieler dürfte ohnehin nicht herzlich werden.
Barcelona 2009, die 90-Minuten-Demütigung, war noch schlimmer als Barcelona 1999. Das Champions-League-Finale am selben Ort wurde damals in 90 Sekunden verloren. Als Opfer erntete man europaweit sogar noch Sympathie wegen der Brutalität des Augenblicks; für die Vorführung vom Mittwoch dagegen gab’s nur Hohn und Spott.
Das 1:5 in Wolfsburg und die Klinsmann-Entscheidung, Jörg Butt statt Michael Rensing in Barcelona zum Oneway-Keeper zu machen, war nur der Prolog. Mit dem Anpfiff begann ein Drama in fünf Akten. Mit vielen komödiantischen Inhalten und der noch offenen Frage, ob der letzte Akt, das Finale, das Gesamtstück doch zur Tragödie wird – insbesondere für Hauptdarsteller Jürgen Klinsmann.
DER ERSTE AKT
Das Spiel. Die Darsteller, in Bayern-Trikots verkleidet, erhalten von den Übermächtigen des FC Barcelona eine Lehrstunde. Präsident Franz Beckenbauer ordnet es historisch so ein: „Das war das Fürchterlichste, was ich jemals vom FC Bayern gesehen habe.“ Und wer erinnert sich schon an trübe Leistungen vor der Bundesligagründung?
DER ZWEITE AKT
Die Bankettrede. Es ist kurz nach Mitternacht beim traditionellen Bankett der Bayern für Sponsoren und Edel-Fans im Mannschafts-Hotel „Rey Juan Carlos“ in Barcelona, als Karl-Heinz Rummenigge das Mikrofon ergreift. Angestellte des Hotels, des Deutschen nicht mächtig, müssen glauben, es handele sich um eine Trauerrede – es herrscht betretenes Schweigen. Er spricht davon, „dass der Stolz des FC Bayern mit Füßen getreten wurde“. Kalles dramaturgischer Höhepunkt, sein Verweis auf einen Erfolgstrainer der 70er und 80er Jahre: „Ich habe unseren alten Freund Udo Lattek in der Halbzeit gesehen: Er hat geweint. Ich weiß nicht, ob es Tränen der Wut oder Tränen der Traurigkeit oder Trauer waren. Aber es war signifikant für das, was wir heute Abend leider hier gesehen haben.“ Klinsmann, der glaubt, ein moderner Coach zu sein, sitzt in jenem Moment zwei Plätze weiter – am Tisch mit Uraltmeister Lattek (74). Tränen lügen nicht? „Ich habe so eine Wut gehabt wie seit Jahrzehnten nicht mehr“, sagt Lattek im DSF, „ich schäme mich aber nicht. Ich bin ein Mann – und ein Mann darf weinen.“ Bestes Theater.
DER DRITTE AKT
Der Monolog. Seit Donnerstag, dem Tag der Rückreise, sprechen die Bosse nicht mehr. Klinsmann soll die Niederlage erklären und sich den Reportern stellen – als einsamer Kämpfer. In einer Lounge von Lufthansa-Partner „Spanair“ antwortet er professionell, kann aber nicht verbergen, wie angeschlagen er ist. Jegliche Kraft, jegliche Power – manchmal übertrieben, manchmal mitreißend – scheint aus seinem Körper gewichen zu sein. Er spricht bedacht, aber relativ leise. Ganz so, als wolle nicht einmal er selbst seinen Worten Glauben schenken. Seine Worte: „Ich denke, dass ich die Mannschaft sehr wohl noch erreiche.“ Oder: „Ich bin ein Kämpfer, ich sage mir: Helm auf und durch.“
DER VIERTE AKT
Der Vortag der Entscheidung. Luca Toni – und nicht noch einmal Klinsmann – spricht zu den Journalisten. „Wir sitzen alle in einem Boot. Wir müssen versuchen zu gewinnen: für den Trainer und die ganze Mannschaft.“ Die Krieger ziehen also solidarisch mit ihrem Feldherrn in die Schlacht.
DER FÜNFTE AKT
Das Frankfurt-Spiel. Mit offenem Ausgang. Gewinnt Bayern nicht, könnte am Sonntag bereits die Scheidung der Ehe Bayern/Klinsmann vollzogen werden. Gewinnt Bayern doch, wird die Trennung hinausgezögert – um eine Woche bis zum Spiel in Bielefeld? Selbst als Meister scheint eine weitere Zusammenarbeit im nächsten Jahr mit Klinsmann kaum denkbar. Der ehemaligeProjektleiter ist selbst zum Auslauf–Projekt geworden. Das Vertrauen in seine Kraft ist dahin – und wer will schon eine Neuinszenierung mit demselben Hauptdarsteller?
Patrick Strasser