Experte: Kortison ist Grund für Thiagos Verletzung

München - Thiago Alcántara und sein Knie: Es ist eine nicht enden wollende Leidensgeschichte. Kaum schien der spanische Mittelfeldmagier seinen Innenbandriss auskuriert zu haben, riss das Band erneut. Narbeninsuffienz – so die Erklärung vom FC Bayern.
Die erneute Verletzung wirft allerdings zahlreiche Fragen auf: Wurde Thiago falsch behandelt? Hat er zu früh mit dem Training angefangen? Haben die Kortison-Spritzen, die ihm in Spanien nach dem ersten Riss injiziert wurden, sein Knie geschädigt? Kortison, ein körpereigenes Produkt, lindert Entzündungen, wie sie bei Verletzungen immer auftreten.
Aber ist es auch ein Grund für Thiago Probleme? „Ja“, sagt Prof. Dr. Ingo Froböse, Leiter des Zentrums für Gesundheit durch Sport und Bewegung der Deutschen Sporthochschule Köln. „Um einen Spieler schnell wieder fit zu bekommen, helfen auch Kortison-Spritzen in einer geringen Dosierung zur rechten Zeit. Das kann man mal machen.“ Kann man mal – hierauf liegt die Betonung und auf „geringe Dosierung“. Darauf wurde bei Thiago wohl nicht genauestens geachtet, als er sich auf Anraten von Trainer Pep Guardiola bei dessen Vertrauensarzt Dr. Ramon Cugat in Barcelona behandeln ließ.
Denn Kortison kann in großen Mengen auch das Gewebe angreifen, sprich das Narbengewebe schwächen – was zu einer Narbeninsuffizienz führen kann. „Die Häufigkeit und die Intensität sind das große Problem“, warnt Froböse vor dem Einsatz des körpereigenen Substrats: „Damit überdecke ich nur viele Dinge. Nämlich die Selbstheilungsmechanismen, die aber notwendig sind, um eine Festigkeit der Struktur herzustellen.“ Thiago Körper hatte offenbar gar nicht die Zeit, von selbst zu regenerieren.
Bilder: Thiago und seine Leidensgeschichte
Zudem hinterfragt der Experte für Sportmedizin, den Heilungsprozess. Denn die Narbe muss – ähnlich wie beim Brückenbau – Verbindungen, sogenannte Crosslinks, zwischen den Fasern bilden, damit eine feste Struktur entsteht. „Das Narbengewebe muss, damit es besser belastbar ist, Zugbelastungen bekommen“, führt Froböse weiter aus. „Im Vorfeld schon, damit die Narbe in die richtige Richtung wächst.“
Aber wie sieht jetzt der weitere Behandlungsprozess aus? Thiago wird bei Dr. Richard Steadman in Vail operiert. Aber was passiert dort? Steadman ist ein Kniespezialist, einer, der als der Kreuzband-Doc gilt. Er operierte bereits in den frühen 90er Jahren die ehemaligen Bayern-Spieler Lothar Matthäus, Raimond Aumann oder Brian Laudrup. Zuletzt Holger Badstuber und Javi Martínez. Allerdings sind die Eingriffe nicht zu vergleichen. Bei den Kreuzbandverletzungen wird mittlerweile das gerissene Band durch Fremdmaterial ersetzt. Dies kann entweder durch ein Stück aus der eigenen Patellasehne oder sogar durch das Kreuzband eines Toten geschehen.
Für das Innenband ist diese Maßnahme jedoch nicht vorgesehen. „Mit Fremdmaterial funktioniert das in der Regel nicht“, sagt Froböse. Stattdessen setzt die Medizin dabei auf körpereigene Prozesse, die stimuliert und intensiviert werden. „Man arbeitet dabei viel mit Stammzellen“, sagt Froböse. „Stammzellen sind Zellen, die noch nicht spezifisch entwickelt sind. Wenn ich sie stimuliere, kann ich dafür sorgen, dass sie alte Zellen ersetzen.“ Demnach würden das geschädigte Gewebe und Thiago Bandstruktur körpereigen ersetzt werden, wäre eine Stabilität des Knies wieder gewährleistet.
Allerdings muss der Spanier dann auch die Zeit zur Regeneration erhalten, damit eine erneute Narbeninsuffizienz nicht auftritt und die Leidensgeschichte endlich ein Ende nimmt.